Olympia:"Im Moment bin ich trockengelegt"

Alpine Skiing - Winter Olympics Day 13

Bleibt ohne Medaille im letzten Olympia-Rennen ihrer Karriere: Lindsey Vonn.

(Foto: Getty Images)
  • In ihrem letzten Olympia-Rennen, der Alpinen Kombination, scheidet Lindsey Vonn nach zwölf Sekunden im Slalom aus.
  • Sie will sich nun auf ein großes Ziel konzentrieren: Den Sieg-Rekord von Ingemar Stenmark.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Winterspiele.

Von Matthias Schmid

Lucy spielt im Leben von Lindsey Vonn eine übergeordnete Rolle, sie begleitet sie überall hin und legt sich abends sogar neben sie ins Bett. Man darf schon behaupten, dass Lucy und die beste Skirennläuferin der Welt ein überaus inniges und emotionales Verhältnis verbindet. Der Cavalier King Charles Spaniel ist sogar das einzige Tier, das bei den Winterspielen in Pyeongchang für das Pressezentrum akkreditiert ist.

Doch im Zielraum von Jeongseon hört die Tierliebe des Welt-Skiverbands Fis auf, das hatte Vonn zuletzt bei den Weltcup-Rennen in Garmisch-Partenkirchen schon beklagt. "Seit ein paar Jahren darf ich sie nicht mehr in den Innenraum mitnehmen", hat die 33-jährige Amerikanerin erzählt. Nach der Alpinen Kombination hätte sie ihren tröstenden Beistand gebraucht, denn einen männlichen Begleiter, der im Zielraum hätte dabei sein dürfen, den sucht sie derzeit vergeblich. "Mit Lucy fühle ich mich weniger allein", sagt Vonn.

Die Alpine Kombination am Donnerstag endete mal wieder so, wie man es von ihr mittlerweile gewohnt ist: mit ordentlich dramatischen Begleitumständen. Mit 77 Hundertstelsekunden Vorsprung hatte sie sich nach der Abfahrt als Letzte aus dem Starthaus auf die Slalomstrecke katapultiert. Sie sprach vorher von einem Wunder, das sie benötigt hätte, "um zu siegen." Zunächst sah es gut aus, wie sie fuhr, gewandt, rasant. Bis kurz vor der ersten Zwischenzeit: ein kurze Unachtsamkeit und schon war sie über die Torstange gefahren, eingefädelt, aus der Traum vom zweiten Olympiasieg ihrer Karriere. Nach zwölf Sekunden.

Ihre Augen füllten sich diesmal aber nicht mit Tränen wie in den vergangenen Tagen. "Alle Tränen sind bereits geflossen", bekannte Vonn danach. In der Abfahrt, wo sie die große Favoritin auf Gold war, musste sie den Sieg als Dritte der Italienerin Sofia Goggia überlassen. In der Kombination gehörte sie nicht zu den Hauptdarstellerinnen, zu wenig war sie in den vergangenen Jahren mit den kurzen Skiern gefahren. Aber eine Medaille wäre durchaus möglich gewesen, weil sie es noch immer versteht, auch kurze Schwünge carven zu können. Sie gehört ja zu den nur sechs Rennläuferinnen, die in allen Disziplinen Weltcuprennen gewinnen konnten. Doch der Slalom endete abrupt, sie stand noch eine Weile neben der Piste und haderte mit sich, immer wieder schüttelte sie ihr Haupt und fuhr schließlich doch noch über die Ziellinie. Die Zeit war da schon lange nicht mehr mitgelaufen.

Familienstreit, Scheidung, Drepressionen: Vonn erlebt auch viele dunkle Tage

Als Geschlagene sah sich Vonn allerdings nicht, als sie die Siegerin Michelle Gisin sowie die Zweit- und Drittplatzierten Mikaela Shiffrin und Wendy Holdener fair umarmt hatte. Sie stand im Zielraum und wirkte erleichtert irgendwie, aufgeräumt und mit sich im Reinen. Okay, sie werde vielleicht später noch mal weinen, "aber im Moment bin ich trockengelegt", bekannte Vonn. Ihr wurde in dem Moment langsam bewusst, dass es ihr letzter Auftritt bei Olympischen Winterspielen als Sportlerin war. "Ich nehme eine Menge Erinnerungen mit", sagte sie bewegt, um dann fast philosophisch hinzufügen: "Wenn du älter bist, hast du eine andere Wertschätzung für das Leben und die Erfahrungen, die du gemacht hast. Es war eine großartige Reise."

Eine lange Reise, die sie nicht nur auf die Sonnenseite führte, Vonn erlebte auch viele dunkle Tage, Streit mit dem Vater, Scheidung vom Ehemann, Depressionen, Verletzungen. Ihre Krankenakte ist so dick, dass man sie danach fragen muss, welche Körperteile nach Jahren im Weltcup noch unversehrt sind. "Meine linke Hand und der linke Arm. Denen geht es eigentlich noch ganz gut", hat sie vor den Spielen im SZ-Interview verraten.

Erst Vonns Olympiasieg in Vancouver hat ihr Leben in den USA verändert

Auch in diesem Winter hatte sie wieder körperliche Probleme überwinden müssen, der Rücken plagte sie diesmal, trotzdem gewann sie Rennen, 81 Weltcupstiege weist die Statistik für sie aus, zum Rekord von Ingemar Stenmark fehlen ihr nur noch fünf Erfolge. Vonn ist nicht nur die erfolgreichste, sondern auch die bekannteste Skifahrerin des Planeten. Dazu hat ihr Olympiasieg im Super-G vor acht Jahren in Vancouver beigetragen. Erst danach wurde sie in die amerikanischen Late-Night-Shows eingeladen und in den USA das, was man prominent nennen kann. Davor hat sich kaum jemand für sie und ihren Sport interessiert. Weltcupsiege oder Weltmeistertitel von alpinen Skirennläufern werden in den USA nur in den Randspalten veröffentlicht oder in den Kurznachrichten versendet.

Auch Mikaela Shiffrin, die Riesenslalom-Olympiasiegerin, hat davon mal erzählt, dass nur ein Olympiasieg in den USA das Leben verändern kann und sie in Europa viel bekannter sei als daheim, wo sie ein "Average Joe" sei, ein Otto Normalbürger.

Lindsey Vonn ist alles andere als ein Durchschnittstyp. Sie hat den Skisport der Frauen mit ihrer Wucht und Raffinesse auf ein höheres Niveau gehoben. Als letztes Ziel bleibt ihr nur noch ein Rennen: mit Männern. Diesen Traum will sie sich noch erfüllen - und nebenbei natürlich den Rekord von Stenmark überbieten. Ein, zwei Jahre hat sie dafür eingeplant, ehe sie abtritt. Wohl mit Tränen, Drama und großen Worten. So wie es halt ihre Art ist. Lucy wird dann ganz bestimmt neben ihr sitzen.

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