Neue Tischtennis-Bälle:Kampf ums runde Plastik

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Das Zentrum einer Welt: Auch der deutsche Olympia-Dritte Dimitrij Ovtcharov muss sich auf den neuen Plastikball einstellen.

(Foto: Getty Images)

"Wir malen uns schon mal aus, wie mitten im German-Open-Turnier alle Bälle beschlagnahmt werden": Seit kurzem schreibt der Tischtennis-Weltverband einen Ball ohne Zelluloid vor - jetzt hat er einen Patentstreit am Hals.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Manchmal denkt sich Andreas Hain das geballte Unheil aus. "Wir witzeln schon mal herum", sagt der Präsident der Vereinigung Internationaler Tischtennis-Ausrüster, "und malen uns aus, wie mitten im German-Open-Turnier alle Bälle beschlagnahmt werden."

Der sarkastische Spaß hat einen ernsten Hintergrund. Noch nie hat es im Tischtennis eine solch ungewisse Patentrechtslage gegeben. Seit dem 1. Juli ist ein Plastikball ohne den gefährlichen Stoff Zelluloid der neue offizielle Spielball des Weltverbands ITTF. Ein Patent auf einen solchen "zelluloidfreien Tischtennisball" besitzt die Würzburgerin Insook Yoo. Aber es ist nicht nur dieses Patent, das die Tischtennisausrüster aufregt - es ist auch die Rolle dieser Frau.

Yoo ist die Gattin von Joachim Kuhn, der bis 2013 im Materialkomitee des Tischtennis-Weltverbands für Bälle zuständig war und die Einführung des zelluloidfreien Balls im dafür maßgeblichen Gremium begleitet hat. Bei der Ausrüstervereinigung FIT (Federation of International Tabletennis-Manufacturers), einer Lobbyistengruppe mit Sitz im pfälzischen Siebeldingen, glaubt der Präsident Hain derzeit nicht, dass ihre in Shanghai produzierten Plastikbälle vom Würzburger Patent betroffen sind.

Für den Fall, dass sie aber doch mit Forderungen konfrontiert werden sollten, verwahrt Hain sorgfältig einen Brief vom Weltverbandspräsidenten Adham Sharara aus Kanada, in dem dieser beteuert, dass der Verband sich um mögliche Ansprüche aus Würzburg kümmern würde. Hain ist also halbwegs entspannt. Trotzdem erzählt er gern den Gag von der Konfiszierung.

Kuhn war im Material-Komitee. Sein Patent findet er trotzdem fair

Der Würzburger Physiker Kuhn hat 16 Jahre im Materialkomitee des Weltverbandes gesessen. 2013 ist er ausgeschieden, da war die Einführung des zelluloidfreien Balls aber schon beschlossen. ITTF-Präsident Sharara behauptet, er habe erst vor gut zwei Jahren durch eine Nachricht aus Japan von diesem Patent erfahren. Der japanische Verband hatte von seinen Ausrüstern einen aufgeregten Hinweis auf das Würzburger Patent bekommen.

Kuhns Gattin Yoo hat bereits vor gut acht Jahren Patente auf einen Plastikball angemeldet und 2012 erhalten: für Europa, die USA und Japan. In solch einem Patent wird sehr detailliert beschrieben, wie der Ball gemischt und gepresst wird, wie er aussieht, springt und rollt. Könnte man mit so einem Patent die Produktion sämtlicher Tischtennisbälle auf diesem Planeten abdecken, wäre man fein raus.

Für Kuhn erscheint die Konstellation nicht verwerflich. "Ein Patent anzumelden, ist kein Geheimnis, das ist für jeden einsehbar." Vor zehn Jahren, als seine Frau die Tischtennisball-Experimente eines Studenten namens Thomas Wollheim unterstützt und die Patentanmeldung mit ihrer Firma "organisatorisch" begleitet habe, habe sich nicht einmal im Weltverband jemand für den zelluloidfreien Ball interessiert.

Das Kuhn-Patent

Jahre später, als das Patent bekannt wurde, gab es zwar Vorwürfe aus dem Präsidium, "aber ich habe die völlig unverfängliche Entwicklung dieser Geschichte offen und transparent erklärt". Heute, sagt Kuhn, sei er nicht sicher, welchen Wert das Patent habe. Ob es überhaupt relevant sei für die aktuelle Produktion.

Immerhin noch bis zum vergangenen Jahr glaubten Hain und seine Kollegen von den Ausrüsterfirmen, dass dieses Patent, das sie "das Kuhn-Patent" nennen, die Herstellung der neuen Bälle tangiere. Deshalb standen sie 2013 in Verhandlungen mit Yoos Firma International Project Management.

Es ist dort offenbar um die Zahlung einer hohen sechsstelligen Summe gegangen. Ein von der FIT in Auftrag gegebenes Gutachten ergab dann aber, dass die Produktion der zelluloidfreien Bälle in Shanghai das Würzburger Patent nicht verletze. Also wurde bis jetzt keine Gebühr bezahlt.

Der Weltverbandspräsident Sharara findet Kuhns Verhalten "nicht korrekt". Sharara sagte der SZ: "Alles, was Kuhn als Mitglied eines ITTF-Komitees geleistet hat, wenn auch im Ehrenamt, gehört der ITTF." Kuhn ist über den ITTF-Vizepräsidenten Thomas Weikert sogar aufgefordert worden, das Patent dem Weltverband zu überlassen. Kuhn hat dies jedoch abgelehnt mit dem Hinweis, das Patent gehöre ja nicht ihm, sondern seiner Frau und einem Freund: Wollheim.

Sharara spielt die Bedeutung des Würzburger Patents seitdem herunter. "Jeder Ball wird anders produziert, mit unterschiedlichen Materialien." Insofern brauche man auf das Patent von Kuhns Gattin keine Rücksicht zu nehmen. "Wenn sich auch nur ein Ballproduzent entscheidet, eine Gebühr an Frau Yoo zu zahlen, dann macht er einen Fehler", sagt Sharara.

"Ich habe alle Produzenten angewiesen, auf keinen Fall zu zahlen - und sollte es eine Forderung von Dr. Kuhns Gattin geben, dann würde die ITTF alle finanziellen Erfordernisse auf sich nehmen, um ihre Produzenten zu schützen und diesen Fall vor Gericht zu gewinnen."

Vom Weltverband zugelassene Plastikbälle werden laut Adham Sharara mittlerweile in weltweit fünf Fabriken produziert: drei in China, eine in Japan und sogar eine in Deutschland: die Weener Plastik GmbH in Ostfriesland. Auch dort hält man die Patentrechtsfrage offenbar für noch nicht gelöst. Man wolle sich derzeit nicht zu dieser Thematik äußern, sagt das Unternehmen. Der Streit um die Bälle könnte die Tischtennis-Welt noch Monate, wenn nicht Jahre beschäftigen.

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