Olympia:Auch Felix Neureuther fürchtet Kim Jong-un

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Die Korea-Krise beunruhigt die Athleten, doch das IOC hat angeblich keinen Plan B für Pyeongchang. In Frage käme: Sotschi.

Von Thomas Kistner, München

Am Sonntag sollte die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada ihre neue Prüfstelle für Dopingtestverfahren (ITA) installieren. Das Gremium soll - angeblich völlig unabhängig vom Internationalen Olympischen Komitee und den Sportverbänden - die Kontrollen organisieren; bereits bei den Winterspielen in Pyeongchang 2018. Aber der Sport und unabhängige Kontrollen: Das ist so, als ob der Verband der Automobilindustrie einen unabhängigen Schummeltest für Dieselmotoren einführt. Bezüglich der ITA reicht wohl ein Blick ins geplante fünfköpfige Leitgremium: Dem soll je ein Vertreter des IOC und der Verbände angehören; Beobachter soll die Wada spielen, die ebenfalls dem IOC treu ergeben ist.

Auch solche Winkelzüge sind es, die bei Athleten und Publikum das Unwohlsein im Hinblick auf die Südkorea-Spiele 2018 verstärken. Unmittelbar haben sie nichts zu tun mit den Raketentests des Diktators im Norden. Aber die Frage, ob man die Krisenpolitik rund um die Winterspiele im nur 80 Kilometer von Nordkoreas Grenze entfernten Pyeongchang dem IOC anvertrauen sollte, wird auch von dessen rasantem Glaubwürdigkeitsverlust beeinflusst. Das zeigen die ersten Absetzbewegungen. Sportler aus aller Welt erwägen einen Olympia-Verzicht, der deutsche Skirennfahrer Felix Neureuther sieht die Sache so existenziell wie viele Kollegen: Er werde gerade Vater, "und dann soll ich da mit ruhigen Gewissen rüberfahren und sagen: Super, jetzt bin ich bei Olympia und will alles geben"? Biahletin Laura Dahlmeier will "nicht nicht mehr heimkommen", nur weil die Spiele an der Nahtstelle eines globalpolitischen Unruheherds stattfinden. Und der Bundestrainer der Biathlon-Männer, Mark Kirchner, sagt: "Sicherlich unterhält man sich und macht sich Gedanken."

Problem: In Sotschi kulminiert die Glaubwürdigkeitskrise des IOC

Die Akteure sind besorgt, doch von den Funktionären, die vor allem die finanziellen Aspekte im Blick haben, ist wenig zu erwarten. Als "Wahnsinn" empfindet Neureuther, dass sie "noch absolut keine Stellung bezogen haben". Er schließt einen Verzicht nicht aus: "Wenn es so bleibt, würde ich mir natürlich Gedanken machen."

Alfons Hörmann lässt sich vorläufig nur Sprechblasen entlocken: Man beobachte die Entwicklung, so der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, stets im Austausch mit Auswärtigem Amt und IOC. Was man so sagt. Aber das IOC duckt sich weg, die Krise offenbart ja bereits ihr geschäftsschädigendes Potenzial. Die erste Ticket-Verkaufsrunde kam fast als Nullrunde daher, und auch Großsponsoren, die sich noch nicht (wie McDonalds) aus laufenden Verträgen zurückgezogen haben, dürfte diese Entwicklung stark beunruhigen.

Als Risiko-Trip gilt Pyeongchang keineswegs nur hierzulande. Frankreich und die Wintersport-Nation Österreich schließen einen kompletten Olympia-Verzicht nicht aus. Karl Stoss, Chef des Olympia-Komitees ÖOC, erklärte: "Sollte die Sicherheit der Sportler nicht mehr gewährleistet sein, werden wir nicht nach Südkorea fahren." In Paris beteuerte Sportministerin Laura Flessel: "Wenn keine definitive Sicherheit gewährleistet wird, bleibt Frankreichs Olympiateam zu Hause." Dass Litauens Olympiakomitee die Debatte noch für verfrüht hält, ist auch kein Trost für das IOC und dessen deutschen Boss Thomas Bach.

Doch der Ringe-Clan beteuert tapfer, Pyeongchang bleibe die einzige Option, es gebe keinen Plan B. Falls das stimmt, wovon kaum auszugehen ist, liefe das IOC Gefahr, am Ende mit Rumpf-Spielen dazustehen, und auch ohne internationales Publikum, das ja den Charakter der Weltspiele ausmacht. Für Nordkoreas Kim Jong-un wäre es leicht, die Angst mit Provokationen zu schüren; echte Kriegshandlungen bräuchte es nicht. Oder das IOC hat doch einen Plan B, wie ihn immer mehr Winterfunktionäre fordern: Dann könnte es ihn kaum verkünden - weil er auf den Ersatzort Sotschi hinauslaufen müsste.

Dort fanden 2014 die schmutzigsten Spiele der Neuzeit statt, in Sotschi kulminiert die Glaubwürdigkeitskrise des IOC. Kernteile der Sportwelt fordern den Kollektivausschluss des russischen Teams von 2018. Aber das IOC bastelt diskret an Russlands goldener Brücke nach Pyeongchang. Weil das klar auf der Hand liegt, hat es die IOC-Medienstelle kürzlich sogar per Mitteilung an die "lieben Freunde" von der internationalen Presse bestritten: Berichte, dass sanfte Sanktionen für Russland schon beschlossen sind, seien "pure Spekulation". Mit anderen Worten: nicht falsch.

Die Russen selbst scheinen das Resultat schon zu kennen. Soeben gab Moskau die Prämienzahlung an seine Olympiahelden bekannt: 57 000 Euro pro Goldmedaille. Tritt so ein Land auf, das furchtbar zittert vor den Prüfungen des IOC zum staatlich orchestrierten Dopingbetrug in Sotschi? Aber diese zwei Eingeständnisse kann sich das IOC kaum leisten: Dass Russlands Staatsdoper mit einer Geldstrafe davonkommen. Und dass sie als Plan B bereit stehen: als Korea-Ersatz.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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