NHL Entry Draft:Talent aus der Tiefgarage

2017 NHL Draft - Round One

Runde 1, Pick 1: Die New Jersey Devils wählen den Schweizer Nico Hischier beim NHL-Draft aus.

(Foto: Bruce Bennett/AFP)

Der Schweizer Nico Hischier wird im Draft als Nummer eins ausgewählt - als erst siebter Europäer.

Von Simon Graf, Chicago/München

Sie kamen von überall her aus der so großen und großartigen Eishockeywelt, die jungen Spieler, die den Sprung in die NHL wagen. Aus Winnipeg, Manitoba. Aus Espoo, Finnland. Calgary, ­Alberta. Sundsvall, Schweden. Oder aus Penza, Russland. Aber der junge Mann, der ­ihnen ­allen vorgezogen wurde, wuchs in der Schweiz auf: in Naters im schönen ­Wallis.

Am Freitagabend im United Center in Chicago, beim Entry Draft, der Talenteziehung der stärksten Eishockeyliga der Welt, war erstmals ein Akteur aus der kleinen Schweiz am begehrtesten. "Die New Jersey ­Devils sind stolz, willkommen zu heißen ... von den Halifax Mooseheads: Nico Hischier", rief Ray Shero, der ­General Manager New Jerseys, feierlich. Der 18-Jährige Hischier atmete tief durch, herzte Mutter Katja, Vater Rino und Schwester Nina und schritt aufs Podium, um das rot-weiße Devils-Shirt überzustreifen.

Um die Bedeutung dieser Wahl zu erkennen, muss man sich vor Augen führen, wie selten überhaupt Europäer als Nummer 1 gedraftet, also von den Klubs als weltbeste Junioren ihrer Altersklasse eingestuft werden. In 55 Jahren wurde diese Ehre 41-mal Kanadiern zuteil, siebenmal Amerikanern und siebenmal Europäern: dem Schweden Mats Sundin (1989), den Tschechen Roman Hamrlik (92) und Patrik Stefan (99) sowie den Russen Ilja Kowaltschuk (2001), Alexander Owetschkin (04), Nail Jakupow (12). Und nun eben Hischier.

Es ist ja nun einmal so: Die konservativ gestrickten NHL-Klubbosse legen ihre Zukunft ­lieber in die Hände eines guten, ­kanadischen Jungen aus Saskatchewan oder Alberta als in die eines Europäers. Hischier ließ den Devils jedoch dieses Mal keine Wahl. Sein ­kanadischer Konkurrent Nolan ­Patrick, der ein bisschen größer und kräftiger ist, ist ein Allrounder auf hohem Niveau, war jedoch in der Juniorenliga in der vergangenen Spielzeit lange verletzt. Hischier hingegen spielte öfter. Er ist einer, der Eishockey-Liebhaber mit seiner Kreativität verzückt, der auf dem Eis nur Lösungen sieht statt Probleme.

Der Vater war Fussballer, die Mutter Schwimmerin

Genau solche Spieler sind im Eishockey auf höchstem Niveau, wo inzwischen alle so gut ausgebildet sind, dass sie sich mehrheitlich neutralisieren, umso gefragter. Spieler, die mit überraschenden Ideen das Patt auflösen. Woher hat er dieses Talent, vom Vater oder von der Mutter? ­Hischier zuckt mit den Schultern und sagt: "Beide sind sehr sportlich." Der Vater spielte Fussball beim FC Naters und war später beim Schweizer Fussballverband angestellt, die Mutter war Schwimmerin und unterrichtet heute als Sportlehrerin. Sie war es, die den vier Jahre älteren Bruder Luca erstmals aufs Eis mitnahm. Und als der mit Eishockey begann, wollte Nico das auch. Als die beiden Kinder etwas ­älter waren, verbrachten sie zusammen Stunden auf den ­Inline-Skates in der Tiefgarage und schossen Pucks an die Wand.

Es ist wohl kein Zufall, dass auch Roman Josi, 27, bei Nashville einer der besten Verteidiger der NHL, einen älteren Bruder hatte, dem er nacheiferte. Nico ­Hischier folgte Luca vom EHC Visp zum SC Bern, als er 15 war. Die beiden wohnten bei einer ­Tante, doch das Heimweh plagte den Jüngeren. Seine Heimat zu verlassen sei für ihn damals schwieriger gewesen, als dann vergangenes Jahr als 17-Jähriger nach Halifax umzuziehen, um auf der höchsten kanadischen ­Juniorenstufe zu spielen.

Dort stürmte sich Hischier in rasantem Tempo in die Herzen der Scouts und Experten. Die Draftkenner der kanadischen Senderkette TSN (The Sports Network) führten ihn am Anfang der Saison noch als Draft-Nummer 16 - von so weit ­hinten hatte sich übrigens bisher noch niemand auf den Spitzenplatz vorgearbeitet. Neben seiner herausragenden Spielintelligenz, von der viele schwärmen, hebt der kanadische Journalist Gare Joyce, einer der profundesten Kenner der Talentsichtung, etwas anderes hervor: Je schwieriger die Aufgabe, desto besser werde Hischier: "Bei der Junioren-Weltmeisterschaft fiel mir auf, dass er gegen die Besten nochmals einen Gang höher schalten kann."

Nicht so gut wie Matthews, aber noch mit viel Potenzial

Joyce stuft den Walliser nicht so hoch ein wie Auston Matthews oder Connor McDavid, seine Vorgänger als Nummer eins, die sofort in der NHL reüssierten. Doch er sieht bei Hischier ein großes ­Entwicklungspotenzial, da er körperlich noch nicht ganz ausgereift sei. Die Devils seien ein guter Klub für den 18-Jährigen, glaubt Joyce. Sie verpassten seit ihrer letzten ­Stanley-Cup-Finalteilnahme von 2012 fünfmal die Playoffs und können nun einen kreativen Spielmacher wie Hischier ganz gut gebrauchen. Sie dürften sich aber davor hüten, ihn zu früh zu hoch zu fordern.

Wegen seines Alters kann er in den USA in der nächsten Saison nur in der NHL oder für sein Juniorenteam in Halifax spielen, allerdings nicht im Farmteam in der zweitklassigen Erwachsenenliga AHL. Ein Zwischenweg wäre eine einjährige Rückkehr zum SC Bern. Dessen Sportchef Alex Chatelain verfolgte den Draft in Chicago und hätte Hischier gerne nochmals für eine Saison. Doch er geht davon aus, dass Hischier schon im nächsten Winter in der NHL spielen wird. "Vielleicht nicht die ganze Saison, aber 40 Spiele."

Chatelain traf Hischier beim Draft und war beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit er mit dem ganzen Rummel umging. Manchmal blitzte dabei auch sein Witz durch: Wie im Interview mit den Verantwortlichen New Jerseys vor dem Draft. Ein Fan Nashvilles hatte im ersten Finalspiel in Pittsburgh einen toten Fisch, einen Wels, aufs Eis geworfen und war danach abgeführt worden. Er werde die Nummer eins im Draft, wenn er in Spiel vier in Nashville, zu dem einige Talente eingeladen wurden, auch einen Wels aufs Eis werfe, sagte ein Scout zu Hischier. Der schmunzelte. Und wartete am Drafttag mit der Pointe auf: Als er gefragt wurde, ob er noch Fragen habe, sagte er: "Ja, eines möchte ich noch wissen: Wo ­kriege ich diesen Fisch her?"

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