Österreich - Ungarn:Österreich scheitert an der Jogginghose

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Gabor Kiraly im Tor der Ungarn. (Foto: REUTERS)
  • Obwohl Österreich besser in das Spiel kommt, gewinnt Ungarn durch Tore von Szalai und Stieber mit 2:0.
  • Das Team von Marcel Koller spielte ab der 66. Minute nur noch mit zehn Mann. Aleksandar Dragovic sieht Gelb-Rot.
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Von Javier Cáceres, Bordeaux

Es wäre jetzt ein Leichtes, an die famose Sottise des Modeschöpfers Karl Lagerfeld zu erinnern. "Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren", sagte Lagerfeld einmal, und das Zitat erlangte im Rahmen der Partie, die Österreich und Ungarn in der Gruppe F der Europameisterschaft am Dienstag in Bordeaux austrugen, deshalb Relevanz, weil im Tor der Ungarn Gabor Kiraly stand - seit Jahren dafür bekannt, dass er das Tor in Schlabberhose hütet.

Kiraly war eine Nachricht, weil er am Dienstag 40 Jahre und 74 Tage alt war - und den früheren deutschen Nationalmannschaftskapitän Lothar Matthäus als EM-Methusalem beerbte. Matthäus war 39 Jahre und 91 Tage alt, als er im Jahr 2000 der 0:3-Niederlage Deutschlands gegen Portugal in Rotterdam beiwohnte. "Gratulation", twitterte Matthäus kurz nach Anpfiff. Dann aber wurde Kiraly überstrahlt - vom 2:0-Sieg der Ungarn, die vom Deutschen Bernd Storck trainiert werden. Es war ihr 67. Sieg im 137. Nachbarduell. "Es ist ein Traum in Erfüllung gegangen! Jeder meiner Spieler ist über sich hinausgewachsen, es war toll, grandios", sagte Storck in seiner Euphorie nach dem Sieg. "Das kann man nicht besser spielen als wir in der zweiten Halbzeit. Bravo!" Österreich hingegen muss nun immer noch auf den ersten EM-Endrundensieg warten.

Der Sieg der Ungarn war in der Tat überaus verdient. Wegbereiter war Stürmer Adam Szalai, was angesichts der mageren Bundesliga-Torausbeute des Hannoveraners (ein Tor in der Saison 2015/16) ebenfalls den Rang einer Nachricht erhielt. In der 61. Minute manövrierte er die Abwehr der Österreicher zusammen mit Laszlo Kleinheisler aus, sie waren von zwei Doppelpässen überfordert. Der freigespielte Szalai spitzelte den Ball unter Torwart Robert Almer hindurch. Als dann acht Minuten später Österreichs Innenverteidiger Aleksandar Dragovic mit gelb-rot vom Platz musste, wurde das Remis für die Österreicher zur unmöglichen Mission. Ein Konter, den Stürmer Zoltan Stieber nach einem langen Pass von Tamas Priskin mit einem Lupfer abschloss (86.), besiegelte die Niederlage der Österreicher.

In Stieber traf wieder ein Bundesliga-Akteur: Der Ungar steht beim Hamburger SV unter Vertrag und war in der vergangenen Rückrunde an den 1. FC Nürnberg ausgeliehen, bei dem er sechs Spiele bestritt. "Die Enttäuschung ist sehr groß", klagte David Alaba vom FC Bayern nach dem Spiel: "Aber wir dürfen den Kopf jetzt nicht hängenlassen. Wir können die nächsten beiden Spiele gewinnen." Der künftige Leverkusener Julian Baumgartlinger befand: "Das ist eine herbe Enttäuschung.

Nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Art und Weise." Bis zu Szalais Tor waren die Ungarn durch technisch anregendes Spiel aufgefallen. Aber auch dadurch, dass ihnen vorne jegliche Durchschlagskraft zu fehlen schien. Die Österreicher ließen sich davon offenkundig irritieren. Denn im Grunde hatten sie die Partie besser begonnen. Keine Minute war vergangen, als Alaba mit einem Distanzschuss den rechten Pfosten traf. In der 10. Minute kam Alaba nach einem Pass von Marko Arnautovic durch einen Flachschuss zu einer weiteren Chance. Doch je länger das Spiel dauerte, desto mehr ging den Österreichern das ab, was sie zu Beginn der Partie zuhauf gezeigt hatten: Präzision im schnellen Passspiel - und vor allem Geduld. Die Österreicher hatten einmal Pech - Kiraly lenkte einen Schuss von Werder Bremens Zlatko Junuzovic zur Ecke ab (35. Minute) - und scheiterten wenig drauf an einer Fehlentscheidung von Marko Arnautovic.

Nach einem wundervollen Doppelpass auf der linken Seite mit Junuzovic, den er kunstvoll mit einem Absatzkick bediente, spielte Arnautovic Martin Harnik am zweiten Pfosten an, statt den freistehenden Marko Janko im Sturmzentrum zu bedienen. Kurz vor der Pause hatten die Österreicher ihren ersten Schreckensmoment zu überstehen. Kapitän Balasz Dzsudzsak preschte in den Strafraum vor - legte nach einem Pass von Kleinheisler den Ball aber am linken Pfosten vorbei. Nach der Pause versuchte es Dzsudzsak alleine: Mit einem gewaltigen Distanzschuss prüfte er die Konsistenz der Fäuste des ungarischen Torwarts Robert Almer (55.). Sie hielten der Prüfung stand; ebenso die Fingerkuppen, als er einen Fernschuss von Krisztian Nemeth (72.) ablenkte. Die Laune der Österreicher wurde nach dem Schlusspfiff zusätzlich getrübt, nachdem klar war, dass sich Junuzovic am rechten Knöchel verletzt hatte. Er humpelte an Krücken aus dem Stadion in Bordeaux. "Er ist umgeknickt und hat große Schmerzen", sagte Trainer Marcel Koller. Nach einer ersten Untersuchung sollen die Bänder aber nicht beschädigt worden sein. Der Torwart des Tages war aber Kiraly, der eigentlich erst nach dem 2:0 seiner Ungarn ins Schwitzen kam: als er über den ganzen Platz stürmte, um mitzujubeln. "Das war eine Topleistung. Wir haben an unsere Arbeit geglaubt", sagte Gabor Kiraly.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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