NHL:Gelebter Sozialismus in der Wüste Nevadas

Philipp Grubauer

Bald in der Wüste? Der deutsche Nationaltorhüter Philipp Grubauer, hier noch im Trikot der Washington Capitals.

(Foto: AP)
  • Investor Bill Foley kauft für 500 Millionen US-Dollar eine Spiellizenz in der NHL, der Verband freut sich über einen neuen Standort und hofft auf frisches Geld.
  • In der Nacht auf Donnerstag darf sich der Klub seinen Kader kostenlos zusammenstellen - aus Spielern anderer Profiklubs.
  • Es ist ein Beispiel dafür, welche Maßnahmen die Liga ergreift, um sich in der Konkurrenz mit anderen Sportarten zu behaupten.

Von Daniel Timm

Es ist ein interessantes Gedankenspiel, zu dem die NHL dieser Tage einlädt: Man stelle sich vor, ein neues Team würde sich für eine Millionensumme in die Fußball-Bundesliga einkaufen - und könnte sich dann auch noch genüsslich und kostenfrei Spieler vom FC Bayern, den Dortmunder Borussen und den Schalkern aussuchen. Per Verbandserlaubnis versteht sich. Einen Thomas Müller zum Beispiel, einen Matthias Ginter womöglich, vielleicht sogar einen Leon Goretzka? Sagen wir mal so: In den Managerstuben deutscher Bundesligisten würde eine gewisse Unruhe aufkommen.

In der nordamerikanischen Profi-Eishockeyliga wird sich genau dieses Szenario in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag abspielen: Das neu gegründete Team der Las Vegas Golden Knights - 500 Millionen US-Dollar ließ sich Investor Bill Foley die NHL-Lizenz kosten - wird seinen Kader im Rauspick-Prinzip zusammenstellen. Von jeder der 30 gegnerischen Mannschaften darf General-Manager George McPhee einen Spieler aussuchen, der sein Geld bald schon in einer kühlen Eishalle inmitten der Wüste Nevadas verdienen wird, die abgebenden Klubs haben nur ein limitiertes Vetorecht. "Das ist der größte Spaß, den ich jemals im Eishockey hatte", sagte McPhee, verständlicherweise.

Für mehr Spannung dehnt der Verband die Regularien

Die Aufnahme des Wüstenteams verfolgt aus Verbandssicht vor allem ein Ziel: den Markt lukrativ auszubauen und vom ersten Profisport-Team in Las Vegas finanziell zu profitieren. "Wir haben mehr Teams im Osten als im Westen", sagte NHL-Chef Gary Bettmann, der damit nicht verhehlte, warum es nach der Bewerbung Las Vegas statt Kanadas Eishockey-Stadt Quebec in die Liga geschafft hat. Die Eishockeyliga muss sich mit sportlicher Spannung gegen die vielen anderen US-amerikanischen Sportligen behaupten und hat ein Interesse daran, so viele konkurrenzfähige Teams wie möglich ins Rennen um den Stanley Cup zu schicken - damit die Golden Knights schon in ihrer Debüt-Saison mitmischen können, dehnte die NHL sogar die Regularien.

NHL: Stellt seinen neuen Kader zusammen: Golden-Knights-Manager George McPhee.

Stellt seinen neuen Kader zusammen: Golden-Knights-Manager George McPhee.

(Foto: AP)

Die bestehenden Klubs können den Pool der zur Auswahl stehenden Spieler teilweise selbst bestimmen, jedoch nur neun beziehungsweise elf Profis vor einem eventuellen Weggang schützen - acht Feldspieler und einen Torwart, oder sieben Stürmer, drei Verteidiger und einen Torwart. Einen anderen werden sie hingegen ohne Gegenleistung verlieren. Auch Philipp Grubauer könnte davon betroffen sein: Der 25-jährige Ersatztorwart aus Rosenheim empfahl sich bei den Washington Capitals für Höheres und gilt als Favorit, das Tor von Las Vegas in der kommenden Saison zu hüten. Tom Kühnhackl (Pittsburgh Penguins), Dennis Seidenberg (New York Islanders) und Korbinian Holzer (Anaheim Ducks) stehen aus deutscher Sicht ebenfalls zur Auswahl.

Nicht jedem gefällt das Konzept, Kritiker sehen darin einen qualitativen Verlust für bestehende Teams: Viele Manager planten mit ihren Eishockeycracks für die kommende Spielzeit, doch nun müssen sie sich darauf einstellen, kurzfristig Ersatz zu finden. Andererseits: Auch die Klubs selbst haben mehr Spaß - und höhere Einschaltquoten - gegen einen gleichstarken Gegner anstelle eines weit unterlegenen.

Chancengleichheit hat Tradition im Eishockey

Das Element der Chancengleichheit und der gelebten Solidarität hat Tradition im nordamerikanischen Eishockey. Der Expansion-Draft, in dessen Zuge sich Las Vegas nun also einen Kader zusammenbasteln darf, ist dabei nur eines von vielen Instrumenten, das die Parität der 31 Teams gewährleisten soll: Spieler werden nicht gekauft, sondern den jeweiligen Bedürfnissen der Klubs nach getauscht. Eine Gehaltsobergrenze von insgesamt 75 Millionen US-Dollar pro Kader sorgt für einen spannenden, weil qualitativ homogenen Spielbetrieb, da sich jedes NHL-Team nur eine Handvoll Großverdiener leisten kann. Zwischen teuren Leistungsträgern und preiswerten Ergänzungsspielern sind Scouting, Kaderplanung und Spielverständnis deshalb entscheidende Faktoren des Erfolgs. Dass große Teams die Top-Spieler kleinerer Teams aufkaufen und mit Allstar-Kadern in sportlich unattraktiven Ligen dominieren, ist somit ausgeschlossen.

Ein Team einfach so in die höchste Liga aufzunehmen, wirkt auf den europäischen Sportsfreund befremdlich: Der Leistungsgedanke im Verbandssport beinhaltet, dass man über Spielerfolg in höhere Klassen aufsteigt. Ein Hasan Ismaik könnte andernfalls dem TSV 1860 mit Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit im Fußballmarkt München einen Startplatz in der Bundesliga erkaufen, die Rasenballer aus Leipzig hätten sich gar ihre Aufstiegs-Odyssee aus den Niederungen der Spielklassen ersparen können.

Doch in Amerika wird der Profisport grundsätzlich als Unterhaltungsindustrie verstanden - dass hinter erfolgreichen Teams meist wohlhabende Besitzer stehen, stört den Fan ebenso wenig wie das Fehlen von Auf- und Abstieg aus den großen Profiligen. Stattdessen erfreut er sich daran, dass der amerikanische Profisport trotz des kapitalistischen Rahmens sehr solidarisch, ja fast sozialistisch daherkommt: Nach wie vor strömen im Durchschnitt 18 000 Zuschauer in die Arenen, einige Teams melden sogar einige Hundert Spiele in Folge ausverkauft.

Das neue Wüstenteam in Las Vegas hat zwar noch keinen Kader, aber wirtschaftlich trotzdem schon den ersten Erfolg erzielt: alle 16 000 Dauerkarten für die kommende Saison wurden verkauft, obwohl die angestrebten 10 000 zunächst als ambitioniert galten. 1500 Tickets pro Spiel sind nun noch zu haben - was der ein oder andere Transfer und ein bisschen Laufkundschaft in der Glücksspiel-Metropole schnell ändern dürften.

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