Nordische Kombination:Ein Team zerlegt sich selbst

Sotschi 2014 - Nordische Kombination

Malheur vor dem Ziel: Johannes Rydzek (links), Fabian Rießle (Mitte) and Björn Kircheisen.

(Foto: dpa)

"Wir hätten die Riesenchance gehabt, ein richtig großes Ding zu machen": Aber dann fahren sich die deutschen Kombinierer kurz vor dem Ziel gegenseitig über den Haufen. Fabian Rießle bleibt Bronze, im Zielbereich wird es kurz laut.

Von Thomas Hahn, Krasnaja Poljana

Die Freude und die Traurigkeit sind Nachbarn an diesem Regentag in Krasnaja Poljana bei den Olympischen Spielen. Sie kommen zusammen in einer Mannschaft, und für ein paar Augenblicke stellt sich die Frage, ob das nicht alles ein bisschen zu viel ist für sie. Bei der Siegerehrung steigt der deutsche Kombinierer Fabian Rießle aufs Podest und strahlt, weil er hinter den Norwegern Jørgen Graabak und Magnus Moan Bronze gewonnen hat beim zweiten Einzel-Wettkampf im nordischen Zweikampf.

In der Interviewzone steht sein Teamkollege Björn Kircheisen und weint. Der Oberstdorfer Johannes Rydzek lacht mit Tränen in den Augen. Und Bundestrainer Hermann Weinbuch spricht von "gemischten Gefühlen". Was ist passiert im Regen von Esto-Sadok?

Dieser Tag im russischen Sauwetter ist eine harte Prüfung gewesen für die deutschen Kombinierer und wieder mal die Erinnerung daran, dass der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg schmal ist. Vor einer Woche noch erschien alles so rosig, weil Eric Frenzel, der Beherrscher des Weltcups, den bestellten Olympiasieg abgeholt hatte. Und jetzt war da dieses Chaos aus Gefühlen, dem sich allenfalls Frenzel entziehen konnte, der ja schon Gold gewann.

Frenzel war krank gewesen in den Tagen zuvor, ein Startverzicht stand zur Debatte, ehe er und die Ärzte am Dienstagmorgen entschieden, dass ein bisschen wettkämpfen nicht schaden könne. Frenzel konnte das nach seiner Zielankunft nur bestätigen, obwohl er seine Führung nach dem Springen wegen der Folgen seines Infektes auf der 10-Kilometer-Loipe nur zu einem zehnten Platz hatte nutzen können. "Springen war 1 a", sagte Frenzel, "im Laufen war klar, dass was fehlen wird. Für mich war es positiv zu sehen, dass mein Körper durchgehalten hat." Das sonstige Geschehen schien ihn kaum zu berühren.

Aber bei den Kollegen klafften die Empfindungen auseinander. Keiner konnte es dem Breitnauer Fabian Rießle übel nehmen, dass für ihn eine gleißende Sonne schien an diesem betongrauen Tag. 23 Jahre ist Rießle alt und erst in dieser Saison hineingewachsen in die erste Reihe der deutschen Kombinierer. Dieser dritte Platz war der vorläufige Höhepunkt seiner Sportler-Karriere, natürlich konnte er gar nicht anders, als von "absolutem Wahnsinn" zu sprechen und von einem "Märchen für mich". Aber dieser dritte Platz hatte eben auch seine Geschichte, die wiederum für Johannes Rydzek, 22, schlecht ausging.

Es war ein ziemlich aufregendes Rennen gewesen auf dem kurvigen, harten Kurs von Esto-Sadok, nachdem Frenzel eingeholt war und das Feld sich sortiert hatte. Rydzek, Rießle und auch der 30 Jahre alte Routinier Björn Kircheisen bestimmten das Tempo mit, sie arbeiteten geschickt zusammen und lauerten auf ihre Chance. Am Fuße des letzten langen Anstiegs wagte Kircheisen einen Ausbruch, rasch legte er ein paar Meter zwischen sich und die anderen.

Fast sah es so aus, als könne der unvollendete Kircheisen, ein achtmaliger WM-Zweiter, im Herbst seiner Karriere eine ganz besondere Pointe setzen. Er galt schon als sicherer Reservist, ehe er sich intern gegen den Kollegen Tino Edelmann durchsetzte. Jetzt führte er also. Aber er konnte den Vorsprung nicht halten. "Der Björn hat sich leider wieder nicht im Griff gehabt", tadelte Hermann Weinbuch, "er hat einfach zu früh angerissen."

"Da darf jetzt einfach kein Zwist entstehen"

Mit den Norwegern kamen die Deutschen ins Stadion, gierig preschten sie 500 Meter vor dem Ziel auf eine der letzten Kurven zu, und dann war es, als wollten Rießle, Rydzek und Kircheisen alle auf der Innenbahn um die Ecke biegen. Das konnte nicht gut gehen. "Da war ein kleines Problem mit den ganzen Leuten", sagte Rießle. Sie bremsten sich gegenseitig aus, die Norweger preschten voran, und Rydzek stürzte. "Ich wollte vor der letzten Kurve mindestens auf Platz zwei sein", sagte Rydzek, "das habe ich versucht, das haben aber auch mehr versucht." Er lag im Schnee und sah zu, wie sich seine blendenden Aussichten entfernten. "Ich habe meine Chancen wegschwimmen sehen." Rießle sprintete zu Bronze, Kircheisen blieb Platz vier.

Als Rydzek traurig und erschöpft ins Ziel kam, musste er erst mal ein paar lautere Worte an Rießle richten. Und der Bundestrainer Weinbuch sagte: "Wir hätten die Riesenchance gehabt, ein richtig großes Ding zu machen." Matt gratulierte er dem Bronze-Gewinner und schimpfte leise den vertanen Erfolgen hinterher. "Wenn man nur alle vier Jahre so eine Chance bekommt und wir richtig stark sind, dann sollte man taktisch nicht solche Fehler machen."

Später lagen sich Rießle und Rydzek wieder in den Armen. Tapfer sagte der Ausgebremste: "Da darf jetzt einfach kein Zwist entstehen." Björn Kircheisen schaute aus glasigen Augen, als er eine Erklärung suchte für seinen missglückten Ausreißversuch: "Ich hab' alles probiert. Es ist halt - wie soll man sagen - ärgerlich." Er kämpfte um die Worte. "Ich war schon weg. Aber mein Körper wollte einfach nicht mehr so, wie ich wollte." Er fing wieder an zu weinen und ging eilig weg.

Und dann versuchten sie, den Blick vorauszulenken auf den Team-Wettkampf am Donnerstag. "Vielleicht", sagte Hermann Weinbuch, "gibt's ja ein Happy End." Zumindest können sich die deutschen Kombinierer dann nicht gegenseitig über den Haufen fahren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: