Niederlage gegen Frankfurt:Schalke verliert sich im Unterirdischen

Niederlage gegen Frankfurt: Torhüter Ralf Fährmann und seinen Kollegen blieb am Ende nur schuldvolles Dreinkucken.

Torhüter Ralf Fährmann und seinen Kollegen blieb am Ende nur schuldvolles Dreinkucken.

(Foto: Martin Meissner/AP)
  • Das pure Entsetzen regiert bei S04: Die 0:1-Pleite gegen Frankfurt führt zu wütenden Szenen auf den Rängen.
  • Kapitän Höwedes und Trainer Weinzierl finden deftige Worte.
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Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Auf der Bank von Eintracht Frankfurt herrschten Wut und Betroffenheit, einige Ersatzspieler warfen die warmen Decken von sich und sprangen von ihren Sitzen auf, um ihr Unverständnis zu artikulieren. Und auch der Trainer Niko Kovac setzte ein Gesicht auf, als sei er soeben Zeuge eines der schlimmsten Justizirrtümer der Rechtsgeschichte geworden - doch aller Protest war vergeblich. Das Dekret des Spielleiters Robert Hartmann galt unverändert: Es sollte volle vier Minuten Nachspielzeit in der Arena auf Schalke geben.

Was die Anordnung des Schiedsrichters auf der Bank von Schalke 04 auslöste, ist hingegen schwer zu sagen. Zeichen von spontaner Anteilnahme waren dort nicht auszumachen, und schon gar nicht war zu erkennen, dass die immerhin nicht geizige Zuteilung von Extra-Zeit noch einmal etwas Hoffnung gespendet hätte. Es stand zwar bloß 0:1, aber dieses 0:1 stellte für die elf Schalker auf dem Platz ein Hindernis dar, das mindestens so hoch war wie alle Berge der Erde zusammen. Den Zuschauern war das längst bewusst geworden, sie waren mehrheitlich geflohen, und die Verbliebenen waren nur deswegen noch da, um sich nach dem Schlusspfiff so laut wie möglich zu beschweren und die Spieler zu beschimpfen.

Diese waren mit beschämten Blicken vor die Fankurve getreten, wo nach ritueller Art Fäuste geschwungen und Flüche ausgestoßen wurden. Einerseits handelte es sich dabei um das offenbar vorschriftsmäßige Wutbürgerverhalten, dem sich Kurvenfans überall in Deutschland regelmäßig verpflichtet fühlen, wenn ihre Teams schwach spielen. Andererseits war es weit mehr als das. Es war das, was Mittelfeldspieler Leon Goretzka beim Gang vor den Fanblock in den Gesichtern der Anhänger gesehen hatte: das pure Entsetzen.

Es war ein Glück für die Liga, für Deutschland und vor allem für den Rest der Welt, dass die DFL dieses die Rückrunde eröffnende Freitagabendspiel nicht zum TV-Präsentationsobjekt und Vorzeige-Exportartikel stilisiert hatte, denn auf dem blassgrünen Stolperspielfeld der Veltins-Arena wurde ein Fußball geboten, der sogar die Sieger auf Abstand gehen ließ. "Der Ball war ja nur noch in der Luft", sagte Alex Meier, der Frankfurter Angreifer und Schütze des eigenen Tores. In die negative Wertung bezog er ausdrücklich auch die eigene Mannschaft ein: "Wir haben gar nicht mehr probiert, Fußball zu spielen, haben nur noch die Dinger hinten rausgehauen."

Letzteres aber nicht, weil die Hausherren so einen gewaltigen Druck ausübten, um das 0:1 aus der 33. Spielminute auszugleichen. Die Frankfurter Spieler passten sich bloß dem Stil ihrer Schalker Kollegen an. Meier war natürlich sehr zufrieden mit den drei Punkten, aber er war auch sehr erstaunt: Darüber, dass die eigentlich unbefriedigende Leistung der Eintracht zu einem unumstritten verdienten und kaum gefährdeten Auswärtssieg gereicht hatte. Selbst der von Haus aus der Höflichkeit verpflichtete Japaner Makoto Hasebe kam in den Nachspielinterviews nicht umhin, die Kompetenz des Gegners in Frage zu stellen.

Für die Dauer von circa fünf bis zehn Minuten sah es so aus, als ob sich die Schalker für das schwache Heimspiel gegen Ingolstadt eine Woche zuvor (1:0) rehabilitieren könnten. Schwung und Angriffsgeist bestimmten den Start ins Spiel, der neue Mittelstürmer Guido Burgstaller schoss sogar sein zweites Tor für Schalke, das allerdings nicht zählen durfte - er hatte sich im Abseits befunden. Pech gehabt. Rückblickend könnte man meinen, dass der Abend für die Schalker in diesem Moment in die falsche Richtung abbog.

Danach nämlich nahm die Partie ihre wahre, ihre furchtbare Gestalt an. Beide Seiten beharkten sich verbissen und auf engsten Räumen, es sah aus wie ein einziger Austausch von Kampfhandlungen. Die Frankfurter machten dabei mit ihrer guten Gemeinschaftsarbeit und ihrer mechanisch präzisen Organisation die bessere Figur. Hasebe und Mascarell im Zentrum sowie Abraham und Vallejo in der Deckung waren die einflussreichsten Spielfiguren.

Nur noch hoch und weit

Den Schalkern gelang, obwohl Afrika-Cup-Heimkehrer Nabil Bentaleb wieder mitwirkte, spielerisch wenig. Manche Augenzeugen meinten auch: nichts. Auf den Flügeln konnten sich Schöpf und Kolasinac selten durchsetzen, Goretzka und Bentaleb im Zentrum waren weit davon entfernt, Spielkontrolle auszuüben, Geis verfehlte auf der Position des Strategen im Kernland des Mittelfeldes sowohl defensiv als auch offensiv seine Aufgabe. Im Angriff bekam derweil Choupo-Moting keine Gelegenheit, sein technisches Geschick einzusetzen und Kombinationen aufzunehmen, was daran lag, dass er die Zuspiele meistens in zweieinhalb Metern Höhe zu empfangen hatte.

Längst waren seine Kollegen dazu übergegangen, die Kugel nach dem Erhalt sofort hoch und weit nach vorn zu befördern bzw. zu prügeln. So, wie sie es vorigen Samstag gegen Ingolstadt getan hatten. Markus Weinzierl wurde später gefragt, ob das Spiel mit langen Bällen auf seinen Anordnungen beruhte: Nein, sagte der Cheftrainer, "das war nicht besprochen. Die Mannschaft hat den Mut verloren. Wir haben uns nicht zugetraut, auf dem schweren Boden flach zu spielen." Abwehrchef Naldo erklärte sich und seine Nebenleute für nicht zuständig: "Wir sind keine Zehner, wir sind Innenverteidiger", sagte er.

Besser wurde das Schalker Spiel auch in der zweiten Halbzeit nicht, stattdessen wurde es schlechter - und dann noch viel schlechter. Bis es am Schluss so schlecht war, das es beim Zugucken wehtat. Auch die Einwechslung des just aus Wolfsburg verpflichteten Caligiuri änderte nichts. In Erinnerung blieb vom neuen Mann lediglich eine Flanke aus dem Halbfeld, der dreißig Meter hinter dem Ziel in den Rängen verschwand. Anderthalb Torgelegenheiten durch den fleißigen, später dann auch überarbeiteten Burgstaller kamen für die Schalker zustande. Die Frankfurter wiederum übten sich vorwiegend darin, ihre Fertigkeiten im Zeitspiel zu vervollkommnen.

Das Adjektiv, das von den Zuschauern am häufigsten zur Bewertung des Schalker Auftritts verwendet wurde, war vermutlich "unterirdisch". Auch der Manager Christian Heidl benutzte das Wort, bevor er seine Ratlosigkeit über das Zustandekommen dieses Dramas eingestand. Der Plan, das Feld von hinten aufzurollen, um doch noch einen Europacupplatz zu erreichen, erscheint nach den Erfahrungen dieses Abends so realistisch wie die Hoffnung, dass sich Donald Trump in ein Gänseblümchen verwandelt. Der emotional schwer mitgenommene Kapitän Benedikt Höwedes ("wir spielen einen Scheiß") hob sogar hervor, die Lage sei "bedrohlich", was so abwegig nicht ist. Rückblickend könnte der 1:0-Sieg gegen Ingolstadt ein Sechs-Punkte-Sieg gewesen sein.

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