Olympia:Der Meister des eisigen Windes

Ski Jumping - Winter Olympics Day 1

Hört einfach nicht auf zu springen: Andreas Wellinger feiert seine Goldmedaille.

(Foto: Getty Images)
  • Andreas Wellinger gewinnt das erste deutsche Männer-Einzelgold im Skispringen seit Jens Weißflog 1994.
  • Er meistert einen Wettbewerb, der kurz vorm Abbruch stand. Eisige Winde führten zu grenzwertigen Bedingungen.
  • Nach seinem Sieg wird Wellinger von seinen Gefühlen überwältigt.

Von Volker Kreisl, Pyeongchang

Am Ende waren die Tribünen leer, die Gäste fast alle gegangen, aber die Party ging erst richtig los. Die Jubelschreie, die Andreas Wellinger bei jedem einzelnen Klick beim Siegergruppenfoto ausstieß, hallten hinaus in die Nacht über dem Stadion in Pyeongchang. Die Freudentränen waren getrocknet oder vielleicht auch gefroren, bei ihm wie auch bei Bundestrainer Werner Schuster in dieser denkwürdigen Rekord-Olympianacht von Pyeongchang. Noch nie hat sich ein Olympia-Skispringen derart den Abend lang hingezogen.

Wellinger ist nun Olympiasieger in einem Einzelspringen, der vierte Deutsche, zuletzt war dies 1994 Jens Weißflog gelungen. Der Oberbayer aus Weißbach bei Ruhpolding gewann nun gleich zum Auftakt der Spiele Gold von der Kleinschanze, Silber holte der Norweger Johann Andre Forfang, Bronze sein Landsmann Robert Johansson.

Pyeongchang 2018 - Skispringen

Nach dem Springen ist Wellinger überwältigt.

(Foto: dpa)

Geschafft hat er dies in einem Wettbewerb der Extreme. Dieser Abend, oder besser gesagt, diese erste Hälfte der Nacht hatte allen Springern große Nervenstärke abverlangt. Die Bedingungen waren grenzwertig, doch dieser Vierjahreshöhepunkt sollte auf keinen Fall im Finaldurchgang abgebrochen werden, womit nur der erste Durchgang gegolten hätte - es ist ja Olympia. Also dauerte es immer länger, wurde es immer kälter, und blies immer heftiger der Aufwind. Am nächsten Tag um 0.20 Uhr stand der Sieger dann fest.

Trotz der wechselhaften Bedingungen habe Wellinger diesen Sieg verdient, sagte Schuster, schließlich habe er ja zuvor vier von acht Trainings- oder Qualifikationssprüngen gewonnen. "Vor allem sein zweiter Sprung heute war grandios", sagte Schuster, "er war immer fokussiert." Wellinger selber wusste zwar, was für eine Leistung er da soeben abgeliefert hatte, nur mit dem Realisieren der Belohnung dauerte es noch. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", antwortete er auf die Olympiasieg-Gefühl-Frage: "Geben Sie mir noch Zeit bis nächste Woche." Wellinger hatte in der Leader-Box sein Gesicht in den Armen verborgen, seinen Tränen freien Lauf gelassen. Davon habe er immer geträumt, klar, sagte er später, "dann habe ich einfach meine Sachen gemacht, und während dem Warten an nichts mehr konkret denken können."

Im ersten Durchgang hatte sich Wellinger noch schwer getan, den sagenhaften Flug des Polen Stefan Hula auf 111 Meter hatte auch er nicht kontern können. Er war nur auf Platz fünf gelandet in dieser Auftaktrunde, hinter Richard Freitag, dem zunächst Viertplatzierten und deutlich vor Markus Eisenbichler und Karl Geiger. Als Goldfavoriten warteten schließlich andere oben auf der zugigen Schanze, bei minus 13 Grad. Tourneegewinner Kamil Stoch, und die Norweger Johansson und Daniel Andre Tande, der Skiflugweltmeister.

Den bizarrsten Auftritt hatte zwischendurch der viermalige Olympiasieger Simon Ammann, der Schweizer, der bereits 2002 und 2010 die Spiele am Bakken beherrscht hatte. Ammann musste fünf Mal wegen des Windes wieder vom Balken gehen und durfte erst beim sechsten Mal losfahren. Immer wieder trat er zur Seite beugte sich nach vorne, versuchte irgendwie in seinem dünnen Sprunganzug warm zu werden, bis ihn schließlich der Materialwächter Sepp Gratzer in eine Decke hüllte und abrubbelte wie einen Schiffbruch-Geborgenen. Ammann sprang schließlich ungerührt beachtliche 104,5 Meter, die ihn noch auf Platz elf brachten.

Zweimal hatte der Schweizer den Doppelsieg bei Olympia geschafft, 2014 gelang dies dem Polen Kamil Stoch, nun könnte Wellinger in diesen Flow geraten, diesen Strom der Begeisterung über die eigene Form. Er ist ja schon vor vier Jahren Olympiasieger geworden, aber im Team, und da sagt er, stehe man nicht allein, "man trägt zwei von acht Sprüngen bei." Jetzt ist er so weit, dass nach vielen Weltcup-Podestplätzen und zwei WM-Silbermedaillen die Form auch zu den Olympischen Spielen im Idealbereich liegt. Am nächsten Samstag steigt hier der zweite Einzelwettbewerb, der von der Großschanze, der Favorit heißt Wellinger.

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