New York Marathon:Der Läufer aus 700 Metern Tiefe

Bergmann Edison Peña trainierte in Chiles Unglücksmine für den New-York-Marathon. Nach der Befreiung ging er zu David Letterman - und verschwand im Pulk der Läufer von Manhattan.

Peter Burghardt

Es gibt verschiedene Arten, sich auf einen Marathon vorzubereiten, aber vermutlich hat noch nie jemand so geprobt wie Edison Peña, am Sonntag Marathon-Debütant in New York. Der Chilene drehte seine ersten Runden vor dem wohl berühmtesten aller Langstreckenläufe in 700 Metern Tiefe: in der Mine San José bei Copiapó, in düsteren und feuchtheißen Stollen unter der Atacama-Wüste, eine Lampe am Kopf und zerschnittene Stiefel an den Füssen. Wobei er in jenen Wochen nicht ahnte, wohin ihn dieses Training führen würde. Er lief um sein Leben.

Edison Pena

Zuerst die Rettung, dann der Lauf: Edison Pena.

(Foto: AP)

Am 5. August waren Gänge hinter ihm und 32 anderen Kumpeln eingestürzt, die Arbeiter saßen fest. 17 Tage lang galten sie als tot, dann wurden die Suchtrupps mit einer Sonde fündig. Es folgte die aufsehenerregendste Rettungsaktion der Geschichte, angeführt vom chilenischen Präsidenten und zwei Ministern.

Während oben die Bohrung für einen Bergungsschacht lief, begann Edison Peña in der Unterwelt jeden Tag ein paar Kilometer weit zu joggen, er entfernte dafür den Schaft seiner Arbeitsschuhe. Später ließ er sich durch das schmale Versorgungsrohr einen iPod hinabschicken und hörte seine Lieblingsmusik, Elvis Presley. Er rannte aus Angst, aus Verzweiflung, aus Langeweile.

"Als ich lief, da dachte ich, ich schlage das Schicksal", berichtete der Athlet aus dem Schattenreich. "Ich sagte zu der Mine: Ich renne dich nieder, ich renne so lange, bis du müde bist, bis du dich mit mir langweilst." Am 13. Oktober war es dann soweit. Nach 70 Tagen entließen ihn die Eingeweide des Berges in einer Kapsel an die Oberfläche, als Nummer zwölf von 33, eine Milliarde Menschen sahen zu.

Dann begann ein neuer Wettkampf. Jeder war drunten als irgendwas bekannt geworden. Der Schichtführer. Der Unterhalter. Der Schreiber. Edison Peña, 33, war also der Läufer. Das sprach sich herum, es folgte die Einladung zum Marathon nach New York. "Wir wollen diesen Mann feiern", erläuterte Mary Wittenberg von den Road Runners. "Er ist einer von uns."

20 Minuten schneller als geplant

Und das taten sie dann auch, unmittelbar vor dem Start: Sie feierten Edison Peña. Richtig in Form ist der Ehrengast zwar nicht gewesen für diese 42,195 Kilometer, das wusste er selbst. Kürzlich wurde er wegen antriebsloser Verstimmung noch einmal ins Krankenhaus eingeliefert, dem Psychologen Alberto Iturra machte er Sorgen. Aber dann beteiligte sich der Patient an einem Triathlon in Chile, er lief dabei zehn Kilometer.

Dann flog Peña tatsächlich zum Big Apple, am Kennedy-Airport nahmen ihn mehrere Fernsehteams sowie der Weltrekordler Haile Gebrselassie in Empfang. "Chilenischer Held, ein Rockstar in Gotham", freute sich die New York Post. Seine Vorbereitung gehe in die Geschichte der Trainingslehre ein, vermutet die Times aus London zweifellos zu Recht.

Das mit dem Rockstar erwies sich auch schnell als richtig, denn der Held aus dem Untergrund mag wie gesagt Elvis und singt gerne. Bei einer Pressekonferenz gab er eine umjubelte Kostprobe und in der Show von David Letterman trug er "Suspicious Mind" vor, die Zeitschrift Movieline ernannte ihn zum geborenen Entertainer und seinen Auftritt zum Höhepunkt des Abends. "Als ich das erste Mal in einer Mine war, da wollte ich sofort wieder hinaus", erzählte er. "Ach, das geht den meisten Gästen in meiner Show genauso", sagte Letterman.

Der Wettkampf begann am Sonntagmorgen, Edison Peña ging mit der ersten Gruppe der 45.000 Starter ins Rennen. "Ich will ans Ziel, egal, wie lange es dauert", hatte er verkündet. Dann verschwand er im Pulk, und in den nächsten Tagen wird man die Ergebnislisten auch daraufhin überprüfen, ob Peña ins Ziel gekommen ist.

Wie auch immer: Es war eine besondere Stadtbesichtigung. Bei der Erkundungen zuvor war ihm aufgefallen, dass die Freiheitsstatue kleiner sei als im Fernsehen und die Hot Dogs in Chile besser schmeckten. Von einem Besuch in der Metro rieten die Ärzte aus gegebenem Anlass ab.

Nachtrag:

In der Nacht zum Montag (MESZ) wurde bekannt, dass Edison Peña den New-York-Marathon bewältigt hat. Er hatte nach 5:40:51 Stunden das Ziel im Central Park erreicht. Eingehüllt in eine chilenische Fahne überquerte Peña zu Musik von Elvis Presley die Ziellinie. Damit war der Elvis-Fan 20 Minuten schneller als geplant, obwohl er am Ende Probleme bekam und seine Knie mit Eisbeuteln kühlte. "In diesem Marathon musste ich kämpfen - mit mir selbst und meinem Schmerz. Aber ich habe es ins Ziel geschafft. Ich möchte andere Menschen motivieren, den Mut und die Kraft zu finden, um ihren Schmerz zu überwinden", sagte Peña.

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