Nordirlands Fußballheld Gerry Armstrong:"Es wird ungemütlich"

Der frühere Nationalspieler über den Zusammenhalt und Wandel seiner Nation, frühere Duelle mit Hans-Peter Briegel und die Aussichten für die deutsche Mannschaft am Dienstag.

Interview von Raphael Honigstein

SZ: Herr Armstrong, Sie sind der größte Held der nordirischen Fußballgeschichte, das Gesicht der goldenen Achtzigerjahre, als Ihr Land zwei Mal an der Weltmeisterschaft (1982, 1986) teilnahm. Müssen Sie sich vor dem Spiel Ihrer Nachfolger gegen die Deutschen am Dienstag Angst um Ihren Status machen?

Gerry Armstrong: Ich hoffe es! Wir haben ja 30 Jahre auf einen solchen Erfolg gewartet. Ich kenne die Spieler gut, ich habe sie vor dem Turnier besucht und ihnen gesagt, dass sie in Frankreich so spielen sollen, dass sie sich hinterher keine Vorwürfe machen. Es ist unsere erste EM, diese Situation muss man genießen. Außerdem gibt es keinen Grund, nicht zuversichtlich zu sein. Dieses Team war Gruppenerster in der Qualifikation, im Gegensatz zu uns. Wir kamen 1982 und 1986 nur durch die Hintertür, als Zweite, in die Endrunden.

Sie erzielten bei der Weltmeisterschaft in Spanien drei Treffer, darunter das Siegtor im Gruppenspiel gegen die Gastgeber, durch das Nordirland die Zwischenrunde erreichte . . .

Das schönste Tor meiner Karriere. Vor dem Stadion in Valencia hatten die spanischen Fans uns mit Obst beworfen.

Bekommen Sie dafür noch heute in jedem nordirischen Pub ein Bier umsonst?

Ja, das hat sich nicht geändert. Wir sind ein kleines Land, mit 1,8 Millionen Einwohnern, ein Dorf im Grunde, in dem jeder jeden kennt. Ich lebe heute in Spanien, aber wenn ich nach Hause komme, sind die Leute unheimlich freundlich. Die Taxifahrer, die Busfahrer, egal, wen du triffst: Alle wollen sichergehen, dass du dich gut fühlst. Rory McIlroy, dem Golfchampion, ergeht das genauso. Nordirland behandelt seine Helden gut. Man ist ihnen dankbar.

EURO 2016 - Group C Ukraine vs Northern Ireland

Das erste nordirische Tor bei einer EM erzielte Gareth McAuley am Donnerstag beim 2:0-Sieg gegen die Ukraine.

(Foto: Cj Gunther/dpa)

Für das Team von Michael O'Neill muss das ein großer Ansporn sein: die Chance, in Frankreich unsterblich zu werden.

Natürlich. Im Auftaktspiel gegen Polen konnte das Team dem eigenen Anspruch nicht gerecht werden, aber mit dem 2:0 gegen die Ukraine ist der Glaube in der Mannschaft zurückgekehrt. Es gibt keine Versagensängste, keinen Druck. Die Qualifikation zur Europameisterschaft war schon das Wunder. Alles, was jetzt noch kommt, ist eine fantastische Zugabe. Man darf nicht vergessen, wo diese Elf herkommt. Vor drei Jahren hat sie noch 2:3 in Luxemburg verloren. O'Neill hat sie wieder aufgerichtet, sie mit sehr viel Detailarbeit zu einem echten Team geformt und sich auf Standards spezialisiert. Damit kann man auch bessere Gegner bezwingen. Über allem aber steht der Zusammenhalt in der Truppe.

Macht es die positive Atmosphäre dem nordirischen Verband leichter, Spieler für die Nationalmannschaft zu rekrutieren, die auch für die großen Nachbarn Irland oder England spielberechtigt wären?

Natürlich. Unser Stürmer Oliver Norwood, in England geboren, wurde zum Beispiel von Jonny Evans in der Jugend von Manchester United entdeckt und für die Nationalmannschaft rekrutiert. Er wollte Teil dieser Truppe sein und dieses Gemeinschaftsgefühl erleben. Fast alle Spieler im EM-Kader wurden jedoch in Nordirland ausgebildet. Wir haben sehr viele junge, smarte Trainer.

Northern Ireland v Greece - UEFA Euro 2016 Qualifying Group F

Aufmerksamer Beobachter der EM-Partien in Frankreich: Gerry Armstrong.

(Foto: Jason Cairnduff/Reuters)

Ist die Euphorie zu Hause vergleichbar mit der Stimmung vor 30 Jahren?

Sie ist noch besser, denke ich. Wir hatten damals vielleicht 1300 Fans in Spanien und in Mexiko dabei, in Frankreich sind es 25 000. Ihre Songs, ihre Fröhlichkeit, machen die ganze Nation stolz. Nordirland ist in der Zwischenzeit ja auch ein ganz anderes Land geworden. Die Welt sollte sich an uns ein Beispiel nehmen: Wir haben es geschafft, unsere politischen und religiösen Spannungen zu überwinden. Fußball hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. 1982 tanzten Nationalisten und Loyalisten gemeinsam in den Straßen von Belfast, das hat den Politikern den Weg gezeigt. Die Leute wollen heute diesen Ärger nicht mehr haben, in unseren Stadien gibt es schon lange keine sektiererischen Gesänge mehr. Belfast ist eine der sichersten Städte der Welt geworden.

Wie sehen Sie die Chancen auf die nächste Straßenfeier in Belfast am Dienstag?

Ein Unentschieden würde schon fürs Achtelfinale reichen, vielleicht kommen wir sogar mit einer Niederlage weiter. Natürlich sind die Deutschen besser als wir, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das nichts heißen muss. Wir haben sie 1982 und 1983 in der EM-Qualifikation zu Hause und auswärts 1:0 besiegt, das hat außer uns keine Mannschaft geschafft. Ich habe den Spielern gesagt, dass sich die Geschichte wiederholen kann, wenn sie als Einheit auftreten.

Nordirlands Fußballheld Gerry Armstrong: Gerry Armstrong ist eine Legende, weil ihm bei der WM 1982 in Spanien zwei Treffer gelangen - hier das 1:0 gegen den damaligen Gastgeber.

Gerry Armstrong ist eine Legende, weil ihm bei der WM 1982 in Spanien zwei Treffer gelangen - hier das 1:0 gegen den damaligen Gastgeber.

(Foto: imago)

Welche Erinnerungen haben Sie an die Spiele gegen die DFB-Elf?

Es waren sehr harte, physisch anspruchsvolle Duelle. Die Deutschen waren Top-Athleten und sehr gut organisiert, aber das waren wir auch. Ich spielte damals Rechtsaußen, mein Gegner was Hans-Peter Briegel. Ein Riesenkerl, der seine Stutzen am Knöchel trug. Mein Job war es, meinen rechten Verteidiger vor seinen Vorstößen zu schützen. Das bekam ich in Belfast eine Stunde lang ganz gut hin. Die letzten 30 Minuten lief er dann mir nach. Die Deutschen werden auch am Dienstag sehr schnell merken, dass es kein leichtes Spiel werden wird. Nordirland wird im Mittelfeld hart attackieren, sehr aggressiv sein. Ich kann Ihnen eines garantieren: Es wird ungemütlich für den Weltmeister.

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