Norbert Haug im Interview:"Ich war immer ein Rocker"

Nach einer turbulenten Formel-1-Saison spricht Mercedes-Sportchef Norbert Haug über eine plötzlich erkaltete Liebe und seinen schicksalhaften Musikgeschmack.

Interview: René Hofmann

"In den ersten Jahren hat er uns beigebracht, mit Anstand zu verlieren. Dann hat er uns beigebracht, mit Anstand zu gewinnen." Jürgen Hubbert, sein einstiger Chef, hat das über Norbert Haug gesagt.

Mercedes-Sportchef Norbert Haug

"Dieses Auf und Ab - das ist der Reiz dieses Sports" - Norbert Haug ist seit 1990 Sportchef bei Mercedes

(Foto: Foto: AFP)

Seit 1990 steht Haug dem Motorsport-Engagement von Mercedes vor. In der vergangenen Formel-1-Saison gab es beides: mitreißende Siege und bittere Niederlagen, Freude über den fulminanten Einstieg von Lewis Hamilton und Ärger mit dem enttäuschten Titelverteidiger Fernando Alonso.

Außerdem: einen Spionagefall, der das Team 100 Millionen Dollar kostete. Im letzten Rennen ging der Titel verloren - wegen eines Punktes. "Dieses Auf und Ab - das ist der Reiz dieses Sports", sagt Norbert Haug, 55, in der Rückschau auf zwölf denkwürdige Monate.

SZ: Herr Haug, was ist Ihre früheste Auto-Erinnerung?

Norbert Haug: So, wie viele Kids heute zum Beispiel beim Thema iPod ausflippen, war das bei mir mit Motorrädern und Autos. Alles, was sich von einem Motor angetrieben bewegte, fand ich von klein auf unheimlich cool - und das, obwohl meine Eltern sich nullkommanull dafür interessierten. Die hatten kein Auto und wollten auch gar keines.

SZ: Sie sind in Grunbach im Schwarzwald aufgewachsen. Auf der Homepage der Gemeinde heißt es: "1600 Einwohner, keine Durchgangsstraße. Einkaufsmöglichkeiten gibt es im drei Kilometer entfernten Engelsbrand, wohin eine verbilligte Busverbindung im Halbstundentakt besteht."

Haug: "Ja, dort begreift man, warum es ,Schwarzwald' heißt: Es gibt viele dunkle und wunderschöne Wälder. Und ganz tolle Aussichten. Zum Wohnen ist es klasse. Jedem, den es in die Richtung zieht, kann ich den Ort nur empfehlen. Pforzheim ist bloß acht Kilometer entfernt. Als Kinder war das für uns die Großstadt. Das abgeschiedene Grunbach war dagegen eine komplett andere Welt.

SZ: Mobil zu sein, etwas erreichen zu können, auch im übertragenen Sinne. Ging es darum?

Haug: Unbedingt. Ich war auch sicher einer der ersten im Ort, der vor lauter unbändigem Drang zum Auto schwarz gefahren ist, so im Alter von 15 oder 16 Jahren. Aber ich würde nicht sagen, dass meine Zuneigung zur Mobilität daher rührt, dass ich auf dem Land groß geworden bin. Eher von etwas anderem: der Musik jener Zeit.

SZ: Das müssen Sie erklären.

Haug: Ich wurde 1952 geboren. Pforzheim, die alte Schmuck- und Uhrenstadt, lag davor lange zerbombt darnieder, die "Goldstadt" war Angriffsziel gewesen, weil dort viel für die Rüstungsindustrie produziert worden war. Die schreckliche Zerstörung lag irgendwie noch 20 Jahre später in der Luft, und plötzlich war da die Musik. Es gab die Beatles, die Rolling Stones, Janis Joplin, Jimi Hendrix, später Led Zeppelin. Das war ein Mega-Programm, eine Hochkultur. Eine unheimlich bewegte und bewegende Zeit, eine Phase des Umbruchs, auf einmal war mächtiger Speed überall.

SZ: Und schnelle Motorräder und Autos gehörten zum Lebensgefühl.

Haug: Und wie. Es gab in dieser Zeit auch tolle Blues- und Jazz-Musik, aber ich war ehrlich gesagt immer ein Rocker. Ich bin wirklich kein Nostalgiker, aber diese Musik-Epoche fasziniert mich nach wie vor. Nehmen wir bloß die Jahre 1966 bis '68: von 20 Nummer-1-Hits aus der Zeit können auch die Kids von heute von 19 zumindest noch den Refrain. Fortkommen, Bewegung, Attacke - so habe ich das damals empfunden, und dazu gehörten erst Motorräder, dann Autos und später Rennautos.

SZ: Gehörten? Liegt das alles in der Vergangenheit?

Haug: Im Vergleich zu jener Zeit bin ich heute total entspannt. Zwar immer noch scharf darauf, bei Gelegenheit einige Runden auf der Nordschleife des Nürburgrings zu fahren, aber normalerweise rolle ich mit dem Auto nur noch so dahin und stelle mich der selbstgewählten Herausforderung, auf möglichst langen Strecken, möglichst wenig Sprit zu verbrauchen. Was ich faszinierend finde: Wenn man jemanden ein Bild eines Autos aus den Sechzigern zeigt und ihm dazu ein Lied aus der gleichen Zeit vorspielt, wird er sagen: Wer hat die junge Musik unter das alte Auto geschnitten? Die Musik ist viel jünger geblieben.

SZ: Wie frisch ist die Faszination Formel 1 für Sie noch?

Haug: Sehr frisch, immer tagesaktuell. Für mich bedeutet das: Mensch und Technik auf den kleinsten Nenner zu verdichten, auf den Punkt da zu sein - und dann knallhart mit Sieg oder Niederlage klarzukommen. 2007 ist dafür das beste Beispiel. Zwei Rennen sind noch zu fahren, Lewis Hamilton hat 17 Punkte Vorsprung, alle sagen: Das ist entschieden. Ich war nicht so sicher. Und zwei Rennen später sieht die Welt ganz anders aus. Lewis fehlte ein Punkt zum Ersten. Ich hätte es mir anders gewünscht, aber so funktioniert das Spiel nun mal. Dieses Auf und Ab - das ist der Reiz dieses Sports.

SZ: Wie ging es Ihnen auf dem Rückflug vom Saisonfinale in São Paulo?

Haug: Schlecht, eine große Flasche stilles Wasser und zehn Stunden Schlaf später viel besser, aber jeder, der sagt, so eine Niederlage tue nicht weh, lügt. Aber wer ein guter Verlierer ist, ist in Wahrheit wahrlich ein Verlierer. In diesem Wettbewerb möchte ich nicht vorne sein.

SZ: War das Jahr 2007 in diesem Punkt das bisher intensivste?

Haug: Jede Saison wird generell immer anspruchsvoller. Aber dieses Mal waren die Gegensätze schon riesengroß: Doppelsieg in Malaysia, Doppelsieg in Monaco, Doppelsieg in Indianapolis, Doppelsieg beim Heimspiel unserer Verfolger in Monza, die Riesengeschichte, die Lewis Hamilton als Neuling abgeliefert hat - und dazu der stall-interne, knallharte Kampf zwischen ihm und Fernando Alonso.

SZ: Dabei hatte das Jahr so harmonisch begonnen. 150 000 Zuschauer bei der Präsentation in Valencia, Weltmeister Fernando Alonso, der vor seinen Landsleuten sagt: ,Ich fühle mich wie ein neuer Fahrer. Ich würde gerne jeden Tag in diesem Auto sitzen.' Es klang wie eine Liebeserklärung.

Haug: Es sind ja oft die heißesten Liebesgeschichten, die umso abrupter wieder enden. Vielleicht ist es besser, sich langsam kennen und lieben zu lernen. Wahrscheinlich wäre alles auch ein wenig anders gelaufen, wenn der Doppelweltmeister immer ein, zwei Zehntelsekunden vor dem Lehrling geblieben wäre. Aber es war eben der Neuling, der von Rennen vier bis Rennen 17 Tabellenführer war.

SZ: Die zweite große Überraschung war die Spionage-Affäre. Der ehemalige Ferrari-Angestellte Nigel Stepney ließ dem McLaren-Chefdesigner Mike Coughlan 780 Seiten geheimer Unterlagen zukommen. Es gab zwei Verhandlungen. In der ersten wurde McLaren-Mercedes freigesprochen, in der zweiten zu einer Strafe von 100 Millionen Dollar verurteilt. Wann und wo haben Sie das erste Mal von der Geschichte erfahren?

Haug: Hier in meinem Büro, am 3. Juli. Ron Dennis (der McLaren-Chef/d. Red.) rief mich an, unmittelbar nachdem er davon erfahren hatte. Ich mache mir bei vielen Telefonaten Notizen. Auch die vom 3.Juli habe ich noch.

SZ: Was steht drauf?

Haug: Ich war vollkommen entspannt. Ich habe gesagt: Wer soll das denn sein? Wenn mir jemand ein Skript hingelegt hätte mit dem, was danach passierte, hätte ich gesagt: Das nimmt dir keiner ab.

SZ: Kannten Sie Mike Coughlan persönlich?

Haug: Ja. Am Abend vor unserem Doppelsieg in Amerika Mitte Juni saßen wir noch zusammen in einem Steakhouse in Indianapolis. Ein eigentlich sehr kompetenter Mann, der einen Riesenfehler gemacht, uns keineswegs genutzt, sondern extremst geschadet hat.

SZ: Inzwischen ist der Fall abgeschlossen. McLaren hat eine Entschuldigung veröffentlicht. Renault wurde von einem mindestens ebenso sauber belegten Spionage-Verdacht freigesprochen. Es sieht so aus, als halte es der Automobilweltverband wie die Inquisition: Wer sich schuldig bekennt und zu Kreuze kriecht, darf auf Gnade hoffen. Wer seinen Standpunkt verteidigt, wird bestraft.

Haug: Das Thema ist abgeschlossen. Dazu gibt es von uns nichts mehr zu sagen.

SZ: Sie kennen sicher den Film "Le Mans" mit Steve McQueen?

Haug: Klar, der ist Kult.

SZ: In dem Film wird viel Auto gefahren und wenig gesprochen. Im Grunde fasst ein Zitat alles zusammen, was in 100 Minuten passiert: "Rennen fahren ist Leben. Die Zeit dazwischen ist . . .

Haug: . . . Warten.

SZ: Trifft das auf Sie zu?

Haug: Nein. Mit dem "Warten" bis zum Saisonstart im März kann ich bestens leben. Es ist wichtig, sich Auszeiten zu gönnen. Ich merke, dass mir das nach der Saison immer wichtiger wird - sich einfach einmal ein paar Tage völlig unverplant treiben zu lassen. Der Satz ist trotzdem gut, er beschreibt die Leidenschaft treffend, die im Rennsport steckt.

SZ: Zum Leben gehört auch der Tod.

Haug: Leider. 1985 habe ich einen sehr guten Freund verloren, Manfred Winkelhock. Im August ist er in Kanada bei einem Sportwagen-Rennen tödlich verunglückt, im Oktober wäre er 34 Jahre alt geworden. Ich war sein enger Freund und Trauzeuge. Sein plötzlicher Tod hat mich brutal getroffen.

SZ: Manfred Winkelhock hat einen Sohn: Markus. Auf dem Nürburgring, wo sein Vater sein letztes Formel-1-Rennen bestritt, hat er 2007 sein Formel-1-Debüt gegeben. Wie war das für Sie?

Haug: Das war noch so eine Geschichte, von der man vorher sagt: Das kann es doch gar nicht geben. Markus ist ja nicht nur sein erstes und bisher einziges Formel-1-Rennen gefahren. Weil er als einziger rechtzeitig auf Regenreifen gesetzt hatte, führte er das Rennen in seinem unterlegenen Auto auch noch sechs Runden lang an. Und vor ihm fuhr im Safety Car Bernd Mayländer.

Die beiden sind gute Kumpels und wohnen außerhalb von Stuttgart im Remstal keinen Steinwurf voneinander entfernt. In solchen Momenten schaut man auf den Zeitenmonitor und sagt: Hey, das gibt es doch gar nicht. Hat hier der Blitz eingeschlagen, oder was? Markus Winkelhock führt bei seinem ersten Grand Prix?

SZ: Haben Sie für solch' extreme Emotionen noch ein Beispiel?

Haug: Ein sehr negatives. Der Unfall von Mika Häkkinen 1995 in Adelaide. Noch auf der Rennstrecke hat er einen Luftröhren-Schnitt bekommen, der ihm das Leben rettete. Tag und Nacht sind wir im Krankenhaus an seinem Bett gesessen und hatten Angst um ihn. Kein Mensch hätte damals gedacht, dass er drei Jahre später Weltmeister wird und seinen Titel auch noch verteidigt.

SZ: Sie waren 17 Jahre lang Journalist. Jetzt sind sie seit 17 Jahren Sportchef. Wollen Sie noch einmal etwas anderes werden?

Haug: Wäre der Motorsport nur Brumm-Brumm gemischt mit Promi-Auflauf in Boxen und Fahrerlager, dann wäre ich nicht dort. Für mich ist das aber eine hoch komplexe Angelegenheit: Es geht um Technik, Strategie und Diplomatie, man muss Verantwortung für Kollegen tragen und für sehr viel Geld, ich habe unser Motorsport-Budget zu verantworten.

All das, was ich in der komplexen Aufgabenstellung Motorsport gelernt habe, möchte ich irgendwann gerne weiter nutzen, um zum Beispiel eine soziale Herausforderung anzugehen, etwa minder bemittelten Menschen zu helfen, oder Jugendlichen Ansporn zu vermitteln.

SZ: Gibt es ein Alterslimit für Führungskräfte bei Mercedes?

Haug: Das gibt es sicher.

SZ: Nämlich?

Haug: Ich schaue nach, wenn's Zeit ist.

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