Nürnberg - Everton:"Nicht aufgeben, ihr habt super gespielt"

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Beim 0:2 gegen Everton wurden mal wieder die Nürnberger Defizite sichtbar: Chancenverwertung, Schnelligkeit und Fehlervermeidung.

Thomas Hummel, Nürnberg

Einige Spieler schleppten sich mehr als dass sie liefen. Peer Kluge und der Brasilianer Glauber konnten die Beine kaum mehr heben. Doch sie mussten weiter, es sah aus wie eine Wüstenkarawane, in der die Schwächsten versuchen, den Anschluss an die Gruppe nicht zu verlieren.

Eine Stunde nach Spielschluss, die Uhr tickte der Mitternacht entgegen, liefen die Profis des 1.FC Nürnberg immer noch durch das Stadion, das Flutlicht bot noch ein schummriges Restlicht, die Fernsehleute rollten ihre Kabel ein, Helfer sammelten die Sitzkissen von den Logenplätzen. Als der Assistenztrainer die matten Läufer endlich erlöste und in den Kabinengang schickte, hallte plötzlich lautes Klatschen vom ersten Rang. "Nicht aufgeben, ihr habt super gespielt", rief der letzte ausharrende Fan mit leicht zittriger Stimme herunter. Doch die Spieler hoben kaum den Kopf.

Das 0:2 zum Auftakt der Uefa-Cup-Gruppenphase zu Hause gegen den FC Everton hat den 1. FC Nürnberg hart getroffen. Das Spiel gegen die Engländer legte so schamlos das Dilemma dieser Mannschaft (ja im Grund der ganzen Bundesliga) bloß, dass es die Beteiligten nur deprimiert zurücklassen konnte. Die Defizite in den Punkten Chancenverwertung, Schnelligkeit und Fehlervermeidung wurden wieder einmal brutal deutlich.

Dabei hatte sich die Stadt auf diesen Abend gefreut - endlich wieder das große Europa in Nürnberg. Der FC Everton hatte selbst an diesem Donnerstag ein paar tausend Fans mitgebracht, einige Nürnberger schwärmten später davon, dass die Stimmung tagsüber noch besser gewesen sei als während der WM 2006. Die heimischen Fans begrüßten den Drittletzten der Bundesliga mit dem Spruchband "Jetzt genießen wir in Europa noch viele schöne Stunden" und versuchten anschließend alles, um lauter zu singen als die englischen Anhänger, was ihnen überraschenderweise meistens gelang.

Der Willkommensgruß des FC Everton auf dem Platz dröhnte den Nürnbergern allerdings ebenso in den Ohren. Nach 18 Sekunden Spielzeit schoss Amatriain Arteta, Club-Torwart Jaromir Blazek brachte noch die Finger dazwischen, den Nachschuss lenkte er mit Wucht an den eigenen Pfosten. Als die Engländer kurz darauf wieder ein heilloses Durcheinander in der heimischen Abwehr stifteten, stöhnten die ersten Beobachter bereits: "Das geht aber schnell."

In den folgenden 80 Minuten schaffte es der 1. FC Nürnberg, mit großem läuferischen Aufwand die Spielkontrolle zu gewinnen und erarbeitete sich auch drei schöne Chancen. Peer Kluge zielte knapp vorbei (22.), Dominik Reinhardt (29.) und Marek Mintal (48.) scheiterten an Everton-Torwart Tim Howard. Es gab in dieser Phase viel Gutes zu bestaunen, zum Beispiel die filigrane Technik des Zvjezdan Misimovic, den unermüdlichen Antrieb von Kluge, die gefährlichen Vorstöße von Rechtsverteidiger Reinhardt oder das stabile Handwerk der Nürnberger Abwehr.

Doch wie schon bei den deutschen Kollegen in der Champions League, so bleibt am Ende die Erkenntnis, dass Feldvorteile und mehr Ballbesitz allein nicht reichen, um international zu bestehen. Nürnberg fehlt vorne ein Vollstrecker, der die wenigen Möglichkeiten nutzt. Während die taktisch auf hohem Niveau verteidigenden Engländer auf den einen Fehler in der Nürnberger Abwehr warteten, um das Spiel entscheiden zu können. Acht Minuten vor Schluss war es soweit.

Kurz nach seiner Einwechslung drehte sich der 19-jährige Victor Anichebe am Strafraum blitzschnell um Glauber herum und stand plötzlich frei vor dem Tor. Der Brasilianer wusste sich nicht anders zu helfen, als sich wie ein Dornbusch an ihn zu hängen und nicht wieder loszulassen. Irgendwann fiel Anichebe, Arteta verwandelte den anschließenden Elfmeter zum 1:0. Kurz darauf ließ Anichebe in einer fast identischen Aktion den Nürnberger Mnari stehen und schickte den Ball dann selbst aus spitzem Winkel ins Netz (88.).

Als das Spiel wenig später abgepfiffen wurde, sprintete Club-Trainer Hans Meyer fast in die Kabine. Seine Augen lagen sehr tief und seine Zunge spielte aufgeregt an den Lippen. "Ich bin heute mehr angefressen als zuletzt in der Bundesliga", schimpfte er. Er beklagte den "katastrophalen Abspielfehler" von Ivan Saenko vor dem 0:1 und dass seine Abwehr dann den "langsamsten Spieler (Glauber) gegen den schnellsten Spieler auf der Insel (Anichebe)" verteidigen lässt. "Das ist einfach unprofessionell."

Dominik Reinhardt reagierte auf die ungewohnt scharfe Kritik des Trainers mit passenden Worten: "Das geht so schnell, da ist dann halt ein anderer mal dran." Wie schon in den ersten Sekunden verstand es der FC Everton auch bei den beiden Toren, das Tempo derart zu erhöhen, dass die Nürnberger Abwehr wie durch eine unerwartete Böe zerzaust wurde. Diese Qualität fehlte den Gastgebern, die zwar fast das gesamte Spiel überlegen waren, aber weder das Tempo variieren noch durch eine individuelle Aktion Verwirrung stiften konnten. Und so vertiefte dieses Spiel die Erkenntnis, dass die Bundesliga-Klubs in Europa derzeit einen schweren Stand haben.

Den Nürnbergern wird dieser Abend immerhin wegen der aufwühlenden Atmosphäre in der Stadt und im Stadion in Erinnerung bleiben. Auch Stürmer Ivan Saenko hatte seinen denkwürdigsten Auftritt in der Mixed-Zone. Während er den Reportern seinen fatalen Fehlpass vor dem 0:1 erklärte, stürmten ein paar englische Fans mit aufgerissenen Augen und Mündern ein paar Meter hinter dem Russen heran, sangen und schrieen, schlugen gegen die schützende Glaswand, bis ein Teil zu Bruch ging. Doch Saenko blickte nicht einmal hoch, mit hängendem Kopf sprach er unter dem Tumult einfach weiter.

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