Oklahomas Russell Westbrook:Der faszinierendste Basketballer der NBA

Houston Rockets - Oklahoma City Thunder

Überflieger der Saison: Russell Westbrook leistet gerade erstaunliche Dinge für seinen Klub Oklahoma City Thunder.

(Foto: dpa)
  • Russell Westbrook von den Oklahoma City Thunders könnte der MVP der NBA-Saison werden.
  • Doch in den Playoffs stößt der Alleinunerhalter an seine Grenzen und muss lernen, den Ball früher abzuspielen.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen in der NBA.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wenn Russell Westbrook nach Spielen von Oklahoma City Thunder vor einem sitzt, dann sieht er bisweilen aus wie ein pubertierender Pennäler. Er trägt Klamotten, die nur Rapper anhaben dürfen, ohne den Spott von Mitmenschen auf sich zu ziehen; beim zweiten Spiel der NBA-Playoffs gegen die Houston Rockets präsentierte er zum Beispiel eine Jeans mit Woll-Flicklappen, ein bis zum Bauchnabel aufgeknöpftes Hawaiihemd und dazu ein Piraten-Stirnband. Er wirkte sehr aufgedreht, sprach jedoch sehr leise. Er weiß ja längst, dass Journalisten aus zwanzig Sätzen jenen einen herausfiltern, der zu einer prägnanten Überschrift taugt.

Russell Westbrook ist kein Teenager mehr, er ist 28 Jahre alt und der derzeit faszinierendste Basketballspieler der Welt. Seine Durchschnittswerte in der Hauptrunde: 31,6 Punkte, 10,7 Rebounds und 10,4 Zuspiele. Ein Triple Double im Schnitt, jeweils zweistellige Werte in drei persönlichen Statistik-Kategorien, das hat in der Liga-Geschichte vor ihm bislang nur Oscar Robertson in der Saison 1961/62 geschafft. Diese unglaublichen Werte dienen als Beweis von Westbrooks Vielseitigkeit und auch als Argument, ihn zum wertvollsten Spieler der Liga zu küren, zum Most Valuable Player oder kurz MVP.

Wer Russell Westbrook verstehen möchte, sollte wissen, was in den vergangenen neun Jahren mit ihm und diesem Klub in Oklahoma City passiert ist. Es lohnt auch, das Kinderbuch "I Like Myself!" von Karen Beaumont zu kennen. Westbrook liest stets daraus vor, wenn er unterprivilegierte Schüler besucht, die ersten Worte lauten: "I like myself. I'm glad I'm me. There's no one else I'd rather be." Übersetzt: Ich mag mich selbst. Ich bin froh, dass ich ich bin. Es gibt niemanden, der ich lieber wäre.

Es geht um ein Kind in diesem Buch, der Text beschreibt aber auch Westbrook ziemlich präzise.

Die Lakers lockten Westbrook mit vielen Millionen

Thunder-Manager Sam Presti stellte nach dem Umzug des Klubs aus Seattle im Jahr 2008 einen Kader zusammen, der nicht nur als Versprechen für eine erfolgreiche Zukunft galt, sondern als Garantie. Er stellte dem späteren MVP Kevin Durant die Talente Westbrook, James Harden und Serge Ibaka zur Seite, im Jahr 2011 scheiterte die junge Mannschaft in einem hochklassigen Halbfinale am späteren Meister Dallas Mavericks; ein Jahr später verlor sie die Finalserie gegen Miami Heat. Der Kader jedoch zerbröselte, bevor er jemals stabil genug war: Harden wechselte 2012 zu den Houston Rockets, Ibaka zwei Jahre später zu Orlando Magic, und Durant verabschiedete sich vor dieser Saison zum Titelfavoriten Golden State Warriors.

Westbrook hätte auch wechseln können, zu den glamourösen Lakers in seiner Heimatstadt Los Angeles. Die lockten mit Millionen von Dollar und dem Versprechen, ihn zu einer Ikone der Westküsten-Popkultur aufzubauen, so wie sie es mit Magic Johnson oder Kobe Bryant getan haben. Das Gegenangebot von Oklahoma City: ebenfalls viel Geld (85,7 Millionen Dollar für drei Spielzeiten) und die Garantie, dass er keine Ikone der Popkultur werden muss. Westbrook blieb.

Westbrook agiert mit der Energie eines Duracell-Häschens

Im Buch von Beaumont heißt es dazu: "Ich ist alles, was ich sein will - und es interessiert mich kein bisschen, was andere über mich denken oder sagen."

Russell Westbrook agiert mit der Energie eines Duracell-Häschens. In einer Liga, in der sich die Zuschauer mittlerweile heftig über die häufigen Ruhepausen der Stars während der Hauptrunde beschweren, hat Westbrook in dieser Spielzeit nur eine Partie verpasst - und die auch nur unfreiwillig: "Die Ärzte haben leider gesagt, dass ich mich ausruhen soll. Was soll ich machen?" Er will immer spielen, immer gewinnen, immer der Beste sein.

Dieser Ehrgeiz wird bisweilen als Egoismus ausgelegt, seine Mitspieler allerdings bezeichnen ihn als zurückhaltenden Altruisten. "Niemand, niemals, nirgends werde ich glauben, dass das, was die Menschen sehen, schon alles ist, was mich ausmacht", heißt es dazu in "I Like Myself". Westbrook selbst sagt: "Der Typ auf dem Spielfeld ist ein Fremder für mich. Ein Verrückter. Ich brauche diese Emotionen jedoch, um meiner Mannschaft zu helfen." Bei allem Respekt für Akteure wie Steven Adams, Victor Oladipo oder André Roberson: Ohne Westbrook hätte Oklahoma City wohl mit den Brooklyn Nets um die meisten Niederlagen der Liga konkurriert. Mit ihm qualifizierte sich die Mannschaft mit einer ordentlichen Bilanz (47:35) für die Playoffs und ein Duell mit den Houston Rockets.

Es gab einen Moment während der Partie am Mittwochabend, der symbolisch für Westbrook und diesen Klub steht: Er blockte erst einen Wurf des 18 Zentimeter größeren Gegenspielers Clint Capela, beim Konter umspielte er mit eleganter Drehung und Hinter-dem-Rücken-Dribbling drei Verteidiger und legte den Ball in den Korb. Westbrooks Mitspieler sollten kein Gehalt bekommen, sondern Geld bezahlen für ihre privilegierten Stehplätze bei der Show des Alleinunterhaltes.

"Ich muss lernen, meinen Kollegen zu vertrauen"

Westbrook schaffte 51 Punkte an diesem Abend, er gab 13 Vorlagen und sammelte zehn Rebounds ein. Ein Triple Double, natürlich. Seine Mannschaft verlor dennoch 111:115 - auch, weil Westbrook im Schlussviertel nur vier von 18 Würfen traf und trotz der Fehlwürfe lieber den Alleinunterhalter als den Dirigenten eines Ensembles gab. James Harden, einstiger Mitspieler und nun neben Kawhi Leonard von den San Antonio Spurs einziger ernsthafter MVP-Konkurrent, gelangen 35 Punkte und acht Vorlagen. Das Ergebnis verdeutlichte den Zauber und den Fluch von Thunder: So lange Westbrook herausragend spielt, kann Oklahoma City jeden Gegner ärgern - aber wohl nicht ernsthaft in einer Best-of-seven-Serie gefährden. Gegen die Rockets steht es nun 0:2.

Westbrook beschwert sich nicht über diese Situation, sondern lieber über sich selbst: "Ich interessiere mich einen Dreck für meine Statistiken. Ich muss lernen, meinen Kollegen zu vertrauen und sie auch am Ende von Partien zu suchen." Mit seinen Flickklappen-Jeans und seinem Hawaiihemd wirkte wie ein trotziger Teenager: "Wir haben gezeigt, dass wir mithalten können. Jetzt müssen wir bei den beiden Heimspielen zeigen, dass wir auch gewinnen können." Er war wütend, aber nicht verzweifelt. Im Buch von Beaumont heißt es dazu: "Auch wenn ich mal schrecklich aussehe, mag ich mich nicht weniger. Nichts in der Welt kann ändern, wer ich bin - und ich mag mich, weil ich ich bin."

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