Österreichs Skispringer:Platz 19, 20, 31, 35, 47, 48

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Enttäuschung zum Jahresbeginn: Stefan Kraft verpasste in Garmisch-Partenkirchen den zweiten Durchgang. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Österreichs Skispringer müssen das schlechteste Tourneeergebnis seit 1979 verkraften.
  • Doppelweltmeister Stefan Kraft scheiterte in Garmisch bereits im ersten Durchgang.
  • Einen Monat vor den Olympischen Spielen ist die Stimmung am Boden.

Von Volker Kreisl, Garmisch-Partenkirchen

Weggeflogen ist der Schutzschirm mit leichter Verzögerung, Stefan Kraft war da schon nicht mehr zu sehen. Nach seinem missratenen Sprung war er schnell aus dem Stadion verschwunden, was jeder verstand. Ob er da, wo er sich aufhielt, noch auf die Liste der Lucky Loser schielte, der fünf besten Unterlegenen des ersten Durchgangs? Eher unwahrscheinlich, der Doppelweltmeister ist zu erfahren, um an Wunder zu glauben. Genau sieben Minuten später war es dann so weit: Der Name Stefan Kraft rutschte vom letzten Nachrückerplatz für den Finaldurchgang - und damit raus aus dem Wettbewerb des Neujahrsspringens.

Seit Wochen ist der Pongauer Kraft die einzige Hoffnung des einst großen, immer noch hoch ambitionierten, aber angeschlagenen österreichischen Skisprungteams. Die Enttäuschungen für den Verband ÖSV waren schon lange offensichtlich - aber noch zu ertragen, solange der 24 Jahre alte Kraft im Rennen ums Tourneepodest blieb und den anderen Schatten spendete. Jetzt aber liegt die Misere offen da - nur, welche historische Dimension hat sie eigentlich genau? Auf alles, aber nicht auf so ein Debakel war das Land gefasst, seine Reporter fahndeten in hektischer Recherche - und wurden im Jahr 1979 fündig. Auch damals waren nur zwei ÖSV-Tournee-Springer weitergekommen.

Die besten Zehn der Tournee-Gesamtwertung sind in weiter Ferne

Bester Österreicher in Garmisch war Gregor Schlierenzauer. Einst war er der Beste von Austrias Superadlern, er ist Rekord-Weltcup-Gewinner, arbeitet seit Jahren an seiner Form, und er pfeift in diesem Fall vermutlich auf den Titel des besten Österreichers an Neujahr, denn er kam nur auf Platz 19. Zwanzigster wurde der Niederösterreicher Michael Hayböck, der Rest folgte auf den Rängen 31, 35, 47 und 48.

Schlaff in der Luft: Österreichs Cheftrainer Heinz Kuttin winkt derzeit freudlos seine formschwachen Springer nach unten. (Foto: imago)

Im Tournee-Ranking sieht es ähnlich aus, nur Schlierenzauer hat noch geringe Chancen, die Top Ten zu erreichen. Im Gesamtweltcup ist Kraft auf Platz fünf abgerutscht, der nächstbeste Teamkollege aus Österreich folgt auf Rang 20.

Nächste Station auf der Tourneereise ist ab Mittwoch Innsbruck, das Herz der Skisprungkultur des Landes. Bis Dienstag waren für die Wettkämpfe dort noch Tausende Tickets zu haben, diese loszuwerden, ist nun nicht leicht. Es braucht gute Nachrichten für die Fans oder wenigstens das Gefühl, die wohl verfahrene Lage zu verstehen: "Die Situation ist schwierig", sagt aber Cheftrainer Heinz Kuttin, "das liegt uns im Magen." Ernst Vettori, der Sportliche Leiter im Verband, schätzt eine schnelle Wende als "verdammt schwer" ein. Kraft erklärte in erster Enttäuschung über seinen missratenen Sprung: "Ich bin ratlos."

Für den Spitzensport ist das natürlich eine völlig falsche Antwort. Ratlos zu sein in so einer Lage, das ist verboten! Es braucht Gründe, konkrete Fehler und Urheber für diese - und Verantwortliche. Der frühere Super-Adler-Trainer Alexander Pointner deutete in der Tiroler Tageszeitung an, wo die Schuld liegen könnte: bei Kuttin! Jedenfalls habe das Team zu lange darauf gesetzt, an Fehlern zu arbeiten, es habe dabei nie ein Gefühl für Körper und Sprung entwickeln können. Allgemein glauben Kritiker, die Nachwuchsarbeit sei vernachlässigt worden, das Selbstbewusstsein fehle.

Ein intensives Gefühl für den Körper war allerdings schon da, zumindest bei Hayböck und Schlierenzauer, nämlich das für die Schmerzen im gerissenen Seitenband im Sprunggelenk beziehungsweise im Knie. Die Frage stellt sich somit, ob es zwingend Kuttins Schuld ist, dass Hayböck vor der Saison beim Treppenlaufen umgeknickt und Schlierenzauer beim Gleittraining gestürzt war, wodurch die beiden Aussichtsreichsten hinter Kraft weit zurückgeworfen wurden. Kuttin war natürlich nicht schuld, er gab den beiden Ruhe und Vertrauen, aber die Psyche des Skispringers braucht Zeit.

Unstrittig fehlt dem Team zudem jene Basis, die einen hochklassigen Wettbewerb bereits im Training ermöglicht. Das hat offenbar auch den ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel alarmiert, er telefonierte bald nach dem Garmischer Springen mit Vettori. Und noch am Neujahrsabend kündigte der Sportleiter an, "alles zu hinterfragen", jeden Lösungsansatz zu untersuchen, nichts unversucht zu lassen, auch vor Personalentscheidungen nicht zurückzuschrecken - wobei Vettori in Betracht zog, selber rausfliegen zu können.

Was das aber für den Akutfall bringen soll, ist nicht ganz klar. Kurz vor Großereignissen wie Olympischen Spielen einen Trainer zu wechseln, hilft in diesem Sport wohl nichts. Blockierte Springer müssen sich anders befreien. Sie werden von erfolgreichen Kollegen mitgerissen, finden vielleicht irgendeinen versteckten Fehler, etwa im Anlauf, oder sie müssen aus einem belastenden Umfeld herausgeholt werden. Kuttin gilt jedoch als fürsorglicher Coach, erst im Sommer hatte er das Training weiter auf den Einzelnen zugeschnitten, und zu Standpauken neigt er nicht.

Die Misere wird daher das Skisprungland noch eine Weile beschäftigen. Aber für den Absturz seines ratlosen Topspringers Kraft hat Kuttin schon jetzt eine simple Erklärung: Der habe "verkrampft", weil er in Garmisch unbedingt den Anschluss halten musste an die Tourneespitze, als fliegender Schutzschirm für alle anderen. Logischer Schluss: Jetzt, da die Tournee verloren ist, könne Kraft schon in Innsbruck befreit aufspringen, sagt Kuttin: "Der Druck ist weg."

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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