Österreichs Rubin Okotie:Spritzig dank Schinderheini

Austria's Okotie and coach Koller celebrate after their Euro 2016 group G qualifying match against Montenegro in Vienna

"Ich wollte vorne einen klassischen Stürmer haben", sagte Österreichs Trainer Koller (r.) über seinen Plan, Rubin Okotie (l.) eine Chance zu geben.

(Foto: Heinz-Peter Bader/Reuters)

Österreich steht auf Platz eins der Qualifikationsgruppe G - auch dank des eindrucksvollen Comebacks von Rubin Okotie. Der Stürmer des TSV 1860 vollzieht eine wundersame Wandlung.

Von Philipp Schneider

Ist es wirklich so einfach? Ewig verletzter, abschlussschwacher Stürmer gönnt sich endlich einen privaten Fitnesstrainer, verlobt sich mit seiner Freundin, wird Vater - und verwandelt sich quasi über Nacht in eine quietschfidele Tormaschine, die erst die zweite deutsche Liga in Staunen versetzt, und dann auch noch die Alpenrepublik Österreich? Nun, ganz sicher nicht. Aber irgendwas wird schon dran sein an Rubin Okoties Selbstdiagnose, die er anstellte nach jener Partie, die er jetzt einfach noch als Sahnehäubchen obendrauf gesetzt hat auf seine ohnehin sehr wundersame Wandlung.

Am Sonntagabend stand er im Bauch des Wiener Ernst-Happel-Stadions, Österreichs Nationalelf hatte soeben Montenegro 1:0 besiegt in der Qualifikation für die Europameisterschaft, und Rubin Okotie, er hatte das Spiel entschieden mit seinem ersten Tor für Österreich. Sechs Jahre, nachdem der inzwischen 27-Jährige zuletzt in einem Länderspiel hatte auflaufen dürfen. "Es ist ein unglaubliches Gefühl, sportlich und privat geht es mir sehr gut", sagte Okotie jedenfalls, als alle von ihm wissen wollten, was er denn selbst glaube, weswegen er nun im Herbst seiner Karriere noch einmal den Frühling erleben darf.

"Und Heini", sagte Okotie, auf keinen Fall dürfe man Heini vergessen: "Durch die Zusammenarbeit mit Heini fühle ich mich spritzig und gut." Davor habe er immer zu viel trainiert, nie sei er fit gewesen, "immer übermüdet und ständig platt". Heini, das ist Heinrich Bergmüller, ein Leistungsdiagnostiker, der die Skifahrer Maria Höfl-Riesch und Hermann Maier betreute und dem einst weniger glückliche Patienten den Spitznamen "Schinderheini" verpassten. Irgendwas mag da schon dran sein.

Rubin Okotie, der Sohn eines nigerianischen Diplomaten und einer Österreicherin, die sich irgendwann urlaubend auf Gran Canaria lieben lernten, ist im Sommer zum TSV 1860 München gewechselt. Dort empfing ihn der inzwischen beurlaubte Trainer Ricardo Moniz mit der Prophezeiung, für Okotie gehe es fortan "um Alles oder Nichts. Er hat physisch jahrelang nicht seine 100 Prozent geholt. Er ist ein Typ, aber er hat sein Potenzial noch nicht eingelöst."

Moniz, ein gelernter Physiotherapeut mit der Vorliebe für 600 Sit-ups nacheinander, widmete daraufhin den Großteil seines Einzeltrainings seinem neuen Stürmer. Und Okotie dankte ihm diese Zuneigung mit Toren wie am Band, sechsmal traf er in neun Ligaspielen. Der Österreicher ist inzwischen so etwas wie eine singuläre Schönheit im Spiel der Münchner, ohne Okotie stünde die Mannschaft längst auf einem Abstiegsplatz.

Physisch präsent

Unweigerlich drang die Kunde jenes neuerdings treffsicheren Stürmers an das Ohr von Österreichs Nationaltrainer Marcel Koller, schon im September nominierte er ihn, doch erst im Spiel gegen Montenegro bekam Okotie seine Chance - als Ersatz für den rotgesperrten Marc Janko. Koller gab Okotie den Vorzug vor Ingolstadts Lukas Hinterseer, "ich wollte einen klassischen Stürmer vorne haben. Hinterseer ist doch jemand, der mehr aus der Tiefe kommt", sagte Koller über seinen Plan, der dann auch vortrefflich funktionierte.

Recht klassisch an Okotie ist vor allem seine Spielanlage, bei 1,88 Meter Körpergröße ist er beidfüßig veranlagt und kopfballstark. Er ist ein Mittelstürmer, der mit seiner Statur die Bälle behaupten kann im gegnerischen Strafraum, kein sprintstarker, filigraner Techniker. Der Stürmer Okotie lebt von seiner physischen Präsenz, und zuletzt hat er mehrfach betont, er sei zum ersten Mal in seiner Karriere vollkommen beschwerdefrei.

Nach vier Jahren bei Austria Wien war Okotie 2010 zum 1. FC Nürnberg gewechselt, doch der verlieh ihn nach nur vier Einsätzen zum VV St. Truiden in Belgien. Anschließend spielte Okotie ein Jahr lang für Sturm Graz, kehrte wieder zurück zu Austria Wien - und nach einem Umweg über Sønderjysk Elitesport in Dänemark, transferierte ihn Sechzigs Sportchef Gerhard Poschner nach München. All die Jahre litt Okotie unter Knieproblemen, mit 18 wurde er am Meniskus operiert, 2009 verletzte er sich erneut, Diagnose: Knorpelschaden.

Dass ihm nun ein Tor in der EM-Qualifikation gelang, das Österreich sogar an die Tabellenspitze der Gruppe G beförderte, konnte Okotie am Sonntag kaum fassen. Er wusste aber, wem er den Treffer widmen wollte: seiner künftigen Ehefrau und dem vier Wochen alten Sohn Tiamo Romero. Im vergangenen Dezember erst hatte Wiens Trainer Nenad Bjelica Okotie wegen Meinungsverschiedenheiten zunächst aus dem Kader gestrichen und anschließend nach Dänemark transferiert.

Mag sein, dass die Vaterschaft Okotie zusätzlich diszipliniert hat. Manche Dinge sind ja wirklich so einfach.

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