Nordische Ski-WM:Süchtig nach Wachs

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Gut gewachst ist halb gewonnen, auch im Langlauf und der Kombination: ein Skitechniker bei der Arbeit, mit Leidenschaft und Gasmaske. (Foto: imago)

Bürsten, Bügeleisen und stundenlange Arbeit im Truck: Der Erfolg der deutschen Kombinierer bei der WM hängt auch vom Können ihrer Wachser ab. Der Zorn der Athleten ist nur ein Detail entfernt.

Von Volker Kreisl

Ein paar Tage hat es gedauert, aber nun sitzt jeder Handgriff. Der Ski rutscht, ohne zu klemmen, aus dem Gummi an der Wand und ist gleich auf dem Schraubstock fixiert. Das Kabel des Bügeleisens hängt oben im Haken, es hat Spiel und ist trotzdem aus dem Weg. Die Finger greifen die Bürste von selbst, und zwar richtig herum. Die Tübchen und Döschen mit Paraffinen und Pülverchen stehen in Reih und Glied. "Jetzt", sagt Ralph Schmidt, "läuft es wie geschmiert."

An einen neuen Arbeitsplatz muss sich jeder erst einmal gewöhnen, und der Platz der Wachser der deutschen Kombinierer ist nagelneu. Kurz vor dieser WM ist er fertig geworden. Sie haben ihn selber von Oberstdorf nach Kiel gefahren, dort wurde er über die Ostsee nach Schweden und dort nach Göteborg verschifft, von wo sie weit nach Norden fuhren, auf einen Parkplatz neben dem Skistadion von Falun. Der neue Arbeitsplatz, das ist der Wachs-Truck der Kombinierer, und seit Sonntag wurde darin geübt.

Ralph Schmidt ist der Cheftechniker der deutschen Kombinierer und damit für jenen Bereich des Sports verantwortlich, der nicht im Fernsehen übertragen wird, im Schatten stattfindet und doch fester Bestandteil des Wettkampfs ist. So wie Eric Frenzel am Freitagnachmittag um Gold kämpft, so konkurrieren seine Wachser im Hintergrund mit den Künsten von drei bis vier anderen hochkarätigen Nationen.

Dabei wird getestet, verglichen, gerannt und geschwitzt. "Vor dem Wettkampf musst du Vollgas geben", sagt Schmidt. Nun spart die kompakte Anordnung des Materials, das nicht mehr ständig aus- und eingepackt werden muss, viel Zeit. Gut 300 Meter sind es vom Truck bis zur Strecke. Mit einem Paar möglichst spät und somit nah an den Wettkampfbedingungen präparierter Ski schafft es Schmidt durch die Zuschauer und Einlasskontrollen also in drei Minuten - wenn er schnell ist.

Welche Dimension dieser Neben-Wettkampf angenommen hat, das vermittelt einem das Bild des Wachser-Parkplatzes, schräg oberhalb des Loipenstarts. Der sieht aus wie ein Wohnmobil-Stellplatz zur Hochsaison. Schmidt und seine drei Kollegen sind wirklich glücklich in ihrem wendigen und ohne LKW-Führerschein zu handhabenden 7,5-Tonner, aber es gibt doch Unterschiede. So wie auf Camping-Plätzen ja auch Ein-Mann-Zelte und Dreiachser-Wohnmobile stehen.

Neben Schmidts Laster befindet sich der Truck der deutschen Langläufer, der schon länger in Betrieb ist und größer ausfällt. Und wer in die Mitte des Platzes geht, der muss den Kopf in den Nacken legen: Die Norweger, die diesen Sport bekanntlich beherrschen, fahren ihren Wachs-Truck zur Seite und - zweigeschossig - nach oben aus. Ein Wachs-Palast.

Darin arbeiten aber auch nur Menschen, und die haben dieselben Probleme wie alle anderen Wachser, von denen die meisten noch wie zuvor auch die Deutschen in der Container-Siedlung gegenüber schmirgeln und bügeln. Max Achatz ist seit 17 Jahren für die deutschen Langläufer dabei, und er gibt zu, dass dieser Job nicht für jeden nachvollziehbar ist. Man arbeitet - wenn eher weniger los ist - von morgens um sieben bis abends um neun; gegessen wird im Truck. Dass die Techniker wie die Sportler vom Veranstalter versorgt werden, ist nicht selbstverständlich. Bei Olympia in Sotschi, erzählt der Sportliche Leiter Horst Hüttel, bekamen die Wachser zunächst nichts.

Achatz sagt, sein Job sei vergleichbar mit einer Sucht, und entweder wird ein Neuer davon erfasst, oder er sagt nach einem Jahr: "Das ist nichts für mich." Doch hinter der Plackerei steckt mehr, als nur zwei Meter lange Latten rutschbar zu machen. Die Techniker messen nicht nur die Schneetemperatur und die Luftfeuchtigkeit, betrachten Wolkenbilder und wenden dann irgendwelche Regeln an. Das wäre ein Verwaltungsjob, echte Wachser wollen mehr.

Sie antizipieren, welche minimalen Details sich noch ändern könnten, ob der Schnee vielleicht noch ein halbes Grad kälter wird, und riskieren dann etwas mehr von einem bestimmten Pülverchen. Sie suchen nach dem entscheidenden Vorsprung und müssen dabei sowohl kreativ als auch wachsam sein. "Wenn du einmal lässig wirst, kriegst du sofort die Rechnung", sagt Achatz.

Kollege Schmidt nebenan war die letzten Monate schon ziemlich kreativ mit seinem Innenausbau für die Kombinierer. Die Langlauf-Wachser waren beeindruckt von der gelungenen Raumeinteilung, von der kleinen Kochnische und der Sitzecke: Hier muss man sein Butterbrot nicht auf dem Wachstisch essen. Überhaupt hat das Kombinierer-Mobil viel mit Eigeninitiative zu tun. Angefangen hatte alles mit Eric Frenzels Initiative nach seinem Olympiasieg in Sotschi, wo er in der Pressekonferenz erklärte: "Wir wollen auch einen Wachs-Truck!"

Dem folgten Gespräche mit einem Sponsor, und schließlich entschloss man sich dazu, ein Gefährt zu mieten und selber zu gestalten. Deshalb hängt nun an der Wand auch ein Flachbildschirm, und auf dem können Schmidt und seine Kollegen die Rennen live verfolgen. Die Athleten laufen nach dem Start ja noch eine ganze Weile bis ins Ziel, die Wachser aber sehen schon nach ein paar Metern, was es für sie später gibt: Lob oder Ärger.

Verschätzt sich der Wachser nur minimal, gleitet der Ski nicht

Achatz hatte viele Jahre die Ski von Axel Teichmann gewachst. Der errang bis zu seinem Karriereende 2014 viele Medaillen, und für Achatz war es jedes Mal auch ein Sieg. Aber er weiß auch: "Wenn du dich nur um einen Tick verschätzt, geht es nach hinten los." In diesem Fall ist er Teichmann lieber erst begegnet, wenn der eine Nacht drüber geschlafen hat. Stimmt etwas mit dem Wachs nicht, dann gleitet der Ski nicht, "geht nicht vom Fuß", wie Schmidt sagt. "Da möchte man sich ein Schneeloch graben", erklärt er, "und reinsetzen."

Aber nur kurz. Denn schnell geht es ja wieder zum nächsten Wettkampf, und alle Sportler wissen, dass die Ursachen sofort analysiert werden müssen, dass sie auf ihre süchtigen Wachser angewiesen sind und es immer weitergehen muss. Wer lässig wird, kriegt gleich die Rechnung.

© SZ vom 20.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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