Olympia: Anja Pärson:"Mit Wut und jeder Menge Schmerzmitteln"

Nur 24 Stunden nach ihrem schlimmen Sturz gewinnt Anja Pärson Bronze. Und feiert diese Wiederauferstehung mit einem Seehund.

Michael Neudecker, Whistler

Die Skirennfahrerin Anja Pärson hat am Donnerstagnachmittag einen bemerkenswerten Satz über ihren Sport gesagt. "Im Alpinski geht es nicht nur um schnell sein", hat sie gesagt, "es geht auch um verletzt sein oder gesund." Sie klang sehr ernst dabei, und dann blickte sie hinüber zu Maria Riesch und Julia Mancuso, "wir alle drei haben da unsere Erfahrungen gemacht", fuhr sie fort, "aber entscheidend ist die Freude, die man spürt, wenn man auf Ski steht". Anja Pärson klang nun sehr nachdenklich, aber sie hatte ja auch Erstaunliches durchgemacht in den 24 Stunden zuvor.

Olympia: Anja Pärson: Zwischen diesen Bildern liegen nur 24 Stunden: Anja Pärson gewinnt einen Tag nach ihrem schlimmen Sturz die Bronzemedaille in der Super-Kombination.

Zwischen diesen Bildern liegen nur 24 Stunden: Anja Pärson gewinnt einen Tag nach ihrem schlimmen Sturz die Bronzemedaille in der Super-Kombination.

(Foto: Foto: dpa/rtr)

Am Mittwoch, beim Abfahrtsrennen der Olympischen Spiele, war sie beim Zielsprung heftig gestürzt, sie hob ab, flog 60 Meter weit, ruderte in der Luft mit den Armen, und als sie aufkam, konnte sie die ganze Wucht dieses Flugs nicht mehr abfangen. Es war ein Sturz, der entsetzlich aussah. Lindsey Vonn, die Goldmedaillengewinnerin, drehte sich schockiert weg, und die Österreicherin Elisabeth Görgl weinte. Görgl trainiert gelegentlich mit Pärson, sie habe sich große Sorgen gemacht, sagte sie später. Anja Pärson war eine Weile liegen geblieben, aber dann stand sie auf, und gestützt von zwei Helfern verließ sie den Zielraum.

Am Donnerstag gewann Anja Pärson Bronze in der Super-Kombination. Es war ihre sechste Olympische Medaille, sie hat nun genau so viele Medaillen wie die Kroatin Janica Kostelic, die erfolgreichste Skirennfahrerin der Olympia-Geschichte.

Wenn Anja Pärson ein Rennen gewinnt, und sie hat schon sehr viele Rennen gewonnen, dann nimmt sie im Zielraum Anlauf, springt, breitet die Arme aus und macht eine Bauchlandung. Säl heißt die Figur in Schweden, Seehund. Der Säl ist Pärsons Markenzeichen. Am Donnerstag, als Lindsey Vonn im Slalom ausschied, Maria Riesch über Gold jubelte und Julia Mancuso über Silber, da nahm Pärson wieder Anlauf, und dann sprang sie, mit einem lauten Jubelschrei. Bronze fühlte sich für sie an wie ein Sieg.

Noch am Morgen war ja nicht klar, ob sie überhaupt starten würde: Sie hatte Blutergüsse und Prellungen an der linken Wade und am Oberschenkel erlitten, es ist natürlich erstaunlich, dass sie sich bei ihrem Sturz nicht ernster verletzt hatte. Aber Blutergüsse und Prellungen tun auch weh, deshalb schätzte sie nach dem Einfahren ihre Startwahrscheinlichkeit auf "vielleicht 30 Prozent" ein. Sie absolvierte dann die Abfahrt, aber da hatte sie "Schmerzen bei jedem Sprung", wie sie hinterher sagte. Ob sie den Slalom mitmachen würde, wisse sie noch nicht, sagte sie mittags.

Dann dachte sie nach, und sie zwang sich, den Schmerz zu verdrängen. "Das hier ist Olympia, und wenn ich irgendwo fahren sollte, dann hier", sagte sie, und fuhr, "mit Wut und jeder Menge Schmerzmitteln". Sie fuhr gut, im Slalom sogar schneller als die spätere Siegerin Maria Riesch. "Verdammt noch mal, daran hätte ich nie geglaubt, das ist phantastisch", sagte sie danach, nein, sie rief es.

Ihr Vater Anders, der auch ihr Trainer ist, stand dagegen noch unter dem Eindruck des Vortags, "sie hätte leicht zu Tode kommen können", erinnerte er. Aber es ist alles gutgegangen, und jetzt ist Anja Pärson endgültig aufgestiegen zu einer Skirennfahrerin, die für immer in der Historie ihres Sports eine Rolle spielen wird. Sie ist ja außerdem nur eine von vier Athletinnen, die in allen fünf Disziplinen - Abfahrt, Super-G, Riesenslalom, Slalom und Kombination - gewinnen konnte.

Ihren letzten Sieg feierte Pärson zwar erst kurz vor Olympia, bei der Kombination von St. Moritz - davor aber war sie seit Januar 2009 ohne Sieg geblieben. Zu sehr war sie gehindert durch ihre Knieverletzung: Vor vier Jahren war sie am Knie operiert worden, wegen Überbelastung. Im April 2009 hatte sie schon bekanntgegeben, dass sie nach dieser Saison aufhören wird.

Sie ist jetzt 28, das ist zwar noch nicht unbedingt ein Alter, in dem man aufhören muss, aber Anja Pärson hat schon viel erlebt, viel durchgemacht, viel erreicht. Sie fährt seit zwölf Jahren im Weltcup, sie hat zweimal die Gesamtwertung gewonnen, sieben Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften, dazu eine bei Olympia, das war 2006, im Slalom.

Sportlern wird immer geraten, aufzuhören, wenn es am schönsten ist, und so gesehen könnte es kaum einen besseren Zeitpunkt geben für Anja Pärson als jetzt. Es sind noch drei Rennen bei Olympia, danach ein Weltcupwochenende und dann das Saisonfinale. Viel besser als in Whistler Creekside aber kann es für Anja Pärson nicht mehr werden.

Im Video: Maria Riesch holt Gold. Nur 24 Stunden nach dem Frust über Platz acht in der Abfahrt feiert die Slalom-Weltmeisterin Olympiasieg in der alpinen Kombination.

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