Neue Rennserie Formel E:Formel 1 aus der Steckdose

An engineer checks in an Audi Sport ABT car as he prepares for the upcoming Formula E Championship race in Beijing

Letzte Checks vor dem Beginn der Rennserie: Audi Sport Abt ist in der Formel E dabei.

(Foto: REUTERS)

Zu teuer, zu dreckig, zu männlich, zu berechenbar: Die Formel 1 steckt in der Krise. Nun startet eine neue Rennserie, die vieles anders macht - und Erfolg haben könnte. Auch wenn Sebastian Vettel von der Formel E gar nichts hält.

Von Johannes Knuth

Wer demnächst einem Rennen der Formel E beiwohnt, sollte das Geschehen auf der Rennstrecke aufmerksam verfolgen - er könnte das wichtigste sonst verpassen. Die Rennautos der ersten, weltweit ausgetragenen Elektro-Rennserie, kündigen sich nicht mehr lärmend an, sie klingen leiser, wie ein ferngesteuertes Auto, das Kinder im Vorschulalter über den Hof jagen. Willkommen im elektronischen Rennzeitalter.

An diesem Samstag (ab 10 Uhr/Sky) startet die Formel E, die erste Rennserie, in der ausschließlich vollelektronische Autos im Kreis fahren. Die erste Station ist Peking, anschließend begibt sich die Formel E auf eine weltumspannende Tournee, im Kalender stehen Auftritte in Malaysia, Uruguay, Argentinien, den USA, Monaco und England, auch Deutschland ist vertreten, am 30. Mai 2015 findet ein Rennen in Berlin statt. Vieles erinnert an den großen Bruder, die Formel 1, der Rennkalender, das Design der Autos. Und doch macht die neue Rennserie vieles anders, mit Kalkül.

Da ist zum einen der Lärm, oder besser: die Stille. Bis zu 80 Dezibel ist ein Formel-E-Auto laut, im Straßenverkehr würden die Boliden damit nicht auffallen. Entsprechend abfällig äußerte sich der aktuelle Formel-1-Weltmeister: "Ich denke nicht, dass das die Zukunft ist", sagte Sebastian Vettel vor kurzem, er fügte an: "Ich denke, die Leute kommen zu uns, um die Formel 1 zu spüren - und es gibt nicht viel zu spüren, wenn ein Auto an dir vorbeifährt und du nichts anderes als den Wind hörst. Vielleicht bin ich sehr altmodisch, aber ich denke, die Formel 1 muss kreischen, muss laut sein, es braucht Vibrationen."

Alejandro Agag, Chef der neuen Elektro-Serie, widersprach in der Welt: "Natürlich wird man die Motorengeräusche hören. Es ist ein Klang, den ich als cool und modern bezeichnen würde." Wobei die Schnittmenge zwischen "modernen" Formel-1-Interessenten und Lärm-Fetischisten wie Vettel vermutlich überschaubar ist. Allzu viele Motorsport-Puristen wird Agag mit seiner neuen Serie wohl nicht begeistern, vermutlich will er das auch gar nicht. Schließlich entkräftet die Formel E manche Kritik, die Beobachter der Formel 1 zuletzt immer wieder vorgehalten hatten: Zu teuer, zu dreckig, zu männlich, zu berechenbar.

Zehn Mannschaften aus zehn Ländern

  • Die Autos und die Ausstattung bei der Formel E sind uniform. Alle Teams nutzen den gleichen Motor, das gleiche Getriebe, das gleiche Chassis, die gleiche Batterie. Letztere liefert Saft für bis zu 270 PS bzw. 230 Stundenkilometer. Ein Rennen dauert ungefähr 45 Minuten, den einzigen, planmäßigen Boxenstopp werden die Fahrer zur Rennmitte abhalten: wenn sie die Batterie ihres Autos leergefahren haben. Weil es zu lange dauern würde, die Einheit aufzuladen, steigen die Piloten einfach in ihr Zweitauto. In Zukunft könnte dieser Wechsel ganz entfallen: Derzeit tüfteln die Ingenieure an einer Technik, die die Fahrzeuge drahtlos auflädt.
  • Zehn Mannschaften aus zehn Ländern bewerben sich um den Sieg. Der ehemalige Formel-1-Champion Alain Prost unterhält eine Mannschaft, für Deutschland geht das Audi Abt Team an den Start, vertreten durch den 21-Jährigen Daniel Abt und den ehemaligen Formel-1-Piloten Lucas di Gressi. Zwei Frauen sind dabei, die Britin Katherine Legge sowie die Italienerin Michela Cerruti. Viele Piloten wurden in der Königsklasse des Motorsports sozialisiert, darunter Jarno Trulli, Takuma Sato, Sébastian Buemi Bruno Senna - und natürlich Nick Heidfeld. "Jeder mit dem du sprichst, ist sehr interessiert, weil die Serie viel umweltfreundlicher ist", sagte Heidfeld kürzlich dem US-Sender ESPN. Wobei das Interesse auch seinem Teambesitzer geschuldet sein könnte: Hollywood-Schauspieler Leonardo DiCaprio.
  • Monaco, Buenos Aires, London, Berlin - im Programm der Formel E finden sich auffallend viele Stadtkurse, anders als in der Formel 1, die immer häufiger in die Peripherie drängt. Am Samstag in Peking werden die Piloten das Vogelnest passieren, das bekannte Olympiastadion. Der Kurs in Berlin soll das ehemalige Flugfeld am Tempelhof okkupieren. Punkte gibt es für die besten Zehn: 25 für den Sieger, einen für den Zehnten - wie in der Formel 1. Dazu drei für die Pole Position und zwei für denjenigen, der die schnellste Rennrunde absolviert. Training, Qualifikation und Rennen finden nacheinander am Samstag statt.
  • Die wohl größte Innovation im Vergleich zur Formel 1 betrifft den sogenannten "Fan Boost". Vor dem Rennen stimmen Internetnutzer ab, welcher Fahrer ihrer Meinung nach die größte Unterstützung verdient. Die drei Piloten mit den meisten Stimmen dürfen während des Rennens auf Knopfdruck für fünf Sekunden weitere 50 PS freisetzen. Negative Bestrafungen sind (noch) nicht vorgesehen.

Der Automobil-Weltverband Fia äußerte sich zuletzt eher verhalten ob der neuen Rennserie, hat für das Wochenende aber immerhin seine Jahresversammlung, den World Motor Sport Council, nach Peking gebeten. Formel-E-Chef Agag beteuerte unterdessen, dass man nicht als Konkurrent der Formel 1 auf den Markt ziehe, eher als junge, grüne Ergänzung.

Wobei das "jung" auf das Rahmenprogramm der neuen Serie nur bedingt zutrifft. Das erste Live-Konzert nach dem Rennen am Samstag bestreitet Sarah Brightman, 54, bekannt durch die 90er-Nummer "I Lost My Heart to a Starship Trooper" - damals fuhren noch Michael Schumacher, Damon Hill und Jacques Villeneuve um die Wette.

Mit Material von dpa und sid.

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