Nordische Kombination:Erschlafft in den Seilen

Die Kombinierer Johannes Rydzek und Eric Frenzel liefern sich einen erbitterten Kampf um den Weltcup-Gesamtsieg. Nach vier Monaten und 21 Wettkämpfen, in denen sich keiner eine Blöße gab, kommt es zum Showdown.

Von Volker Kreisl, Schonach/München

Weltcupfinals im Wintersport sind häufig kümmerliche Saisonhöhepunkte. Es handelt sich nicht selten um Finals, die schon entschieden sind, bevor sie anfangen. Denn irgendeiner hat nach der langen Serie davor schon einen Riesenvorsprung. Man trifft sich dann trotzdem, sportelt ein wenig, feiert sich, verabschiedet sich in den Sommer, und dazu scheint die März-Sonne.

Beim Saison-Finale der nordischen Kombinierer am Samstag und Sonntag in Schonach im Schwarzwald wird es diese Szenen nicht geben. Denn nichts ist entschieden. Die Kontrahenten sind nach vier Monaten völlig ausgepumpt, aber ihr Ehrgeiz ist ungebrochen. Und es wird regnen.

Der eine will endlich seinen ersten Gesamtsieg - der andere will seinen fünften nacheinander

Irgendetwas ist schiefgelaufen in der gewohnten Dramaturgie dieses eigentlich spannenden, aber versteckten Sports. In den vergangenen Jahrzehnten hatte es immer periodenprägende Top-Läufer gegeben, von denen einer den anderen ablöste. Auf den Norweger Bjarte Engen Vik folgte 2002 der Deutsche Ronny Ackermann, darauf der Finne Hannu Manninen. Dann kam Jason Lamy Chappuis, der Franzose, aber jetzt überlappen sich die Perioden. Eric Frenzel, 28, der Beste seit 2013, lässt einfach nicht nach, obwohl Johannes Rydzek, sein 25 Jahre alter Nachfolger, auch schon ein kompletter Kombinierer ist. Sonst wäre er kürzlich kaum Vierfach-Weltmeister in Lahti geworden.

Was der Oberwiesenthaler Frenzel und der Oberstdorfer Rydzek derzeit als deutsch-deutsches Duell austragen, ist derart außergewöhnlich, dass auch die internationale Kombinierer-Gemeinde davon profitiert. Der Sport braucht ja dringend Werbung, und sogar ein Mittwochrennen wie soeben das in Trondheim in Norwegen, das Frenzel vor Rydzek gewonnen hat, stößt auf größere Beachtung. Die beiden erinnern an zwei gleich starke Boxer, die nach zwölf Runden erschlafft in den Seilen hängen, weil sich keiner eine Blöße gibt. Nur geht es hier nicht um Hiebe und Treffer, sondern ums Springen und Langlaufen, und die Qualität des Duells lässt sich an Weltcup-Zählern ablesen. Den Saison-Rekord hatte 2006 Manninen aufgestellt, mit 1500 Punkten (der Nächste kam damals auf 961). Nun führt Frenzel vor Rydzek, vor den beiden letzten Wettkämpfen in Schonach steht es 1534:1520.

Weil es für einen Sieg 100 Punkte gibt, bedeutet diese Differenz praktisch nichts. Die Frage ist also, wer in welcher Situation vielleicht doch den entscheidenden Vorteil haben könnte. Dabei ist die Motivation schon mal exakt gleich groß. Johannes Rydzek will nach drei gescheiterten Versuchen unbedingt endlich auch mal der Saisonkönig werden, WM-Titel hin oder her. Eric Frenzel wiederum will nach vier gelungenen Versuchen nacheinander unbedingt den fünften Gesamttitel holen, das hat keiner vor ihm geschafft, das hätte was von "Ewigkeit", sagt er.

Zur aktuellen Form antworten die beiden seit Wochen professionell, also nichtssagend. Sie lassen sich nicht ablenken und erklären, man müsse immer "sein Bestes geben", man müsse mit den "Bedingungen zurechtkommen", und ansonsten: "Schau' ma' mal." Tatsächlich haben sie doch unterschiedliche Charaktere, wie schon im Januar bei der Mini-Dreierserie in Seefeld in Österreich deutlich wurde. Da hatte Rydzek Frenzel zweimal auf der Ziellinie per Foto-Finish geschlagen, nach dem dritten und entscheidenden Rennen aber schmiss er wütend seine Stöcke in den Schnee. Er hatte sich in der Krafteinteilung verschätzt, Frenzel lief ihm davon.

Frenzel und Rydzek

Jäger und Gejagter und umgekehrt: Johannes Rydzek (links) und Eric Frenzel, hier bei der WM in Lahti, wo Rydzek alles gewann. Für die Weltcupwertung zählte das aber nicht, da war zuletzt wiederum Frenzel besser.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Man könnte daraus also schließen: Rydzek hat den Punch, Frenzel das Hirn; Rydzek gewinnt, wenn sich das Rennen im Zielsprint entscheidet, Frenzel, wenn es um Taktik geht. Doch aus solchen Pauschal-Urteilen hat sich der jüngere Allgäuer vor zwei Wochen in Lahti befreit. Er hat bei all seinen WM-Titeln die Lage überblickt, hatte Kraft gespart, auf den entscheidenden Moment gewartet - und dann das Richtige gemacht. Rydzek hatte das vollführt, was andere einst mit ihm veranstalteten. Er spurtete am entscheidenden Anstieg vor dem Ziel davon, hielt den Abstand und machte die Ideallinie dicht.

Auch im Skispringen hat Rydzek seine Qualitäten verbessert, und doch könnte Eric Frenzel hier einen kleinen Vorteil haben. Rydzeks Flüge sind nach einem langen Sommertraining nun symmetrisch und stabil, womit er bei der WM sogar den stets besseren Springer Frenzel überflügelt hatte. Andererseits hat Rydzek vielleicht eher Schwächen bei schwierigen Verhältnissen. In Trondheim wurde er am Mittwoch nur deshalb Zweiter, weil er den provisorischen Wettkampfsprung, auch Pocket Jump genannt, vor dem Renntag vermasselt hatte. Vielleicht lag es am Wind, vielleicht hatte er in diesem Moment unterbewusst nicht die nötige Körperspannung. Dann wurde in Trondheim tatsächlich der offizielle Sprung wegen stürmischen Winds abgesagt - Rydzek ging mit einer knappen Minute Rückstand auf Frenzel ins Rennen.

In Schonach wird er den Reserve-Sprung wohl ernst nehmen. Auch hier sind schwerste Sprung- und Laufbedingungen zu erwarten. Windböen bis zu 100 Stundenkilometer sagen die Meteorologen voraus, das Laufen wird anstrengend, der Schnee wird tief sein, denn es wird regnen. Und wer sich da durchsetzt, der ist ein wahrer Champion.

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