Niederlande nach dem EM-Aus:Zeit zum Schämen

Eine stolze Fußballnation ist tief gekränkt: Hollands Nationalelf wollte den EM-Titel und steht nach der Vorrunde mit null Punkten und fünf Gegentoren da. Das Echo in der niederländischen Presse ist heftig - trotzdem soll van Marwijk Bondscoach bleiben.

Martin Anetzberger

Die Reaktionen waren zu erwarten gewesen - auch in dieser Heftigkeit. "Schäm dich, Oranje", titelte etwa die Tageszeitung De Telegraaf auf ihrer Website über das EM-Aus der niederländischen Nationalelf. Eine historisch schwache Vorstellung habe ein ganzes Land in Katerstimmung versetzt. Häufig fielen auch Worte wie "Schande" und "Blamage". Die Fußballnation Holland ist tief gekränkt, in ihrem Stolz verletzt.

Tatsächlich war es das erste Mal seit 32 Jahren, dass eine holländische Mannschaft bei einer Europameisterschaft bereits in der Vorrunde ausschied - mit drei Niederlagen in drei Spielen und nur zwei geschossenen Toren: 0:1 gegen Dänermark, 1:2 gegen Deutschland, 1:2 gegen Portugal.

Natürlich stellt sich reflexartig die Frage nach dem Trainer. Einer nicht repräsentativen Umfrage des Telegraaf zufolge verlangen 55 Prozent den Rücktritt von Bondscoach Bert van Marwijk. Der übernahm die Verantwortung für die 1:2-Niederlage gegen Portugal und sagte dann: "Ich äußere mich nicht zu meiner Zukunft." Tat er aber dann doch, indem er dezent auf seinen bis zum Jahr 2016 laufenden Vertrag hinwies.

Bert van Oostveen, Chef des holländischen Fußballverbands KNVB machte klar, dass er trotz der enttäuschenden EM an seinem Coach festhalten will: "Ein Abschied steht nicht auf der Tagesordnung. Ich finde, dass er Kredit verdient hat." Marwijk hatte die Elftal 2010 bis ins WM-Finale gegen Spanien und in den vergangenen beiden Jahren souverän durch die Qualifikation für die EM in Polen und der Ukraine geführt. Das müsse man bei der Beurteilung berücksichtigen, sagte Oostveen. "Außerdem haben wir bewusst seinen Vertrag bis 2016 verlängert." Das EM-Aus mit drei Niederlagen sei allerdings "unwürdig" für Oranje, sagte der Verbandschef.

Überall traut man diesen Loyalitätsbekundungen offensichtlich nicht. So sah sich die Führung des niederländischen Meisterschaftszweiten Feyenord Rotterdam genötigt, klarzustellen, dass ihr Trainer Ronald Koeman nicht zur Verfügung steht: "Sein Vertrag enthält keinerlei Klauseln für eine vorzeitige Auflösung. Auch nicht für den Fall, dass er Bondscoach werden könnte. Er bleibt bei uns", sagte Feyenords Sportdirektor Martin van Geel. Koeman hatte der Mannschaft um Marco van Basten, Ruud Gullit und Frank Rijkaard angehört, die bei der EM 1988 den Titel geholt hatte.

Der Titel war das Ziel von Kapitän Mark van Bommel, der "mit dem Pokal eine Grachtenrundfahrt" mache wollte und sich dann zufrieden aus der Nationalmannschaft verabschieden hätte können. Jetzt ist die Zukunft des 35-Jährigen offen. "Van Bommel denkt nicht an Abschied" schreibt de Volkskrant auf seiner Website.

Im dritten Gruppenspiel kam der Schwiegersohn des Bondscoach allerdings nicht zum Einsatz. Die Binde übernahm Rafael van der Vaart, der gegen Portugal zum ersten Mal von Beginn spielen durfte und mit seinem Tor zum 1:0 noch einmal die Hoffungen der Holländer beflügelte, ehe Cristiano Ronaldo die Elftal aus dem Turnier schoss.

Schon kurz nach dem Aus deutet sich an, wie tief die Risse in der niederländischen Mannschaft sind. "Im Team sind allerhand Dinge passiert, die aber unter uns bleiben", sagte Bayernprofi Arjen Robben.

Tapferer Auftritt in der Mixed-Zone

Es ist nicht mehr viel übrig von der Einheit, die 2010 in Südafrika mit rustikalem Fußball und Teamgeist fast Weltmeister geworden wäre. "Blamage bei der EM spaltet das gescheiterte Oranje-Team" analysiert das Blatt AD.

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Wie geht es mit den beiden weiter? Bondscoach Bert van Marwijk muss sich für eine historisch schlechte EM verantworten, Schwiegersohn/Kapitän Mark van Bommel ist bereits 35 Jahre alt.

(Foto: AFP)

Was genau Robben mit seiner Aussage meinte, ist noch nicht raus. Vielleicht wird es das auch nie. Doch vor allem die Diskussionen über die Aufstellung in der Offensive scheinen der Mannschaft geschadet zu haben. Ein unzufriedener Klaas-Jan Huntelaar, der zunächst wie Rafael van der Vaart nur auf der Bank saß, ein Robin van Persie, der trotz des Vertrauens, das der Trainer ihm schenkte, nicht überzeugen konnte - und ein unglücklich agierender Robben, der nach seiner Auswechslung im Spiel gegen Deutschland wütend vom Platz stapfte, sein Trikot auszog und sich bis Spielende auf den Boden setzte.

Nach dem Spiel gegen Portugal stellten sich die Spieler in der Mixed-Zone tapfer den Fragen der holländischen Journalisten. Vor allem van Bommel, der gar nicht zum Einsatz gekommen war, diskutierte lange mit den Vertretern der Presse. Die wirklich brisanten Themen wollen sie jetzt intern besprechen. Weitere Indiskretionen scheint es also nicht mehr gegeben zu haben. Womöglich ist das aber auch nur eine Frage der Zeit. Jedenfalls anders als während des laufenden Turniers, als van der Vaart und Huntelaar öffentlich die Aufstellung kritisierten.

Diesmal schloss van der Vaart sich selbst in die Kritik mit ein: "Du verlierst drei Mal, dann verdienst du es auch nicht." Unterstützung bekam er von seinem Mittelfeldkollegen Wesley Sneijder. "Wir haben alle zusammen versagt", sagte der Spielmacher, der während des Turniers starke Pässe gespielt und einige gute Chancen vorbereitet hatte, selbst aber zu ungefährlich geblieben war.

Noch an diesem Montag geht es für die niederländische Mannschaft zurück nach Hause. Dann beginnt für die Spieler der Urlaub - Zeit für jeden, um ihn Ruhe über die eigenen Fehler nachzudenken. Oder sich über seine Zukunft in der Elftal bewusst zu werden.

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