Österreich bei Frauenfußball-EM:Sie verdrängen die Männer ins Vorabendprogramm

FUSSBALL FRAUEN-EM 'EURO 2017': ISLAND -ÖSTERREICH

Die Partytruppe der Frauenfußball-Europameisterschaft - Österreich feiert.

(Foto: Hans Punz/dpa)
  • Österreich ist der Außenseiter bei der Frauenfußball-EM - doch nun stehen sie im Viertelfinale.
  • Das Team hat keine Weltklassespielerin, hält aber zusammen wie keine andere Mannschaft.
  • Österreichs Party ist noch nicht zu Ende.

Von Anna Dreher, Rotterdam

Nina Burger hüpfte und lachte und jubelte. Das Stadion in Rotterdam, der begeisterte Applaus der Fans, die strahlenden Gesichter ihrer Mitspielerinnen - all das fühlte sich echt an. Aber konnte das sein? "Ich weiß noch gar nicht, ob das ein Traum ist oder nicht. Ich muss das auch erst alles verkraften, morgen wird's vielleicht real", sagte Burger, als sie die erste Jubelrunde auf dem Fußballplatz hinter sich hatte. "Es ist wie ein Märchen, das hat man sich nicht schöner vorstellen können."

Ihre Mitspielerinnen hüpften singend in einer Polonaise durch die Gänge, sie zogen einen Lautsprecher auf Rollen mit Disco-Beleuchtung hinter sich her, und auch sie fragten sich wohl, ob das alles wahr sein könne. Doch ausgedacht hat sich diese Geschichte keiner: Österreichs Frauenfußballnationalmannschaft ist nach einem 3:0-Sieg gegen Island als Gruppensieger ins Viertelfinale der Europameisterschaft eingezogen. Erstmals. Team Austria ist die Überraschung des Turniers.

Außenseiter unter Turnierfavoriten

"Das ist nicht nur für den Frauenfußball ein großer Erfolg, sondern hebt das Renommee des ganzen österreichischen Fußballs", sagte der dafür verantwortliche Trainer Dominik Thalhammer. "Wir haben alles umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben." Als krasser Außenseiter war Österreich in einer Gruppe mit Frankreich, einem der Turnierfavoriten, Island und der Schweiz gestartet. Doch dann kam alles anders: Schon gegen die Schweiz gelang ein Sieg (1:0), und das Remis (1:1) gegen Frankreich wurde gefeiert, als sei es ebenfalls einer. Gegen Island hätte ein Punkt gereicht, doch damit gab man sich nicht zufrieden. Sarah Zadrazil (36.), Österreichs Rekordtorschützin Nina Burger (44.) und Stefanie Enzinger (90.) sorgten für den Gruppensieg - vor Frankreich, das sich beim zeitgleichen 1:1 gegen die Schweiz erneut schwertat. "Wir haben sehr gut gearbeitet, waren physisch stark und haben taktisch diszipliniert gespielt", sagte Burger. "Am Ergebnis merkt man, dass wir sehr viel richtig gemacht haben."

Der Viertelfinal-Einzug ist der Höhepunkt einer Entwicklung, die eng mit Dominik Thalhammer, 46, verknüpft ist. 2011 wurde unter seiner Leitung in St. Pölten das nationale Zentrum für Frauenfußball gegründet, die erste derartige Schule in Österreich. Acht Spielerinnen aus dem EM-Kader entstammen der Akademie für 14- bis 19-Jährige, die sich als Talentschmiede bewährt hat. 2016 übernahm Thalhammer parallel dazu das Amt des Teamchefs, nachdem Amtsinhaber Ernst Weber plötzlich verstarb. "Wir müssen unsere Landsleute davon überzeugen, dass Frauenfußball ein fantastischer Sport ist", sagte Thalhammer kurz vor der Reise zum EM-Turnier. "Die Spielerinnen verdienen Respekt und Anerkennung." Er hoffe auf eine gewisse Sogwirkung durch die EM in der Bevölkerung, aus der gerade einmal 20 000 Spielerinnen in Mannschaften organisiert sind. Da gebe es noch viel Potenzial.

"Wir haben einen krassen Zusammenhalt"

Dass Österreich mit dem jüngsten Kader des Turniers (Durchschnittsalter 23,2 Jahre) noch keine Spielerinnen auf Weltklasse-Niveau hat, war Thalhammer bewusst. Also passte er seine Spielstrategie und die Rahmenbedingungen an. Er stellte eine Sportpsychologin ein, die den Österreicherinnen offenbar zu jener mentalen Stärke verhalf, die das Team in der Gruppenphase auf den Rasen brachte. "Wir haben einen krassen Zusammenhalt und gezeigt, dass wir ein kleines Land sind, in dem viel steckt", sagte Manuela Zinsberger, die Ersatztorhüterin beim FC Bayern ist. Wie 13 andere im ÖFB-Kader spielt die 21-Jährige in der deutschen Bundesliga. In Österreich sind die Strukturen der Liga noch weit von Profifußball entfernt. Es fehlt an Sponsoren und somit an Geld, das Interesse der Medien und der finanzkräftigen Männervereine ist gering.

Die durch die EM ausgelöste Begeisterung aber ist im Land nun so groß, dass selbst Österreichs größter Fernsehsender zum ersten Mal überhaupt die Spiele der Frauen zur Primetime zeigt. Schon gegen die Schweiz und Frankreich schalteten nach Angaben des ORF fast eine halbe Million Zuschauer ein - was einem Marktanteil von 22 Prozent entspricht. Keine andere Sendung weckte im ORF in dieser Woche mehr Interesse. Das Qualifikations-Hinspiel in der Champions League vom österreichischen Meister RB Salzburg gegen HNK Rijeka (1:1) wurde ins Vorabendprogramm verlegt. Um 20.45 Uhr zeigte der Sender lieber das letzte Vorrundenspiel der Österreicherinnen.

Als die Fernsehzuschauer am Mittwochabend alles gesehen hatten und die Polonaise getanzt war, stieg eine Spielerin nach der anderen in den Mannschaftsbus ein, müde und glücklich. Bis zur Ankunft im Teamhotel lagen noch 100 Kilometer vor ihnen. Doch die Decke im Bus wurde bereits von bunten Lichtkegeln ausgeleuchtet, die sich im Rhythmus der nachhallenden Musik bewegten. Österreichs Party ist noch nicht zu Ende.

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