NBA-Klub:Lulatsch aus Lettland

John Wall, Grant Temple, Kristaps Porzingis

"Für ihn gibt es keine Grenze": Dirk Nowitzki über Kristaps Porzingis von den New York Knicks, hier bei einer Aktion gegen die Washington Wizards.

(Foto: Kathy Willens/AP)

Die New York Knicks haben Playoff-Chancen - vor allem wegen des 2,17 Meter großen Kristaps Porzingis, den die Fans plötzlich lieben.

Von Jürgen Schmieder, New York/Los Angeles

Da waren sie, jene magischen Momente, die derzeit die Massen im Madison Square Garden von New York elektrisieren. Die Knicks lagen deutlich zurück, da versenkte Kristaps Porzingis schnell mal zwei Drei-Punkte-Würfe, es folgten drei elegante Bewegungen mit jeweils erfolgreichem Abschluss. Nach zwölf Porzingis-Punkten innerhalb von sechs Minuten war die Partie gegen die Washington Wizards wieder offen.

Am Ende verloren die Knicks dann 108:111 - auch weil sich Porzingis einige törichte Ballverluste leistete. Aber das New Yorker Publikum sieht über solche Defizite derzeit großzügig hinweg, weil ihnen Porzingis das Spektakel liefert, das lange vermisst wurde: Er pflückt die Fehlwürfe seiner Kollegen aus der Luft, stopft den Ball ohne Zwischenlandung in den Korb und hechtet mutig nach jedem Ball. Porzingis, 20, ist der Held der Knicks. Ach was, er ist der Held von ganz New York. Als Verantwortlicher für die Bilanz von 23:32 gilt Trainer Derek Fisher, der am Montag entlassen wurde und bis zum Saisonende von Assistent Kurt Rambis vertreten wird. Porzingis? Nein, der gilt als unantastbar.

Um zu verstehen, was da gerade passiert, muss man sich den Juni 2015 in Erinnerung rufen. Da stand ein bleicher Lulatsch aus Lettland auf der Bühne, er trug einen knallroten Anzug und eine neonfarbene Knicks-Mütze, was in dieser Kombination zuvor nur Rappern gestattet war. Porzingis war beim Draft, bei dem sich die Klubs ihre neuen Spieler aussuchen dürfen, als vierter Spieler seines Jahrgangs gewählt worden - doch die Knicks-Fans buhten wie sonst nur bei Niederlagen ihres Vereins. Das Symbolbild lieferte ein kleiner Junge in der Halle, der seine Hand gegen die Stirn patschte und dann weinend den Daumen senkte. Viele hielten nicht viel von Porzingis.

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Sieben Monate später haben die Knicks trotz neun Niederlagen in den vergangenen zehn Spielen eine Chancen auf das Erreichen der Playoffs, auch wegen der magischen Momente von Porzingis. Es geht jedoch nicht nur um die Rebounds, die Dunkings, die Blocks - das sind die Grundaufgaben für einen 2,17 Meter großen Center. Porzingis bewegt sich geschmeidig, er trifft auch aus der Distanz, er könnte ein vielseitiger und damit kaum aufzuhaltender Spieler werden. Er kommt in seiner ersten NBA-Saison auf 13,8 Punkte, 7,7 Rebounds und 1,9 Blocks pro Partie und könnte zum besten Neuling der Liga gewählt werden.

So wie die New Yorker, darauf sind die Einwohner stolz, jeden Fehler eines Profisportlers mit despektierlichen Rufen begleiten, so feiern sie ihn bei Erfolg wie sonst kaum jemand. Porzingis wird derzeit durch die Stadt gezogen und als Attraktion präsentiert: Er unterschreibt Trikots an der Wall Street, fährt mit Schulkindern im Bus durch Manhattan und steht am Rockefeller Center für Fotos bereit. Diesen Rummel ertrug er lange mit stoischer Ruhe, nun sagt er jedoch: "Ich bin müde, meine Beine sind schwer, ich muss mich an all das erst gewöhnen." Wie so viele vor ihm braucht er Zeit, sich an das Leben als NBA-Profi und die Aufmerksamkeit in New York zu gewöhnen - und er will sich diese Zeit gönnen.

Er will nicht so enden wie Jeremy Lin. Wegen dem ist vor vier Jahren in New York kurzzeitig die Linsanity ausgebrochen, mittlerweile wurde er über Houston und Los Angeles zu den Charlotte Hornets geschickt, wo er eher mit seinen Frisuren auffällt als mit seiner Spielkunst. Porzingis hat bereits gelernt, dass ihn die Journalisten in Ruhe lassen, wenn er lächelnd ein paar Floskeln verwendet und keine witzigen ("Die Mädchen hier mögen, dass ich so groß bin - also behalte ich das mal bei."), ehrlichen (auf die Frage, ob ihn seine tollen Leistungen überraschen: "Nein.") oder gar intelligenten ("Über Vermächtnis spricht man erst am Ende der Karriere, nicht im ersten Jahr.") Antworten gibt wie noch vor wenigen Wochen.

Nach Spielen fährt er nach Hause in seine Wohnung, wo die Mutter für ihn kocht und die älteren Brüder Janis und Martins Finanzen und öffentliche Auftritte regeln; Vater Talis gibt den begeisterten Fan. Vergleiche mit Dirk Nowitzki wirken noch arg weit hergeholt, auch wenn Nowitzki sagt: "Es gibt keine Grenze für ihn, wenn er weiter hart an sich arbeitet." Porzingis scheint das verstanden zu haben: Er ist häufiger in der Trainingshalle anzutreffen als in den Clubs von New York, er hat zudem eine Methode entwickelt, mit dem Rummel umzugehen: Als er vor zwei Wochen davon erfuhr, dass sein Leibchen in der Rangliste der meistverkauften Trikots auf Platz vier liegt, da lächelte er, zwinkerte den Journalisten zu und verließ schweigend den Madison Square Garden.

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