Oliver Kahn:"Irgendwann war das Rad überdreht"

Oliver Kahn über sein Lebensthema Druck, Tiger Woods und die Hermetiker, Burn-out-Gefahr und Robert Enke.

Interview: M. Kielbassa und C. Kneer

SZ: Herr Kahn, Sie haben vor Ihrem Abschiedsspiel im August 2008 gesagt: Ich freue mich auf die Zeit ohne Fußball. Sie sagten aber auch: Ich fürchte mich ein wenig vor dem großen Loch, in das man fallen könnte. Sind Sie gefallen?

Kahn: Ich hatte zum Glück keine Phase, in der ich orientierungslos durch die Weltgeschichte geirrt bin. Ich habe mir nach und nach neue Aufgaben gesucht.

SZ: Wie geht es Ihrem Körper? Gewicht okay?

Kahn: Das ist schon eine große Umstellung. Wenn der Körper 30 Jahre Sportplatz gewohnt war, dann fällt es natürlich schwer, plötzlich wieder am Schreibtisch zu sitzen. Wenn du ein bisschen zu viel isst - zack, ist das Gewicht drauf. Das geht ruckzuck. Aber wenn ich unruhig werde, dann gehe ich laufen, in den Kraftraum oder Golfspielen.

SZ: Sie haben schon in Ihrer aktiven Zeit von der Angst vor der Leere nach der Karriere geredet. Sie haben sich früh mit diesem Thema befasst - um gut vorbereitet zu sein, wenn es so weit ist?

Kahn: Ich habe mich bewusst früh damit auseinandergesetzt. Ich hab' ja auch zu denen gehört, die im Bus gerne mal ein Buch gelesen haben. Manchmal haben mich die anderen blöd angemacht und gesagt: Mensch, Olli, was ist los, willst du nicht lieber mit uns Karten spielen? Ich hab' dann immer gesagt: Ach, macht ihr das mal. Denn für mich war klar: Wenn du auf absolut nichts vorbereitet bist, stehst du nach der Karriere am Nullpunkt. Du hast vielleicht finanziell ausgesorgt - aber keine wirklich vernünftige Perspektive oder Aufgabe.

SZ: Am Wochenende spielt der FC Bayern gegen Schalke. Interessiert Sie das?

Kahn: Natürlich, nach wie vor. Aber ich muss nicht mehr jeden Samstag um 15.30 Uhr den Fernseher anmachen.

SZ: Viele hatten erwartet, Sie würden Ihren großen Namen nutzen, um sofort irgendwo Manager zu werden, bei den Bayern, Schalke oder anderswo. Ist so ein Posten für Sie immer noch eine Option?

Kahn: Eine Zukunft als Trainer oder Sportdirektor kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Erstens habe ich geschäftlich genug zu tun. Zweitens finde ich es besser, Dinge langsam anzugehen. Ich befinde mich derzeit sozusagen wieder in einer Ausbildungsphase, um mich für die Zukunft vorzubereiten. Man sieht ja bei Markus Babbel (ehemaliger Trainer des VfB Stuttgart, d. Red.), dass du in dieser Branche schnell einen neuen Job hast - aber unter Umständen diesen Job auch schnell wieder verlierst.

SZ: Der DFB verlangt neuerdings eine umfassende theoretische und praktische Trainerausbildung. Reicht es nicht, ein Spitzenfußballer gewesen zu sein?

Kahn: Ausbildung ist die Grundlage. Ein Ex-Sportler muss verstehen, dass er sich nach der Karriere für alte Verdienste nichts mehr kaufen kann. Es sei denn, man legt Wert darauf, dass einem die Leute auf die Schulter klopfen und sagen: Du warst aber mal ein toller Hecht!

SZ: Sie werden in der Branche einem DFB-Schattenkabinett zugeordnet - als möglicher neuer Nationalelf-Manager bei einem Bundestrainer Matthias Sammer. Hat das Gerücht Substanz?

Kahn: Wie erwähnt, befinde ich mich derzeit in der Ausbildungsphase und die wird meines Erachtens bis Mitte 2012 andauern. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

SZ: Sie haben Ihre ganze Karriere lang den Druck geliebt. Ist das nicht auch eine Art Druck: sich in einem neuen Leben zurechtzufinden, in dem man nicht mehr automatisch der Held ist?

Kahn: Man braucht wieder eine gewisse Demut. Natürlich kann man sagen: Okay, ich war ein guter Torwart - nur: Wofür qualifiziert mich das in Zukunft? Es geht doch darum, dass man seine Heritage in vernünftige Art und Weise für die Zukunft nutzt. Aber das ist natürlich kein Druck, der mit dem Druck eines Torwarts vergleichbar wäre.

SZ: Der Selbstmord Ihres Torwartkollegen Robert Enke hat das Land geschockt. Wie gut kannten Sie ihn?

Kahn: Seine konkreten Probleme kannte ich nicht, aber grundsätzlich kommen solche Themen für mich nicht überraschend. Egal, ob man sich Andre Agassi anschaut oder Tiger Woods, eines ist bei Menschen in Hochleistungsbereichen weit verbreitet: die Anfälligkeit für psychische Störungen. Dass Menschen, die sich in extremen Sphären bewegen, unter Ängsten, Depressionen oder Ähnlichem leiden, ist für mich nicht neu. Überrascht hat mich nur, dass Robert sich in dieser Thematik nicht geöffnet und offenbar keinen Ausweg mehr gesehen hat.

SZ: Verstehen Sie, dass er Angst hatte, dass seine Krankheit bekannt wird?

Kahn: Depressionen sollen ja inzwischen die häufigste Zivilisationskrankheit sein, noch vor Rückenbeschwerden. Das ist das Tragische an Roberts Schicksal: dass er eine so weitverbreitete Krankheit so extrem unterdrückt hat. Da wird der Druck auf einen selbst immer größer.

SZ: Ist der Druck im Fußball zu groß?

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"Angst hat für einen Torhüter viele gute Seiten"

Kahn: Vor einem Urteil muss man sich hüten: dass der Fußball schuld ist an Roberts Tod. Das ist mit Sicherheit nicht so. Den Menschen Robert Enke kannten wir doch alle nicht wirklich. Niemand weiß, welche Einflüsse eine Rolle spielten: der Tod seiner Tochter, die genetische Veranlagung, biographische Details oder noch ganz andere Gründe.

SZ: Sebastian Deisler hat auch vor dem Druck in diesem Sport kapituliert.

Kahn: Auch da glaube ich: Es wäre besser gewesen, nicht vor dem Fußball davonzulaufen. Vielleicht hätte er seine Probleme mit Fußball besser lösen können als ohne. Der Fußball kann das auslösende Moment gewesen sein, aber er war nicht die Ursache für seine Probleme.

SZ: Ein Fußballer mit Angststruktur könnte auch in der Kreisliga unter zu hoher nervlicher Belastung leiden, das hängt nicht von 70 000 Zuschauern ab.

Kahn: Absolut richtig. Es gibt auch Berufe wie Krankenschwester, in denen man viele unangenehme Dinge erlebt, wenig Dankbarkeit erntet und am Ende in eine Burn-out-Situation hineinläuft. Genauso gibt es den Postbeamten, der acht Stunden auf seinem Stuhl sitzt und plötzlich eine Depression bekommt. Das ist so ein weites Feld, das ist eine so spezifische, individuelle Erkrankung, dass man nicht einen oberflächlichen Faktor allein verantwortlich machen kann. Deswegen habe ich mich nach Roberts Tod nicht an der Diskussion beteiligt - weil das kein Mensch in Gänze beurteilen kann.

SZ: Man merkt, dass Sie sich in dieser Thematik auskennen. In Ihrer Biographie haben Sie sich selbst mit Burn-out‘ in Verbindung gebracht.

Kahn: Ich habe seit vielen Jahren engen Kontakt mit Professor Holsboer...

SZ: ... dem Arzt, der Sebastian Deisler behandelte...

Kahn: ... ja, er hat mir geholfen, mit dem Druck des Hochleistungssports umzugehen. Man hat mich ja immer ausgelacht und gesagt: Jetzt redet der Kahn schon wieder von Druck, Druck, Druck. Aber so war es eben: Wenn man beim FC Bayern spielt und in der Nationalelf Nummer eins ist, dann kommen Momente, die einen in Grenzbereiche der Belastbarkeit bringen. Dann muss man sich fragen, ob es Wege gibt, über ein anderes Denken und eine andere Einstellung etwas dagegen zu tun. Sich in solchen Momenten Hilfe zu holen ist eher ein Zeichen von Stärke als von Schwäche.

SZ: Wie definieren Sie für sich den Unterschied von Burn-out und Depression?

Kahn: Es gibt vielfältige Erschöpfungszustände - und es gibt die Depression. Mit diesem Begriff muss man vorsichtig umgehen, das ist eine ganz klar definierte Erkrankung. Für mich ist eine Depression, banal gesagt, ein andauernder Zustand völliger Erstarrtheit und Gefühllosigkeit. Angst- und Erschöpfungszustände werden heutzutage als Burn-out bezeichnet.

SZ: Hätten Sie selbst in eine echte Depression hineinrutschen können?

Kahn: Es ist müßig, nachträglich darüber nachzudenken. Ich war eben jemand, der sich immer schnell Hilfe geholt hat. Ich habe Lösungen gefunden, mit Vertrauten immer offen gesprochen. Wenn man sich isoliert, wird's gefährlich. Das habe ich nie gemacht.

SZ: Robert Enke hatte große Versagensängste. Können Sie das aus eigener Erfahrung nachvollziehen, dass jemand mit solchen Fähigkeiten Angst hat?

Kahn: Ich kenne diese maximalen Anspannungssituationen, ich muss allerdings sagen: Ich habe diese Art von Angst manchmal fast gesucht. Das ist eine perverse Hochleistungs-Logik, aber ich wusste: Dann bin ich am leistungsfähigsten. Denn Angst hat für einen Torhüter viele gute Seiten - sofern man die Fähigkeit beherrscht, sich von ihr nicht lähmen zu lassen.

SZ: Aus heutiger Sicht: War es richtig, sich als Profi so enorm unter Druck zu setzen? Oder hätten Sie manches ein bisschen lässiger angehen können?

Kahn: Ich habe schon Grenzen überschritten, die ich heute nicht mehr überschreiten würde.

SZ: Warum nicht?

Kahn: Es gibt nichts im Leben, was es wert ist, sich dafür kaputt zu machen. Heute würde ich sagen: Das Wichtigste an einer Sportler-Karriere ist, dass man sich selbst und das Drumherum nicht zu ernst nimmt

SZ: Was für eine Erkenntnis aus dem Mund von Oliver Kahn, der früher so hungrig war nach Siegen und Titeln.

Kahn: Eines 40-jährigen Oliver Kahn, der Abstand zu den Dingen gewonnen hat. Druck ist okay, doch man sollte ihn als Herausforderung begreifen - als etwas Positives. Aber das ist leicht gesagt. Wenn du im Tunnel steckst, wenn du merkst, du wirst besser und besser, dann wird der Druck irgendwann immer größer. Und man dringt als Mensch in extreme Bereiche vor - in Bereiche, in die man nie kommen wollte.

SZ: War das auch der Grund für Ihre Ausbrüche auf dem Platz?

Kahn: Kennen Sie die Lehre der Hermetiker? Das Kybalion?

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"Sexsucht! Nur ein schönes Wort für den Boulevard"

SZ: Hm, nicht direkt...

Kahn: ... im Kybalion findet sich das Prinzip der Polarität. Das Maß, wie das Pendel in die eine Richtung schwingt, ist das Maß dafür, wie es in die andere Richtung schwingt.

SZ: Von einem Extrem ins andere?

Kahn: So war das zumindest bei mir, und die Hermetiker sagen, dass kluge Menschen sich diesen Extremen nicht aussetzen sollten. Die lassen es nicht zu, dass das Leben sie von einem Extrem zum anderen treibt.

SZ: Ihr Über-die-Stränge-Schlagen war also die Gegenreaktion eines unter Dauerdruck stehenden Höchstleisters?

Kahn: Wie gesagt: Pol und Gegenpol. Ich hab' vor zwei Jahren zu einem Kumpel gesagt: Ich bin gespannt, wo der Gegenpol von Tiger Woods ist. Ich weiß ja, welche Konzentrationsleistungen im Golf erbracht werden müssen.

SZ: Mindestens so hohe wie in einem Fußballtor.

Kahn: Nein, nein, nein, das kann man nicht miteinander vergleichen. Überlegen Sie: Vier mal 18 Löcher, vier Tage hintereinander, immer höchster Fokus und höchste Konzentration. Und er: Er muss immer gewinnen. Er muss! Dabei ist das im Golf, bei dieser Leistungsdichte, einfach unmöglich. Tiger hat es trotzdem so oft geschafft, er hat immer wieder Sachen gebracht, wo ich gesagt habe: Das ist fast unmenschlich! Und dann frage ich mich automatisch: Wo ist der Gegenpol von so einem Menschen?

SZ: Inzwischen weiß man's ja.

Kahn: Ach, ich weiß nicht, ob diese Frauen-Geschichten nicht auch nur an der Oberfläche kratzen. Sexsucht! Ich bitte Sie, meine Herren, Sexsucht! Bei aller Liebe, aber das ist doch nur ein schönes Wort für den Boulevard.

SZ: Aber welche Kraft ließ Woods dann so ausbrechen?

Kahn: Es gibt eine Kraft in dir, die sich unbewusst dagegen wehrt, ständig unmenschliche Leistungen bringen zu müssen. Dann kommt es zu kompensatorischen Verhaltensweisen. Bei mir waren es diese Aggressionsausbrüche - oder auch mal außerhalb des Platzes über die Stränge zu schlagen. Das ist doch oft nichts anderes, als ein Signal. Das Signal hieß: Mir wird's einfach zu viel. Ich weiß noch, damals in Dortmund...

SZ: ... als Sie Heiko Herrlich fast in den Hals gebissen haben...

Kahn: ... das war der Höhepunkt aller Aggressionen, die sich je in mir entladen haben. Da war irgendeine innere Kraft, die signalisieren wollte: Ich mag nicht mehr. Bei Tiger hatte ich zuletzt auch das Gefühl: Da ist was komisch.

SZ: Inwiefern?

Kahn: Er wirkte sehr aggressiv. Bei einem Turnier hat er mal den Schläger in die Menge geschmissen. Und das im Golfsport! Ein Zuschauer gab ihm dann den Schläger zurück- und er hat gar nicht reagiert. Er war in einer sehr, sehr eigenen Welt, und man merkte: Diese Welt ist nicht gut. Auch sein Jubel war seltsam, aggressiv, ohne echte Freude. Aber er ist eben eine weltweite Gigamega-Größe. Ich war 2008 bei den US Open, weil ich ihn mal live sehen wollte. Da waren an jedem Loch 30 000 Menschen! 30 000! Wie willst du das auf Dauer aushalten?

SZ: Nächste Woche steigt Tiger Woods beim US Masters wieder ins Geschehen ein. Überrascht Sie das?

Kahn: Nein. Das war abzusehen.

SZ: Wann war bei Ihnen das Gefühl, mit den enormen Anforderungen nicht mehr klarzukommen, am schlimmsten?

Kahn: Ende der Neunziger gab es eine Zeit, da war ich körperlich und geistig wirklich ausgelaugt. Training, besser werden, noch mehr Training, noch besser werden, noch, noch mehr Training, noch, noch besser werden: Dieses Rad war irgendwann überdreht. Damals wurde die Champions League noch in zwei Gruppenphasen gespielt, bei dieser Spielbelastung wusste man überhaupt nicht mehr, wo einem der Kopf steht - und dann kam die berühmte Niederlage 1999.

SZ: Im Champions-League-Finale gegen Manchester, in den letzten Minuten.

Kahn: Das war für mich die erste Konfrontation mit einer großen und wirklich schmerzvollen Niederlage - die Konfrontation mit etwas so Negativem, das ich mir nie vorstellen konnte. Dass mir so etwas passiert! Da hatte ich die Schnauze richtig voll. Und dann wurde ich auch noch Welttorhüter in diesem Jahr - mein großes Ziel. Aber wo war die Freude?

SZ: Würden Sie sagen: Sie waren damals psychisch krank?

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"In diesem Sinne: Adler!"

Kahn: Nein. Roger Federer (weltbester Tennisprofi, d. Red.) hat mal gesagt: Ich habe ein Monster geschaffen. Er meinte damit: Man muss als Nummer eins die Erfolge immer wieder bestätigen. Dafür muss man ständig an seine Grenzen und darüber hinaus gehen. Ich glaube, dafür ist uns das Leben nicht gegeben worden.

SZ: Ist es schwerer, Erfolge zu verteidigen und festzuhalten, als sie zu erreichen? Bei Robert Enke kam die Depression ja im Spätsommer 2009 zurück - zu einer Zeit, als er der Nummer eins im Nationalteam sehr, sehr nahe war.

Kahn: Ich kenne das Gefühl. Als ich die Nummer eins geworden war, habe ich gedacht: Wo ist denn jetzt die Konkurrenz? Wen soll ich denn jetzt noch verdrängen? Das ist eine völlig andere, veränderte Situation. Das beste Beispiel ist Michael Rensing - der war immer gut, wenn er für mich gespielt hat. Als er es geschafft hatte, Nummer eins beim FC Bayern zu sein, als er selbst in der Verantwortung stand, da ist er offenbar mit den Ansprüchen nicht zurechtgekommen.

SZ: Wären Sie im Moment lieber René Adler, der den ihm zugeteilten Platz im DFB-Tor verteidigen muss und zuletzt öfter patzte? Oder lieber Manuel Neuer?

Kahn: Ich habe die Verteidigung einer Position immer als besondere Herausforderung gesehen. In diesem Sinne: Adler!

SZ: Würde Neuer vielleicht dieselben Probleme bekommen wie Adler, wenn er plötzlich die Nummer eins wäre?

Kahn: Jeder reagiert unterschiedlich in solchen Situationen.

SZ: Wen würden Sie bei der WM ins Tor stellen?

Kahn: Der Bundestrainer hat sich für René Adler entschieden - und René muss jetzt seine Leistungen bestätigen.

SZ: Was können die aktuellen Torhüter von Ihnen lernen? Haben Sie in Ihrer Karriere einen Plan entwickelt, wie man damit umgeht, Nummer eins zu sein?

Kahn: Ich habe immer gesagt: Wenn du am Gipfel bist, geht es nicht höher. Um noch höher hinaus zu kommen, muss man sich selbst auf die Schultern steigen.

SZ: Ein schönes Bild - aber wie funktioniert das in der Praxis?

Kahn: Nur über Veränderung. Veränderung im Denken, in der Zielsetzung, in der Arbeitsweise. Wenn du immer alles gleich machst, kommst du irgendwann nicht mehr voran.

SZ: Was haben Sie konkret verändert?

Kahn: Ich habe ja viele Jahre trainiert bis zum Abwinken. Irgendwann hab ich gemerkt: Das funktioniert so nicht mehr. Wo willst du das noch hinsteigern? Also hab ich eine Weile nur noch die Hälfte trainiert. Mir ging's super dabei - und ich wurde kein bisschen schlechter.

SZ: Inwiefern haben Sie Ihre Denkweise im Laufe der Jahre verändert?

Kahn: Ich habe mir lange eingeredet, dass es nur um Titel geht. Da war ich von den achtziger Jahren geprägt. Meine Welt musste sich möglichst hart anfühlen. Aber vor der WM 2006, als ich plötzlich nur noch die Nummer zwei war, da habe ich gelernt, dass nicht nur Titel in einer Gesellschaft anerkannt werden. Sondern auch andere Qualitäten.

SZ: Sie wirkten plötzlich sehr sozial und menschlich in dieser Reservistenrolle. Hatten Sie sich vorher von der Öffentlichkeit, die Sie nur als den stählernen Titanen wahrnahm, verkannt gefühlt?

Kahn: Gehen Sie mal davon aus, dass einer, der im Sport so aufgetreten ist wie ich, im normalen Leben das exakte Gegenteil ist. Meine Mutter hat immer gesagt: Lustig, dass der Mann, der da im Tor steht, in Wahrheit ganz anders ist.

SZ: Aber dass Sie im Tor so extrem waren, das hat Ihrer Mutter wahrscheinlich nicht gefallen.

Kahn: Ich hab' selbst immer gesagt: Ich muss aufpassen, dass ich nicht das werde, was dieser Job und die Öffentlichkeit aus mir machen. Ich bin es teilweise doch geworden! Aber irgendwann muss man aus diesem Bild wieder rausschlüpfen, in seine eigene Identität zurückfinden.

SZ: Haben Sie, eindreiviertel Jahre nach Ihrem Karriereende, Ihre eigene Identität schon wieder gefunden?

Kahn: Ja, natürlich. Meine Aufgaben machen mir momentan sehr viel Spaß und ich bin gerade dabei, das Pendel zu polarisieren ... (Kahn lacht)

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