NBA-Finale:Der Gaukler

Steve Kerr verwirrt die Gegner - der Trainer der Warriors dreht so die NBA-Finalserie gegen die Cleveland Cavaliers.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Steve darf das. Denn wer von seinen Eltern diesen Vornamen geschenkt bekommen hat, der bekommt von der Natur als Beigabe die Coolness von Steve McQueen überreicht - selbst im traditionsreichen "Urban Dictionary" wird der Name mit Großartigkeit assoziiert. Steve Kerr, der Trainer der Golden State Warriors, kann es sich also leisten, den Journalisten nach dem vierten Spiel der NBA-Finalserie (die Warriors gewannen mit 103:82) frech grinsend zu erklären: "Ja, ich habe gelogen. Sorry, aber die geben einem den Titel nicht für Moral - sondern dafür, Spiele zu gewinnen."

Und wo er schon dabei ist, gesteht er auch noch, dass er sich diesen genialen Schachzug nicht selbst ausgedacht hat, sondern von seinem erst 28 Jahre alten Assistenten Nick U'Ren eingeflüstert bekommen hat. "Das ist dieser Bengel, der immer hinter der Ersatzbank hockt", sagt Kerr: "Er ist zu mir mit dieser Idee gekommen." Die Idee war, Center Andrew Bogut auf die Bank zu setzen, dafür den kleineren Draymond Green auf diese Position zu beordern und André Iguodala zum ersten Mal in dieser Saison von Beginn aufs Feld zu schicken: "Jeder darf bei uns seine Meinung sagen - und diese Idee hörte sich gut an", sagt Kerr: "Aber ich verkünde so einen Wechsel doch nicht. Dann kann ich die Aufstellung gleich an die gegnerischen Kabinentür nageln."

2015 NBA Finals - Game Three

Der zentrale Mann im Spiel der Warriors: Stephen Curry (vorn).

(Foto: Mike Ehrmann/AFP)

Taktischer Kniff mit Anlaufzeit

Wer diese Finalserie zwischen Cleveland und Golden State verstehen will - und wer eine Ahnung davon bekommen will, wie die nächsten (maximal) drei Partien ablaufen werden -, der muss kapieren, was Kerr da gemacht hat vor und während des vierten Spiels. Er hat Zuschauer, Journalisten und Gegner veräppelt, doch sein Kniff funktionierte erst einmal überhaupt nicht. Seine Mannschaft lag schnell mit 0:7 zurück, Kerr nahm eine Auszeit. Das hätten knapp 100 Prozent der anderen Trainer auch getan, und knapp 100 Prozent hätten diesen offensichtlichen Fehler bei der Startaufstellung sogleich korrigiert. Sieht man ja, dass es nicht funktioniert. Bogut muss zurück aufs Feld, ganz schnell.

Kerr jedoch stand gelassen vor seinen Spielern, dann ging er auf die Knie und sagte: "Ihr müsst nur diesen Sturm überstehen. Die haben gerade ganz viel Energie, weil sie das Publikum antreibt. Bleibt ganz ruhig, es ist noch eine Menge Spiel übrig hier - bleibt einfach ruhig und macht weiter." Ach ja: Er schickte nach der Auszeit die gleichen fünf Spieler zurück aufs Feld, am Ende des ersten Viertels führten die Warriors mit 31:24.

Ein Wechsel war dringend notwendig bei den Warriors, die zwei Spiele nacheinander verloren hatten und von der Ein-Mann-Naturgewalt aus Cleveland mit dem Namen LeBron James einfach überrollt worden waren. Doch Kerr war noch lange nicht fertig mit den taktischen Scharmützeln, er machte einfach weiter. Er schickte Bogut insgesamt weniger als drei Minuten aufs Feld - und ganz offensichtlich auch nur deshalb, damit der James ein paar Mal heftig attackieren sollte. Dazu gehörte auch ein übles Foul, nach dem James in eine TV-Kamera stürzte, am Kopf verletzt wurde und nur 20 Punkte erzielte - keinen übrigens im letzten Viertel.

2015 NBA Finals - Game Two

Klare Ansagen: Golden States Cheftrainer Steve Kerr.

(Foto: Ezra Shaw/AFP)

Wie in einem Bugs-Bunny-Cartoon

Wen Kerr merklich länger spielen ließ als Bogut: David Lee. Ja, korrekt, Kerr ließ David Lee spielen, jenen Akteur mit dem 15-Millionen-Dollar-Vertrag, den der Trainer vor der Saison ganz nach hinten auf die Ersatzbank beordert hatte. "David hat mehr geopfert in dieser Saison als alle anderen", sagte Kerr deshalb nach dem Spiel: "Er hat viel verloren. André war ja nur kein Stammspieler mehr, David dagegen hat viel, viel weniger Spielzeit bekommen." Lee habe sich jedoch fantastisch verhalten, er habe sich nie beklagt: "Wir haben ihm immer gesagt, dass seine Zeit kommen würde - nun ist sie da." Lee kaum auf neun Punkte, vier Zuspiele und fünf Rebounds, Iguodala sammelte 22 Punkte und acht Rebounds.

Kerr hat mit seinen Umstellungen aus dieser Finalserie ein Wettrennen gemacht - seine jungen und kleineren Spieler wuseln auf dem Parkett umher wie eine Bande aus Roadrunnern (aus den Bugs-Bunny-Cartoons), die vor dem gefräßigen Wile E. Coyote davonlaufen. Natürlich, das wusste Kerr bei all den Umstellungen, würde seine Mannschaft weniger Rebounds holen, natürlich würde Cavaliers-Center Timofey Mozgow viele Punkte erzielen (28) und viele Rebounds pflücken (zehn), natürlich würden die Gegner oftmals spektakulär punkten - doch am Ende würden sie mit heraushängender Zunge herumstehen und den Warriors beim Herumwuseln zusehen. Es funktionierte, so wie in dieser Saison viele Dinge funktionierten, die Kerr so probierte.

Die fünfte Partie (wie auch eine mögliche siebte) wird in Oakland bei Golden State ausgetragen - es lohnt sich durchaus, über die taktischen Varianten beider Trainer zu spekulieren. Clevelands Trainer David Blatt wird im Spiel in der Nacht zum Montag sicherlich reagieren, auch wenn ihm nach dem Ausfall von Kyrie Irving und Kevin Love prägende Varianten fehlen - auf der Bank gibt es aber immerhin noch den Scharfschützen Mike Miller und den erfahrenen Defensivspezialisten Shawn Marion. Das aber dürfte dazu führen, dass sich auch Kerr wieder etwas einfallen oder eine neue Idee von einem seiner Assistenten einflüstern lässt. Sicher ist nur: Wir werden es keinesfalls vor Spielbeginn erfahren. Steve darf das.

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