Ángel di María vor dem WM-Viertelfinale:Argentiniens wichtigste Nudel

World Cup 2014 - Round of 16 - Argentina vs Switzerland

Ángel di María rannte ohne Ende - und dann traf er gegen die Schweiz zum entscheidenden 1:0.

(Foto: dpa)

Er ist schlaksig, flink und schießt entscheidende Tore: Ángel di María flößt den Brasilianern sogar mehr Angst ein als Lionel Messi - dabei steht er normalerweise nie im Mittelpunkt. Gegen Belgien soll der Mann von Real Madrid die Gauchos ins Halbfinale bringen.

Von Peter Burghardt, Brasília

Die Bedeutung der Stadt Rosario für Argentinien und den Weltfußball kann gar nicht überschätzt werden. Gut, der begabte Ernesto alias Che Guevara beendete seine Karriere frühzeitig, wurde Arzt, Revolutionär und Märtyrer. Der Provinzmetropole am braunen Río Paraná mit ihrer Getreidebörse, ihren Agrarkonzernen und Frachthäfen entwuchsen aber außerdem die Trainergurus César Luis Menotti und Marcelo Bielsa sowie die drei bedeutendsten Mitglieder der argentinischen Nationalmannschaft, die am Sonntag in Brasília das Viertelfinale gegen Belgien gewinnen und am 13. Juli in Rio de Janeiro Weltmeister werden will.

Da ist vorneweg Lionel Messi, Jahrgang 1987, da ist Javier Mascherano, Jahrgang 1984. Und am 14. Februar 1988 wurde in Rosario, zu Deutsch Rosenkranz, Ángel Fabián di María Hernández geboren.

Ohne ihn wäre nach dem Achtelfinale möglicherweise die Schweiz in der WM geblieben und Argentinien draußen, doch dieser Schlaks schickte den Coach Ottmar Hitzfeld mit einem Linksschuss in den Ruhestand. Der genialische Messi mit der 10 auf dem Rücken und der Binde am linken Arm hätte es selbst versuchen können, er hatte die Schweizer Garde am Strafraum in der 118. Minute ausgespielt.

"La Pulga", der Floh, ist der mit Abstand beste Argentinier in diesem Turnier und mit vier Treffern der beste Schütze seiner Mannschaft, aber rechts sah er den zweitbesten argentinischen Fußballer herbeieilen: Ángel di María, genannt "el Fideo", die Nudel, weil er so schmal ist. Also passte der Floh den Ball zur Nudel. Di María zog ab, 1:0, sein erstes WM-Tor überhaupt.

Als Kind ein Zappelphilipp

Für das Team in den himmelblauweißen Hemden und ihre Millionen Anhänger war diese Co-Produktion zweier außergewöhnlicher Talente ein Glücksfall kurz vor einem möglicherweise fatalen Elfmeterschießen, aber kein Zufall. Di María war in den 120 Minuten nahezu pausenlos über das Feld des Stadions Itaquerão von São Paulo gerannt.

Als Kind hatte ihm der Arzt Sport empfohlen, weil er so zappelig war, seine schlaksigen Bewegungen erinnern manchmal an Thomas Müller, wobei er die feinere Technik hat. Das Siegtor war sein elfter Torschuss in dieser Partie, der zwölfte flog dann kurz vor Abpfiff über das verlassene Ziel. Und gelaufen war die Nummer 7 in den zwei Stunden 12,59 Kilometer. "Er wurde mit jeder Minute schneller", staunte sein Trainer Alejandro Sabella. "Wir haben uns die Seele aus dem Leib gespielt", berichtete Ángel di María.

Die Zeitung O Globo erklärte ihn zum Engel, das bedeutet Ángel ja, und entdeckte eine argentinische Dreifaltigkeit. Der göttliche Diego Maradona, der Messias Messi und der engelhafte di María. Für Deutsche klingt sein Name ohnehin nach der heiligen Maria. Unter Argentiniens Witzbolden im Netz machte ein Bild die Runde, das di María im Gewand von Papst Franziskus zeigte, einem weiteren Argentinier aus himmlischer Umgebung.

Brasiliens früherer Präsident Luiz Inácio Lula da Silva äußerste seine Hochachtung: "Messi macht uns halbe Sorgen und dieser di María ganze." Beeindruckt war außerdem die brasilianische Mittelfeldlegende Zico, 61, sein Lob ist ein weiterer Ritterschlag: "Was der gerannt ist - unglaublich nach dieser Saison bei Real Madrid. Es gibt nichts Schöneres, als jung zu sein."

Messis hochgeschätzter Begleiter

Der Geehrte ist 26 Jahre alt, bestes Fußballer-Alter, und tatsächlich hat er bei Real Madrid eine ebenso lange wie grandiose Spielzeit hinter sich. Der Rechtsaußen war der beste Mann auf dem Platz, als Real Madrid im Finale vor eineinhalb Monaten Atlético Madrid bezwang und die Champions League eroberte. Für ihn war es fast ein Heimspiel gewesen, weil Ángel di María es bei Benfica Lissabon in die Weltklasse geschafft hatte, ehe Real Madrid zugriff und ihn 2010 für 25 Millionen Euro holte.

Real wollte den Angreifer schon abschieben

In solch seltenen Momenten steht er im Mittelpunkt, obwohl sonst meistens ein anderer wichtiger ist als er: Cristiano Ronaldo gewöhnlich bei Real Madrid und Lionel Messi in Argentinien. Dabei war di María auch eine nicht ganz unbedeutende Figur beim argentinischen Triumph bei der U20-WM 2007 in Kanada gewesen und beim Olympiagold 2010 in Peking, das entscheidende Tor dort stammte von ihm.

Er ist in Brasilien nun Messis hochgeschätzter Begleiter und guter Freund, obwohl die Klubkarriere beide zu Rivalen gemacht haben könnte. Messi begann bei Newell's Old Boys in Rosario, di María bei Rosario Central, die Fans beider Vereine sind verfeindet. Nun spielt Messi beim FC Barcelona und di María bei Real Madrid, allerdings stehen die Interessenten Schlange: Sie müssten mindestens 30 Millionen Euro hinblättern, eher mehr.

Madrid wollte den stillen Angreifer schon abschieben, ehe Trainer Carlo Ancelotti seinen Wert wiederentdeckte. In Spanien wurde der Engel mit den Segelohren von Lesern der Sportzeitung Marca mal zum hässlichsten Profi der Primera División gewählt, vor Mesut Özil; der Schönste war natürlich Cristiano Ronaldo. Di María nahm es mit Fassung. Derzeit ist Argentinien verliebt in ihn.

Nach dem Tor in drittletzter Minute gegen die Schweiz und Umarmung mit Vorbereiter Messi formte er mit den Händen ein Herz, das macht man auf dem Rasen neuerdings so. Gedacht war das Herz für seine Tochter Mía und seine Frau Jorgelina, die selbstverständlich ebenfalls aus Rosario kommt und die er in der städtischen Kathedrale geheiratet hat.

Man weiß mittlerweile auch, was er sich da auf seinem linken Unterarm tätowiert ist: "In La Pedriel geboren worden zu sein, war und ist für immer das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist." La Pedriel ist ein Stadtteil von Rosario.

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