Neuer Eishockey-Nationaltrainer:Vom Biotop ins Haifischbecken

Lesezeit: 3 min

Die Verantwortlichen im deutschen Eishockey haben nach langer Suche einen Bundestrainer gefunden. Dass Pat Cortina kaum bekannt ist, stört sie nicht. Der Coach des EHC München gilt als erfahren und fleißig.

Johannes Schnitzler

Pat Cortina hat zuletzt viele Pressekonferenzen geben müssen. Am Freitag vor dem Saisonstart der Deutschen Eishockey Liga (DEL) sagte er: Bundestrainer? "Eine interessante Aufgabe. Aber mein Kopf und mein Herz sind in München." Am Sonntag, nach dem ersten Spiel, lautete seine Antwort auf dieselbe Frage: "Kein Kommentar." Er sei Trainer beim EHC München. Doch das war nur die halbe Wahrheit, Cortina wusste das natürlich, und die Journalisten wussten es auch.

Pat Cortina will die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft wieder zurück zu vergangener Klasse führen.   (Foto: Bongarts/Getty Images)

Cortinas Vertrag beim EHC München läuft bis 2014. Aber er wird ihn nur noch bis 2013 bedienen, in Doppelfunktion. Denn Pasqualino "Pat" Cortina, 48, Kanadier mit italienischen Vorfahren, ist eben auch: der neue Cheftrainer des Deutschen Eishockey-Bundes. Am Sonntag einigte er sich mit dem DEB auf einen Vertrag bis 2015. Vom Verband gab es dafür erst am Montag die Bestätigung. "Wir mussten Formalien einhalten", sagt Präsident Uwe Harnos.

Warum der Prozess, einen Nachfolger für Jakob Kölliker zu finden, sich quälend lange hinziehen musste wie ein klebriger Kaugummi, war eine Frage, die auch am Montag noch im Raum stand. "Es ging nicht darum, die schnellste, sondern die richtige Lösung zu finden", sagt Harnos. Wie die Personalie Cortina, die wichtigste und sensibelste überhaupt für den DEB in den vergangenen Monaten, über Umwege an die Öffentlichkeit gelange konnte, war eine andere Frage.

Es habe verbindliche Absprachen gegeben, sagt Harnos, der sich wieder einmal des Eindrucks erwehren muss, er sei nicht Herr im eigenen Haus: "Die undichte Stelle hat dem Ganzen sicher nicht gutgetan." Die Indiskretion drohte gar das eigentliche Thema aus dem Fokus zu drängen. Denn grundsätzlich seien alle beim DEB und in der DEL überzeugt, endlich den Richtigen gefunden zu haben. Im November beim Deutschland-Cup soll Cortina erstmals sichtbar die Verantwortung tragen.

Die Suche gich einer casting-Show

Die Fahndung nach dem neuen Bundestrainer hatte zuletzt Züge einer Castingshow angenommen. Fünf Kandidaten, eine Jury und am Ende eine Abstimmung. Nur saßen auf der anderen Seite des Tisches nicht Bohlen und Gottschalk, sondern Harnos und Daniel Hopp, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der DEL. "Pat hat uns mit einem Konzept überzeugt, das sich mit unseren Vorstellungen deckt", sagt Harnos. Cortina habe Persönlichkeit, internationale Erfahrung, er kenne die deutsche Mentalität und die Spieler. Und: "Er hat den Willen, das Ganze als Fulltime-Job zu machen."

Cortina - dieser Teil der Personalie war am Montag neu - wird als Sportdirektor künftig auch die Nachwuchsarbeit des DEB verantworten. "Uwe Krupp hat das damals sehr erfolgreich gemacht", sagt Präsident Harnos. Mit seiner Präsentation setzte Cortina sich gegen prominente Mitbewerber durch. Dan Ratushny, 41, Trainer des Jahres in der DEL, coachte Straubing in der vergangenen Saison bis ins Halbfinale, hatte allerdings sonst wenig Referenzen vorzuweisen.

Start der Eishockey-Bundesliga
:Achtung, rote Bullen in München

Das Münchner Eishockey lässt sich von einem Getränkehersteller retten, Dennis Endras kehrt in die DEL zurück, die Liga freut sich über härtere Strafen und die Flüche der neuen "Cable Guys". Zehn Dinge, die Sie über den Start der neuen Eishockey-Saison wissen sollten.

Saskia Aleythe und Matthias Mederer

Gegen Bengt-Åke Gustafsson, 54, Weltmeister und Olympiasieger mit Schweden, dürften nicht zuletzt seine Gehaltsvorstellungen gesprochen haben. Außerdem die Frage, ob Gustafsson, geübt im Umgang mit perfekt ausgebildeten skandinavischen Eishockeykünstlern, mit der deutschen Auswahl das richtige Werkzeug zur Verfügung hätte.

Start der Eishockey-Bundesliga
:Achtung, rote Bullen in München

Das Münchner Eishockey lässt sich von einem Getränkehersteller retten, Dennis Endras kehrt in die DEL zurück, die Liga freut sich über härtere Strafen und die Flüche der neuen "Cable Guys". Zehn Dinge, die Sie über den Start der neuen Eishockey-Saison wissen sollten.

Saskia Aleythe und Matthias Mederer

Björn Kinding, ebenfalls Schwede und hierzulande nahezu unbekannt, gilt als Mann des Nachwuchses, ein Mann für die Perspektive. Aber der DEB braucht kurzfristig Sicherheit. Im Februar muss Deutschland gegen Österreich, Italien und einen Qualifikanten um die Fahrkarte zu den Olympischen Spielen 2014 antreten. "An ein Scheitern wollen wir gar nicht denken", sagt Präsident Harnos. Und Hans Zach? Auf Zach lastete die Hypothek, Hans Zach zu sein. Gegen den 63-Jährigen formierte sich in der Liga Widerstand. Der ehemalige Bundestrainer und kritische TV-Experte galt in der DEL als nicht vermittelbar. Es blieb: Cortina.

Das Angebot, Bundestrainer zu werden, sei eine Ehre für ihn, sagt Cortina, Deutschland sei seine zweite Heimat. Dass diese Heimat ihn außerhalb Münchens bislang kaum wahrgenommen hat, liegt vor allem an Cortina selbst. Er ist kein Selbstdarsteller, keiner, der Zauberkunststücke vorführt. Cortina ist der Realpolitiker unter den Trainern. Von seinen Spielern verlangt er zwei Tugenden: Disziplin und Moral. "Hard work", lautet sein Credo. "Sehr harte Arbeit", sagt Martin Buchwieser, Nationalspieler und Kapitän des EHC München.

Seit 2006 arbeitet Cortina, mit einem Jahr Unterbrechung, für den EHC. Vor zwei Jahren führte er den Klub in die erste Liga. Zuvor hat er die italienische und die ungarische Nationalmannschaft trainiert. Die Rückkehr mit Ungarn in die WM-A-Gruppe "ist vielleicht die größere Leistung, als mit einer anderen Mannschaft ins Viertelfinale zu kommen", sagt Münchens Manager Christian Winkler. In der Kabine kann Cortina durchaus laut werden. Außerhalb ist er ein zugewandter Gesprächspartner, der gutes Essen liebt und feine Ironie.

Ob er auf der großen Bühne dieselbe Präsenz entwickeln kann wie in seinem bevorzugten Biotop München, ist die Frage, die am Montag offen blieb. "Am wichtigsten ist, dass er volle Unterstützung bekommt", meint EHC-Manager Winkler. Die Autorität des Schweizers Jakob Kölliker hatte früh unter dem Verdacht gelitten, er sei nur Platzhalter für den eigentlichen Wunschkandidaten Ralph Krueger. "Die Diskussion begann doch schon, bevor er überhaupt angefangen hatte", sagt Winkler. Nach dem WM-Debakel im Frühjahr, als Deutschland nach massiven Niederlagen gegen Norwegen (4:12) und Tschechien (1:8) die direkte Olympia-Qualifikation verpasste, war das Urteil gefällt: Kölliker kann es nicht. Cortina soll nun den Schaden reparieren.

"Die Nationalmannschaft ist die wichtigste Mannschaft im Land, unser Schaufenster", sagt Christian Winkler. Seit Montag ist ein neuer Bundestrainer in der Auslage zu bestaunen.

© SZ vom 18.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: