Neun Monate vor der EM:Ein Länderspiel als Belästigung

Neun Monate vor der EM wendet sich Österreichs Öffentlichkeit von seiner Fußball-Auswahl ab. Aber ein Trainerwechsel kommt nicht in Frage.

Michael Smejkal

Die Höchststrafe schien schon in der Vorwoche verhängt worden zu sein. Statt Pfiffen und Schmähungen gab es nur mehr Mitleid für Österreichs Fußball-Nationalelf, die dieser Tage mit einem "Turnier der Kontinente" Werbung in eigener Sache für die Heim-Europameisterschaft 2008 machen sollte. Das Vorhaben musste bereits mit dem 0:0 gegen Japan am Freitag - gleichzeitig die Stadioneröffnung in Klagenfurt - als misslungen gelten. Doch das war nicht alles, das Strafmaß wurde wenige Tage später noch einmal deutlich erweitert.

So fiel am Dienstagabend selbst die Abstimmung an den Kassenhäuschen eindeutig gegen Österreichs Auswahl aus. Gerade noch 12000 Zuschauer wollten in Wien das Nationalteam gegen Chile (0:2) im vermeintlichen Finale des Kurz-Turniers sehen. Immerhin 20000 kamen in Klagenfurt zum zeitgleich angesetzten zweiten Turnierspiel. Hier traf die Schweiz, gemeinsam mit Österreich 2008 der EM-Ausrichter, auf Japan - Ergebnis: 3:4 und Tränen im gesamten Alpenraum. Denn wenn Austrias Fußball-Fans lieber Japan in Klagenfurt sehen als die eigene Mannschaft in Wien, dann ist der Tiefpunkt im Stimmungsloch wohl auch für alle Berufsoptimisten erreicht.

Prohaskas Häme

In der Tat scheint 268 Tage vor Beginn der mit viel Aufwand initiierten EM - drei der vier österreichischen EM-Stadien sind neu - das Feuer in Österreich zu erlöschen. Schlimmer noch: Die Auftritte der seit Jahren von Krisen geschüttelten Auswahl werden nicht mehr nur als beschämend, sondern mittlerweile als Belästigung empfunden. Selbst der dem Team in steter Treue zugetane Staatsfunk ORF brachte es Mittwoch auf einen Nenner: "Österreichs Team hat ein Problem mit dem Fußball", lautete die Schlagzeile auf der Online-Seite, während die Salzburger Nachrichten dem Team den freiwilligen Rückzug aus der EM nahe legten. Österreich solle lieber machen, was es am besten könne: Gäste aus aller Welt empfangen und bewirten.

In dieser dunklen Stunde legen auch immer mehr der alten Fußballgrößen ihre gepflegte Zurückhaltung ab. "Wir sind nicht reif für die EM", erklärte Toni Polster bereits vor dem Chile-Spiel. Herbert Prohaska, einst selbst gescheiterter Teamchef und jetzt ORF-Kommentator, floh in bittere Häme: "Leider hat bisher niemand unseren Spielern die Raumdeckung erklärt. Sie decken nämlich wirklich den Raum und nicht den Gegner." Vor allem die völlige Perspektivlosigkeit wirkt bedrückend. Teamchef Josef Hickersberger, der von Spielern, Medien und Rapid-Fans gleichermaßen geliebte "Pepi", ist zwar ratlos, aber das würde ihm nicht einmal sein größter Feind, so er überhaupt einen hat, übel nehmen.

Denn Hickersberger arbeitet mit Spielern, die meist nur sportlich aktiv werden dürfen, wenn sie den Adler auf der Brust tragen: Mehr als die Hälfte des Stammpersonals ist in den Klubs nur Tribünengast oder Ersatzspieler. Torhüter Jürgen Macho wurde im Sommer vom 1.FC Kaiserslautern abgeschoben, György Garics genießt in Neapel Land, Leute und die Sicht von der Ersatzbank aus, Thomas Prager wurde selbst beim niederländischen Kleinstklub Heerenveen ausgemustert, Roland Linz verlor seinen Platz bei Boavista Porto.

Martin Hiden war für Rapid Wiens Innenverteidigung zu langsam und bekam im Gegenzug nun zum zweiten Mal die Kapitänsschleife in der Nationalelf ausgehändigt. Rene Aufhauser und Christoph Leitgeb sind die letzten österreichischen Spieler bei Meister Salzburg, doch beide kommen nicht regelmäßig zum Einsatz. Zu Leitgeb, für viele der talentierteste Fußballer der Alpenrepublik, fiel dem Kurier nach dem Chile-Spiel eine Beurteilung ein, die auch nicht karrierefördernd ist: "Manchmal ist es besser, wenn er nichts macht."

Trainer mit Ablaufdatum

Langsam scheint jedoch auch Sympathieträger Hickersberger an sein Ablaufdatum heranzukommen. Die wenigen Zuschauer, die im Happel-Stadion bis zum Schluss ausharrten, verabschiedeten das Team und dessen Chef mit wütenden "Hicke raus"-Sprechchören. Verbandspräsident Friedrich Stickler befand zwar, dass "ein Trainerwechsel neun Monate vor der Euro ein Wahnsinn" wäre, im gleichen Atemzug wollte er aber Hickersberger keinen Freibrief ausstellen. "Ich muss mit dem Trainer reden. Das war zu wenig heute."

Auch Stickler bemühte zum Trost den Vergleich mit Deutschland vor der WM 2006 - dort sei damals über die Person Klinsmann diskutiert worden. Mehrere Etagen tiefer gestand Hickersberger, dass ihn die Pfiffe persönlich treffen. Am Tag danach bemühte er aber schon wieder alte Durchhalteparolen. Er werde im Amt bleiben, "weil ich weiß, dass ich dem Team noch etwas geben kann". Was das sein soll, konnte er auch nicht sagen.

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