NFL-Draft:Footballer Böhringer, das leise Phantom aus Deutschland

AMERICAN FOOTBALL Big6 Vikings vs Unicorns VIENNA AUSTRIA 17 MAY 15 AMERICAN FOOTBALL Big6 Eu; Moritz Böhringer

Moritz Böhringer spielt in der German Football League für die Schwäbisch Hall Unicorns.

(Foto: imago/GEPA pictures)
  • Der deutsche Footballer Moritz Böhringer machte in den USA mit herausragenden Werten in einem Nachwuchstraining auf sich aufmerksam.
  • Jetzt hofft er beim so genannten Draft von einem Team aus der amerikanischen Profiliga NFL gewählt zu werden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Freak. Phantom. Schwarzes Pferd. Das sind die Spitznamen von Moritz Böhringer, seit er vor ein paar Wochen an einem Probetraining der nordamerikanischen Footballliga NFL in Florida teilgenommen hat. Es sind keine Schimpfwörter, gewiss nicht, sondern vielmehr respektvolle und auch ein wenig ratlose Komplimente. Vor allem sind all diese Beinamen bei näherer Betrachtung der Geschichte dieses jungen Mannes ziemlich akkurat.

Von Donnerstagabend an (ProSieben MAXX überträgt in der Nacht zum Freitag live von 1.45 Uhr MESZ an) selektieren die Profivereine im Auditorium Theater von Chicago beim so genannten Draft die talentiertesten Nachwuchsspieler, der 22 Jahre alte Böhringer könnte dabei der erste Footballspieler sein, der direkt aus einer europäischen Liga gewählt wird.

Am Telefon wird einem schnell bewusst, warum der wahre Spitzname das 1,94 Meter großen und 102 Kilogramm wuchtigen Passempfängers nichts mit Phantomen und Pferden zu tun hat, sondern Silence lautet. Er spricht leise und mit tiefer Stimme, vor allem aber verwendet er keine überflüssigen Worte. "Das wäre verrückt, wenn mich ein Verein wählen würde", sagt er: "Einige Klubs scheinen interessiert zu sein, das werte ich als gutes Zeichen. Vielleicht habe ich ein paar Leute beeindruckt."

Sie nennen ihn Freak in den USA

Das ist freilich eine Untertreibung des Schweigers. Sie nennen ihn Freak in den USA, weil sie so einen Athleten nur selten zuvor bei einem Nachwuchstraining gesehen haben - vor allem keinen, von dem sie zuvor nicht einmal gewusst haben, dass er überhaupt existiert. Ein kräftiger Bursche, der für eine Laufstrecke von 40 Yards gerade einmal 4,43 Sekunden braucht und aus dem Stand heraus 99 Zentimeter hoch und 3,33 Meter weit springen kann.

Der bei den anderen Laufübungen dafür sorgte, dass die Späher die Funktionstüchtigkeit der Stoppuhren überprüften. Der bei Spielzügen jeden Ball fing, der in seine Richtung geworfen wurde. "Ohne Gegenspieler sollte das ja auch kein Problem sein", sagt er. Die Späher schickten Verteidiger auf Feld, die Druck ausüben sollten - Böhringer fing trotzdem jeden Ball: "Na ja, ich wusste, was ich zu tun hatte. Das habe ich getan."

Böhringer verfügt über all jene Football-Eigenschaften, die nicht oder nur sehr schwer zu trainieren sind: Größe, Kraft, Grundschnelligkeit, Ballgefühl. Wer so einen so genannten "Pro Day" hinlegt, der darf gewöhnlich auf eine Selektion in den ersten Runden hoffen wie etwa Wide Receiver Braxton Miller von der Ohio State University. Böhringer jedoch darf keineswegs sicher sein, dass er überhaupt zu jenen 256 Akteuren gehören wird, die in den insgesamt sieben Runden gewählt werden.

Das liegt daran, dass die Amerikaner glauben, dass dieser junge Mann bislang überhaupt nicht trainiert worden ist. Er hat erst vor vier Jahren mit diesem Sport angefangen, über den Bezirksligisten Crailsheim Titans kam der Maschinenbau-Student zu den Schwäbisch Hall Unicorns in die German Football League (GFL).

Böhringer hat sich mit zahlreichen NFL-Teams getroffen

In den USA gelten GFL-Vereine als vergleichbar mit einer drittklassigen Universität. Böhringer hat sich im Trainingslager zwar von Profi-Passfängern wie Pierre Garcon und Anquan Boldin beraten lassen, er hat sich jedoch noch nie gegen erstklassige Verteidiger durchsetzen müssen, er ist noch nie von einer NFL-Naturgewalt zu Boden gerammt worden. Die Vereine überprüfen vor dem Draft nicht nur die physischen Fähigkeiten der Spieler, sondern auch bisweilen skurrile Dinge wie die Trinkgewohnheiten der Freundin - es soll nichts dem Zufall überlassen werden.

Dass einer nicht in der amerikanischen Football-Kultur aufgewachsen und nicht an einer erstklassigen Uni ausgebildet worden ist, macht ihn zum Phantom: So wird ein Akteur genannt, bei dem Vereine hoffen, dass sein Talent möglichst unentdeckt geblieben ist und er deshalb in einer späten Runde gewählt werden kann.

Die Minnesota Vikings sind der Lieblingsverein von Böhringer

Zahlreiche Teams haben Böhringer in den vergangenen Wochen zu sich eingeladen, sie haben getestet, ob er sich komplizierte Spielzüge merken kann. Dann wollten sie auf dem Spielfeld sehen, wie er instinktiv auf spontane Veränderungen reagiert. Die Los Angeles Rams und Pittsburgh Steelers gelten als interessiert, dazu die Minnesota Vikings. Die sind der Lieblingsverein von Böhringer, seit er vor fünf Jahren den Running Back Adrian Peterson in einem Youtube-Video gesehen hat: "Der hat mir einfach gefallen. Es wäre eine große Ehre für mich, gemeinsam mit ihm auf dem Feld zu stehen."

Das gilt derzeit als durchaus realistisch, Böhringers Manager Kyle Strongin hofft auf die vierte Runde, Draft-Experten prognostizieren eher die siebte. Wenn überhaupt. Böhringer gilt als Black Horse: So ein schwarzes Pferd übergehen die Vereine beim Draft in der Hoffnung, dass auch alle anderen verzichten - und sie ihm dann einen Vertrag anbieten können. Es heißt aus NFL-Kreisen, dass es einige Vereine gibt, die genau das mit Böhringer vorhaben und dann in den kommenden fünf Monaten überprüfen wollen, ob sie diesen Freak zu einem Footballprofi ausbilden können. "Das wäre mir egal, so lange ich bei einem Profiverein unter Vertrag stehe", sagte Böhringer.

Natürlich gibt es in der NFL mittlerweile einige deutsche Spieler. Markus Kuhn wechselte gerade zu Sebastian Vollmers New England Patriots. Kasim Debali spielt bei den New Orleans Saints, Mark Nzeocha bei den Dallas Cowboys, der einstige First-Round-Pick Björn Werner sucht derzeit einen neuen Verein. Böhringer wäre jedoch der erste, der auf einer prägenden und auch stets sichtbaren Position wie der des Passempfängers spielen würde. Und natürlich wäre er der mit dieser herrlichen verrückten Geschichte vom Phantom, das zum Profi wurde.

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