Neues Qualifying-Format:"Ein Griff ins Klo"

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Fahrer und Experten sind sich einig: Das neue Qualifikationsformat ist eine Farce. Am Sonntag steht fest: Es wird wieder abgeschafft.

Von René Hofmann, Melbourne

Ganz schnell in den Rückwärtsgang: Das nächste Formel-1-Rennen findet am 3. April in Bahrain statt. Die Startaufstellung soll dann wieder im bewährten Modus ermittelt werden. Vier Stunden vor dem Start des ersten Rennens der Saison 2016 am Sonntag in Melbourne trafen sich die Chefs aller elf Teams am Albert Park und verabredeten einstimmig, die Methode, mit der am Samstag die Reihenfolge für den Australien-Grand-Prix ermittelt worden war, wieder abzuschaffen. Nicht nur der dreimalige Weltmeister Niki Lauda hatte sich unmittelbar nach der Qualifikation eindeutig gegen das Ausscheidungsfahren positioniert. "Ein Griff ins Klo. Die schlechteste Entscheidung in der Formel-1-Geschichte": So hatte Lauda gezürnt.

Zum 50. Mal in seiner Formel-1-Karriere parkte Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton auf dem begehrtesten Startplatz. Neben ihm nahm sein Teamkollege Nico Rosberg Aufstellung. Am nächsten kam den beiden noch Sebastian Vettel im Ferrari. Spektakulär allerdings war diese Reihenfolge nicht zustande gekommen. Ferrari brach die Jagd auf Mercedes bereits sechs Minuten vor dem Ende ab. Das Team wollte Reifen sparen. Dreieinhalb Minuten vor dem Ende kreiste dann gar kein Auto mehr. Die Fans verließen scharenweise die Tribünen und Damon Hill, der Weltmeister des Jahres 1996, spottete: "Lewis Hamilton hätte sich selbst abwinken können."

"Wie vor der Kasse am Supermarkt"

Der neue Qualifikations-Modus erinnerte an das Kinderspiel "Reise nach Jerusalem": In jedem der drei Qualifikationsdurchgänge schied nach einigen Minuten Einfahrzeit im 90-Sekunden-Takt der jeweils Langsamste aus. Dies führte dazu, dass zum Auftakt der Qualifikation alle Fahrer so schnell wie möglich eine gute Zeit setzen wollten. Vor der Ampel am Ende der Boxengasse baute sich deshalb eine Schlange auf "wie vor der Kasse am Supermarkt", wie Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene spöttisch bemerkte.

In der Theorie sollte der neue Modus dazu führen, dass die Autos häufiger kreisten. In der Praxis aber war das nicht der Fall. Weil die Reifen limitiert sind, rechneten die Teams früh hoch, welche Position für jeden Fahrer maximal zu erreichen war. Es wurde keineswegs häufiger gefahren. Und als jeder ahnte, dass er sich nicht mehr verbessern konnte, schlief das Geschehen ein.

Das neue Prozedere erntete einhellig Ablehnung. "Das Schlimmste, was ich je gesehen habe", urteilte David Coulthard. "Nicht akzeptabel" fand die Show sein einstiger Rennfahrer-Kollege Martin Brundle, Johnny Herbert sprach von einem "Ärgernis". Die aktuellen Fahrer sahen es ähnlich. "Die Formel 1 hat etwas versucht. Aber das ist der falsche Weg", sagte Nico Rosberg. "Alle Ingenieure haben prophezeit, dass es genau so kommen würde", verriet sein Teamkollege Lewis Hamilton: "Auch wir Fahrer haben davor gewarnt." Sebastian Vettel forderte: "Man kann nicht einfach irgendwas versuchen. Man muss das Richtige versuchen. Wir sind doch nicht im Versuchslabor."

Die Änderung war erst wenige Tage vor dem Saisonauftakt verabredet worden

Die TV-Experten waren von dem Experiment ebenfalls alles andere als begeistert. Aus seiner Sicht sei das "nichts" gewesen, ließ RTL-Moderator Florian König wissen, sein ORF-Pendant Ernst Hausleitner sprach vom "peinlichsten Formel-1-Moment seit dem USA-Grand-Prix 2005"; weil Reifenlieferant Michelin zu fragile Pneus geliefert hatte, waren damals überhaupt nur sechs Autos gestartet. In Melbourne kreisten am Samstag zwar 22, spannend aber war es nicht. Red-Bull-Teamchef Christian Horner meinte deshalb, die Formel 1 müsse sich wegen der Neuerungen erst einmal bei allen Fans "entschuldigen". Seine Forderung: "Wir müssen daraus lernen!" Ähnliches trug Mercedes-Sportchef Toto Wolff vor: "Ich bin der Erste, der sagt, wir sollten im Fernsehen nicht schlecht über manche Dinge reden, aber das neue Qualifikationsformat ist ziemlicher Müll." Bereits kurz nach der Qualifikation telefonierte er deshalb mit Vermarkter Bernie Ecclestone.

Verabredet worden war die Änderung erst wenige Tage vor dem Saisonauftakt. Auf den Weg gebracht hatte das neue System die Formel-1-Kommission, in der alle Teams sitzen. Ecclestone hatte sich noch radikalere Änderungen gewünscht. Sein Vorschlag: Nach den Platzierungen bei den Rennen zuvor gibt es Zeitaufschläge auf die Qualifikationszeit. Gemessen daran sahen die meisten in dem Ausscheidungsfahren das geringere Übel. Nach dessen Uraufführung aber war klar: Ein Übel bleibt ein Übel. "Das war ein ziemlicher Mist", urteilte auch Bernie Ecclestone aus dem fernen London. Der 85-Jährige hatte die weite Reise nach Australien nicht auf sich genommen.

Das alte System ist auch nicht unumstritten

Nach dem einstimmigen Votum der Teams könnten die Regeln umgehend modifiziert werden. Dafür müssen aber noch Gremien zustimmen, in denen auch der Automobilweltverband FIA Einfluss hat. Dass dies bis zum nächsten Auftritt in zwei Wochen in Bahrain glückt, gilt als wahrscheinlich. Die schlichte Rückkehr zum alten System ist aber keineswegs unumstritten. "Was wir vorher hatten, war schließlich auch nicht spektakulär", sagt beispielsweise Titelverteidiger Lewis Hamilton, der anregt: "Wir sollten weiter experimentieren." Der Brite hätte nichts dagegen, wenn sich dies über mehrere Rennen ziehen würde.

2005 wurde das Qualifikations-Format während der Saison schon einmal geändert. Damals wurde die Startaufstellung zunächst in einem zweigeteilten Einzelzeitfahren am Samstag und am Sonntagvormittag bestimmt. Nach sechs Rennen war damit wieder Schluss.

© SZ vom 20.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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