Neue WM-Helden (8): Mathieu Valbuena:So wie einst Ribéry

Seine Mutter weinte, weil Mathieu Valbuena als 18-Jähriger keinen Profi-Vertrag bekam. Heute ist der Flügelstürmer, der Ribéry um drei Zentimeter Körpergröße unterbietet, Frankreichs Hoffnung für die WM 2010.

Michael König

Es mangle an Respekt vor seinem Amt, klagte Bundespräsident Horst Köhler und reichte seinen Rücktritt ein. So gesehen hätte Raymond Domenech schon längst in Rente gehen müssen. Der Franzose ist der vielleicht unbeliebteste Nationaltrainer der Welt, Fans und Medien hetzen seit Jahren gegen 58-Jährigen, der seit 2004 das Amt des ranghöchsten französischen Fußball-Übungsleiters bekleidet. Er lese nicht alles, was die Leute über ihn sagten und schreiben, erklärte Domenech einmal, "denn sonst hätte ich mich längst umbringen müssen".

Matthieu Valbuena

Mathieu Valbuena von Olympique Marseille ist Frankreichs Hoffnungsträger für die WM - er soll den Weg von Franck Ribéry nachzeichnen.

(Foto: AFP)

Mit der Nominierung seines WM-Kaders hatte der "verrückte Professor", wie Domenech in Frankreich genannt wird, erneut die Kritiker gegen sich aufgebracht. Sein Vertrag läuft Ende Juli aus, die Weltmeisterschaft in Südafrika ist sein letztes Turnier, und das hatte Domenech offenbar zum Anlass genommen, seinem Ruf noch einmal Ehre zu machen. "Ich kann das nicht begreifen, ich bin geschockt", sagte etwa der ehemalige Bayern-Profi Bixente Lizarazu, nachdem er die Kaderliste für die WM in Südafrika studiert hatte.

Karim Benzema, für den Real Madrid 35 Millionen Euro an Olympique Lyon überwies, fehlt darauf ebenso wie Patrick Vieira von Manchester City oder Samir Nasri vom FC Arsenal. Benzema und Nasri seien große Talente, aber ihre Zeit sei noch nicht gekommen, sagte Domenech. Stattdessen nominierte er: Mathieu Valbuena, einen Flügelstürmer ohne Länderspieleinsatz, für den Olympique Marseille 2006 eine Ablöse in Höhe von 80.000 Euro bezahlt hatte - an einen Drittligisten.

"Das hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können", sagte der 25-Jährige Valbuena und meinte damit nicht nur seine Nominierung, sondern auch das, was ihm einige Tage später widerfahren war: Bei seinem Debüt im Testspiel gegen Costa Rica war er in der 64. Minute eingewechselt worden und traf in der Schlussphase mit einem Fernschuss zum 2:1-Endstand. "Gezeichnet, Valbuena", titelte die Sportzeitung L'Équipe. Der nur 1,67 Meter große Angreifer ist ein Symbol der Hoffnung geworden - neben Franck Ribéry (1,70 Meter) vom FC Bayern, der gegen Costa Rica das erste Tor erzielt hatte.

Wie Ribéry hat Valbuena bereits in jungen Jahren mit den Höhen und Tiefen des Fußballgeschäfts Bekanntschaft gemacht - und wie Ribéry schickt Valbuena sich an, von Marseille aus eine internationale Karriere zu starten.

Niemand soll den Ball haben außer ihm.

Seine Ursprünge liegen in der Nachwuchsabteilung von Girondins Bordeaux, wo er sich durch seinen Eifer bei den Trainern beliebt machte. Zu einem Profi-Vertrag reichte es trotzdem nicht, weil sich Valbuena auf dem Platz äußerst eifersüchtig präsentierte: Niemand außer ihm sollte den Ball haben. Der Dribblekünstler ließ sich lieber foulen, als einen besser postierten Teamkameraden anzuspielen. "Man hat nicht an ihn geglaubt", sagt sein damaliger Trainer, Philippe Lucas. Seine Mutter soll deshalb in Tränen ausgebrochen sein.

Valbuena aber spielte unbeirrt weiter - zunächst beim Fünftligisten Langon-Castets, wo er bald den Drittligisten Libourne-Saint-Seurin auf sich aufmerksam machte. Dort drohte die Karriere allerdings erneut zu scheitern, weil der Trainer nicht mit Valbuena plante. Erst als Didier Tholot das Amt übernahm, bekam der Angreifer Einsatzzeiten - und nicht nur das: "Nach ein paar Trainingseinheiten hatte ich verstanden, dass dieser Mann der Mittelpunkt meines Teams sein könnte. Also habe ich eine Mannschaft um ihn herum gebaut", erinnert sich Tholot.

Am Ende der Saison 2005/06 stieg Libourne-Saint-Seurin in die zweite Liga auf. Valbuena wurde zum besten Spieler der Serie gewählt - und konnte endlich in die erste Liga wechseln. Olympique Marseille verpflichtete ihn für 80.000 Euro. Seine erste Saison war geprägt von einer Verletzungspause, am Ende der Serie 2006/07 aber schoss er das 2:1 gegen Saint-Étienne, das die Qualifkation für die Champions League bedeutete. In der Vorrunde der Königsklasse gelang Valbuena ein fulminanter Rechtsschuss zum 1:0-Sieg in Liverpool. Von dem Tor an der Anfield Road schwärmen die Fans in Marseille bis heute.

In der abgelaufenen Saison feierte Olympique die erste französische Meisterschaft nach 18 Jahren. Valbuena spielte im Team von Trainer Didier Deschamps eine wichtige Rolle, er war mit drei Toren in der Schlussphase der Saison an der Meisterschaft beteiligt.

Die enorme Schusskraft und die Beidfüßigkeit des Offensiv-Allrounders haben Nationaltrainer Domenech davon überzeugt, dass der kleine, aber kräftige Valbuena Frankreich bei der WM weiterhelfen könnte - nicht als Stammspieler, aber womöglich als Joker in brenzligen Situationen. Bei der WM 2006 war der "verrückte Professor" ganz ähnlich verfahren, als er auf den jungen Marseiller Franck Ribéry gesetzt hatte. Frankreich zog ins Finale ein, Domenech fühlte sich bestätigt.

Ein Jahr später wechselte Ribéry zu Bayern München und ist nun einer der bestbezahlten Fußballer Europas. Valbuena sagt, er blicke voller Ehrfurcht auf Ribérys Karriere: "Man kann nur wünschen, dass es bei einem selbst auch so läuft. Auch wenn ich Vergleiche eigentlich nicht mag."

Noch heute mag Valbuena am liebsten den Ball, aber inzwischen kann er sich von ihm trennen - insbesondere dann, wenn er ihn in Richtung des Tores schießt.

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