Oberstdorf:Wunder oder Wahnsinn?

Österreichs Skispringer fiebern dem Tournee-Start entgegen; die Deutschen inszenieren eine Krise.

Von Thomas Hahn

Von der Sonne seiner Kärntner Heimat hat der Skispringer Thomas Morgenstern das Strahlen gelernt, und aus Erfahrung weiß er, dass es gar nichts bringt, zu viel zu erwarten. Beim Weltcup in Harrachov hat er sich einen Ausrutscher auf Platz 18 erlaubt, was nach Morgensterns eigener Erkenntnis auch damit zu tun hatte, dass er sich zu viel vorgenommen hatte. In Engelberg hat er es dann wieder ohne schwere Gedanken probiert, wurde Zweiter und will das Konzept nun auch bei der Vierschanzentournee anwenden. Also freut er sich mehr auf deren Start am heutigen Mittwoch in Oberstdorf (16.30 Uhr, RTL), als dass er sich von Erwartungen verwirren lässt. Natürlich, er ist Morgenstern, Österreichs 18-jähriges Wunderkind und nach gängiger Lehrmeinung der Schanzenkönig von morgen. Aber soll ihn das kümmern? ¸¸Mir taugt des, wenn mir jemand sogt, dass i unter die Drei hupfen kann", sagt er. Druck von außen will er nicht kennen. Und dass einige Romantiker die Tournee zur übermenschlichen Anstrengung verklären, findet er übertrieben. Morgenstern sagt: ¸¸I waaß aa ned, wos da strapaziös sein soll."

Solche Knaben schickt der Himmel, und wenn man der Botschaft glaubte, die Morgenstern gestern bei der Qualifikation zurückließ, wird man noch einiges erleben können mit ihm. Da brach er seinen Sprung vorzeitig ab und setzte sich lieber auf Platz sieben mit 132 m statt zu gewinnen, um dem K.o.-Duell mit dem polnischen Mitfavoriten Adam Malysz zu entgehen, der den Prolog ausgelassen hatte; das bestreitet nun der finnische Weltcup-Führende Janne Ahonen als Quali-Bester mit 135 m. Diese Bremsung war ein Akt der Berechnung, und damit nicht unbedingt typisch für Morgenstern. Denn ihn scheint sein Talent manchmal sogar ein bisschen zu tief ins Risiko zu treiben. Vergangenes Jahr saß er auf dem windumtosten Sprungturm von Kuusamo, sah, wie der Deutsche Schmitt notlanden musste, erlebte, wie eine Böe seinen Landsmann Kofler verwehte. Und sprang trotzdem mit voller Kraft hinaus in den Sturm. Sturz und Schrecken. Man trug ihn auf der Bahre aus dem Stadion, und alle waren sehr betroffen. Außer Morgenstern. Drei Wochen nach dem Unfall sprang er wieder. Heute sagt er: ¸¸I tät"s wieder tun." Wunder oder Wahnsinn?

Diese Frage interessiert die Österreicher nur am Rande. Morgenstern ist schließlich einer der Gründe, warum sie zuversichtlich auf die nächsten Tage schauen. Der Weltcup-Dritte Martin Höllwarth ist ein weiterer, und auch der siebtplatzierte Andreas Widhölzl, der 2000 den letzten Tournee-Sieg eines Österreichers feierte. Österreichs Team fühlt sich so wohl wie selten vor einer Tournee, was einerseits an Ahonen liegt, der zuletzt wohl auch vom Oberstdorfer Kirchturm hätte springen können und trotzdem mit Bestweite gelandet wäre, so souverän wie er die Szene beherrschte. Jedenfalls hat Österreichs Cheftrainer Alexander Pointner gerne eingestimmt in den Chor der Ahonen-Bewunderer und seine Männer in die bequeme Rolle der Jäger gerückt.

Vielleicht liegt es aber auch ein bisschen daran, dass ihre ganz speziellen Rivalen, die wichtigen Deutschen, zuletzt mit Rückstand zu ihnen landeten.

Deren Problem ist, dass sie keinen Nachfolger für die früheren Seriensieger Sven Hannawald (Burn-Out-Syndrom) und Martin Schmitt (Formkrise) haben, stattdessen das Trio Alexander Herr/Georg Späth/Michael Uhrmann auf den soliden Weltcup-Rängen zehn, elf, 14 und schlechte Laune. Wobei Letzteres nicht aufgefallen wäre, wenn nicht der Deutsche Skiverband mit seinem Partner RTL eine Pressekonferenz dazu veranstaltet hätte. Das selbst gewählte Thema: die Krisenstimmung. Es gab einen kurzen Film, der Frohsinn in diesen vermeintlich trüben Zeiten stiften sollte. Danach sagte RTL-Sportchef Manfred Loppe, dass ¸¸von Depression überhaupt keine Rede sein" könne. Ehe RTL-Kommentator Dieter Thoma schimpfte: ¸¸Ich kann es nicht mehr hören, dieses ganze Krisengehabe." Und Bundestrainer Peter Rohwein den Pressevertretern zurief: ¸¸Ich appelliere an Ihre Vernunft." Er und seine Leute versuchten ¸¸hier "ne tolle Leistung zu zeigen", weshalb sie ¸¸dementsprechend" gewürdigt werden sollten, ¸¸und nicht immer nur draufgehauen".

Da hatten die Herren ihre Nasen offensichtlich wieder einmal etwas zu tief in einzelne Ausgaben der Bild-Zeitung gesteckt, die man in Skispringerkreisen auch gerne ¸¸die Medien" nennt. Oder auch nicht, so ganz wurde das nicht klar, weil Rohwein eigentlich angegeben hatte: ¸¸Ich lese mittlerweile keine Zeitung mehr." Jedenfalls hatten die Redner die Krise durch ihre Dementis endlich mal wieder so richtig auf die Bühne gebracht. Und so wirkte es auch gar nicht zeitgemäß, dass Herr munter einwandte: ¸¸Jeder von uns ist dahergefahren, um das Ding zu gewinnen." Und dass sich in der Qualifikation zwölf Deutsche für den Wettkampf empfahlen, inklusive eines verbesserten Schmitt, der 16. wurde.

Glückliches Österreich. Da stört den Morgenstern keiner, der sich wundert über die Leut", die immer sagen, dass die Tournee so eine reiseintensive Geschichte sei, obwohl doch jeder weiß, dass man von Ort zu Ort mit dem Auto fahren kann (¸¸Nach Innsbruck is" aa nur a Stund""). Dem die Ruhetage zu lang sind, weil er sagt: ¸¸I kann ja aa ned vierazwanz"g Stund"n auslaufen." Der am Tag vor dem Start erklärt: ¸¸I g"frei mich schon so auf morgen." Und der strahlt, als wäre es das Schönste auf der ganzen Welt, ein Skispringer zu sein.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: