New England Patriots:Ein Klub, den es eigentlich nicht geben soll

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Tom Brady: Könnte schon bald erfolgreichster Spielmacher der Geschichte sein (Foto: REUTERS)

Obwohl die NFL Chancengleichheit für alle Teams garantieren will, dominieren die New England Patriots seit 15 Jahren die Football-Liga. Und funktionieren dabei wie eine Sekte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Jetzt mal ehrlich: Wie in aller Welt kann es passieren, dass Chris Hogan die komplette Partie über derart unbewacht über das Spielfeld laufen darf? Das ist eine Frage, die sich die Fans der New England Patriots verzückt und die Anhänger der Pittsburgh Steelers verzweifelt gestellt haben. Und über die sich alle anderen Zeugen dieser Halbfinalpartie in der amerikanischen Footballliga NFL wundern. Die Beantwortung führt zur Essenz dieser Sportart: zu dem magischen Moment, in dem eine Defensive kollabiert, weil die gegnerische Offensive eine Strategie, so weitreichend wie im Schach, auf fünf Sekunden verdichtet, zugleich mit der Dynamik von Kampfsport verbindet und mit höchster Präzision ausführt.

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Einer dieser magischen Momente für die Patriots gestaltete sich so: Die Muskelberge der Offensivlinie verdichteten sich zu einer für die Steelers kaum zu überwindenden Gebirgslinie und gewährten Spielmacher Brady (hinter der Linie) und dessen Mitspielern (davor) genügend Zeit, sich wie Schachfiguren über den Rasen zu bewegen. Die Passempfänger Julian Edelman, Danny Amendola und Martellus Bennett opferten sich mit stimmig choreografierten Laufwegen, um Hogan in der Endzone der Steelers zu positionieren. Brady, mit der Präzision und Handruhe eines Dartspielers gesegnet, bediente Hogan aus 16 Yards. Schachmatt.

Was läuft da magisch richtig oder falsch?

Die Patriots gewannen aufgrund weiterer magischer Momente (ein Trickspielzug von Brady auf Hogan für einen 34-Yard-Touchdown) mit 36:17 - wobei die Partie noch einseitiger war, als es das Ergebnis vermuten lässt. Sie treffen im Endspiel auf die Atlanta Falcons, die zuvor mit nicht weniger spektakulären Spielzügen die Green Bay Packers (44:21) zerlegt und zum zweiten Mal in der 50 Jahre dauernden Vereinsgeschichte den Super Bowl erreicht hatten. Für die Patriots ist es die siebte Teilnahme in den vergangenen 16 Spielzeiten, was zu weiteren Fragen führt: Warum lässt dieser Klub seine Gegner häufiger kollektiv kollabieren als andere? Was läuft da, je nach Perspektive, magisch richtig oder falsch?

Die Regeln im US-Sport werden seit Jahren fast ausschließlich zur Maximierung des Profits und zur Wahrung der Chancengleichheit angepasst, mittelfristig sollen alle Vereine ähnlich häufig um den Titel spielen: Es gibt Gehaltsobergrenzen, TV-Gelder werden gleichmäßig verteilt, die Tauschgeschäfte eingeschränkt und die in der Vorsaison erfolglosen Mannschaften dürfen bei der Selektion der talentiertesten Nachwuchsspieler zuerst wählen. Früher gab es in den US-Ligen und in den Playoffs auch weniger Klubs, die Basketballliga NBA bestand in den 1960ern aus acht Klubs.

Heute ist die Anfahrt zu einem Titel mühsamer. Grundsätzlich haben all diese Eingriffe gewirkt. In der MLB (Baseball) hat seit 17 Jahren kein Klub mehr den Titel verteidigt, in der NHL (Eishockey) sogar seit 18 Jahren. Wobei manche Früher-war-alles-viel-besser-Gurus, derzeit immer wieder bemängeln, dass die Expansionspolitik die Qualität verwässere.

Die Patriots sind jedenfalls ein Branchenführer, den es eigentlich nicht geben soll. Sie haben dennoch als vorerst letzte NFL-Auswahl ihren Titel verteidigt (vor 13 Jahren), damals gewannen sie drei Titel binnen vier Jahren (2001, 2003, 2004) und begründeten eine Ära, in der sie bis heute 14 Mal die Playoffs erreichten und in den vergangenen sechs Spielzeiten mindestens das Halbfinale. Dazu kommt der Titel vor drei Jahren, weshalb Brady in zwei Wochen zum erfolgreichsten Spielmacher der Geschichte werden könnte; derzeit liegt er mit vier Super-Bowl-Ringen gleichauf mit Terry Bradshaw und Joe Montana. Was machen die Patriots also besser?

Es wäre zu einfach, den Erfolg auf die Verbissenheit von Quarterback Brady und Trainer Bill Belichick zu reduzieren, die bei ihrer Sucht nach Siegen nicht nur magische Momente kreieren, sondern auch mal die NFL-Regeln brechen: Belichick hat von 2002 bis 2007 gegnerische Vereine systematisch ausspionieren lassen, Brady soll im Halbfinale der Meistersaison 2014 für illegalen Luftdruck in den Spielgeräten gesorgt haben - er verpasste deshalb nach langen juristischen Scharmützeln die ersten vier Partien dieser Spielzeit.

Der Verein wählt Akteure nicht nach Begabung aus

Die Patriots sind weniger ein Klub als vielmehr eine sportliche Sekte - mit der Vince-Lombardi-Trophy als Segen versprechendem Pokal. Sie haben eine Wir-gegen-die-Welt-Mentalität etabliert, vor Spielen hängt Belichick in der Kabine schon mal ein Foto von NFL-Boss Roger Goodell auf (der Brady suspendiert hat) oder zeigt seinen Spielern Videos, in denen sie beleidigt werden wie in der vergangenen Woche von Steelers-Trainer Mike Tomlin. Der Verein wählt Akteure nicht unbedingt nach Begabung aus, sondern anhand ihrer Fähigkeit, zu einer Figur im System zu werden. Wer nicht spurt, ob auf oder neben dem Spielfeld, der wird fortgeschickt. Jeder hat sich zu fügen, selbst Brady, der in Besprechungen mit Belichick trotz seiner mittlerweile 39 Jahre noch immer wirkt wie ein Streber in der Grundschule.

Diese Philosophie führt dazu, dass ein Passempfänger wie Hogan in den vergangenen fünf Jahren von drei NFL-Teams entlassen worden ist, ohne eine Minute gespielt zu haben. Dass er bei den Buffalo Bills zuletzt meist Ersatzspieler war. Dass er nun bei den Patriots oft das Laufweg-Opfer für die Kollegen Edelman und Bennett gegeben hat und am Sonntag plötzlich Pässe für einen Raumgewinn von 180 Yards fing und zwei Touchdowns erzielte. Und dass er auf die Frage, warum in aller Welt er die komplette Partie über derart unbewacht über das Spielfeld laufen durfte, ehrlich antworten kann: "Weil Trainer und Mannschaft das so geplant haben."

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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