NBA-Basketball:Wie Stephen Curry den Basketball revolutioniert

NBA: Golden State Warriors at Los Angeles Clippers

Außer Reichweite: Stephen Curry (rechts) ist derzeit der überragende Spieler in der NBA.

(Foto: Jayne Kamin-Oncea/USA Today Sports)

Zu schmächtig, zu klein, zu verspielt? Ach was! Die NBA bestaunt seit Monaten Stephen Curry von den Golden State Warriors. Über einen Mann, der unmögliche Würfe trifft.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Lässig. Das ist das erste Wort, das einem in den Sinn kommt, wenn man Stephen Curry aus der Nähe beobachtet. Der Aufbauspieler der Golden State Warriors dribbelt geschmeidig um einen Gegenspieler herum und wirft den Ball aus großer Distanz scheinbar mühelos in den Korb. Dann lässt er den Zahnschutz aus dem Mund plumpsen, fängt ihn mit den Zähnen und kaut darauf herum. Sein Tanz erinnert an einen Hampelmann, bei dem ganz schnell die Schnur gezogen und wieder losgelassen wird. Der gelangweilte Na und?-Gesichtsausdruck wirkt aufreizend und auch ein bisschen arrogant.

Curry kann sich das leisten, er ist derzeit der wohl beste Basketballspieler der Welt. Es wirkt gar so, als wäre er von einem fremden Planeten gekommen, um den Bewohnern der Erde mal zu zeigen, wie schrecklich ineffizient sie Basketball seit der Erfindung im Jahr 1891 noch immer spielen. Einst für zu schmächtig und verletzungsanfällig befunden, verändert Curry diese Sportart gerade derart, wie es bislang nur wenige geschafft haben. Sein Motto: Wenn Basketball mich nicht akzeptiert, dann verändere nicht ich mich, sondern ich verändere mal die ganze Übung.

Die Warriors haben mit einer Bilanz von aktuell 57:6 Siegen eine reelle Chance, den NBA-Rekord der Chicago Bulls aus der Saison 1995/96 (72:10) zu brechen. Wären sie dann auch das beste Team der Geschichte, wäre Curry als bedeutsamer einzustufen als Michael Jordan?

Curry findet solche Vergleiche bescheuert, zumal Leute mit der Berufsbezeichnung "früher Profi, heute Guru" nun behaupten, sie würden mit ihren Teams von damals die Warriors von heute besiegen. "Das wird langsam ein bisschen nervig", sagt Curry mit gelangweiltem Blick: "Wir labern doch auch nicht, dass wir dieses Team besiegen würden oder besser als jene Mannschaft sind. Wir genießen diesen Augenblick."

Was in diesem Augenblick passiert, das ist die gewaltigste Veränderung seit 37 Jahren. Beim Basketball muss ein Ball in einen Ring befördert werden, der in einer Höhe von 3,05 Metern angebracht ist. Ein Versuch aus dem Spiel heraus ist zwei Punkte wert und umso aussichtsreicher, je näher der Spieler am Korb dran ist.

Das sorgte fast 90 Jahre lang für Gedränge und Geschiebe unter dem Korb, weshalb die nordamerikanische Profiliga NBA seit der Saison 1979/80 erfolgreiche Treffer von jenseits einer zwischen 6,71 (in den Ecken) und 7,24 Metern (in der Spielfeldmitte) entfernten Linie mit einem Zusatzpunkt belohnt - im internationalen Basketball gibt es eine nicht ganz so weit entfernte Linie seit 1985. Trainer tüfteln seitdem an der Entzerrung des Spielfelds und dem Freispielen der Scharfschützen. Jugendspielern wird eingetrichtert, aus dieser Entfernung nur ungedeckt zu werfen.

Curry hat bereits 21 Partien vor dem Ende der Hauptrunde den Rekord für erfolgreiche Drei-Punkt-Würfe gebrochen, den er erst in der vergangenen Saison aufgestellt hatte, als er zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt worden war und Golden State die Meisterschaft gewonnen hatte.

Er trifft in dieser Saison 45,9 Prozent seiner Dreier-Versuche, DeAndre Jordan von den LA Clippers ist bei Freiwürfen ohne Gegenspieler (43,0 Prozent) nicht so erfolgreich. In der vergangenen Woche entschied Curry das Spitzenspiel bei den Oklahoma City Thunder kurz vor dem Ende der Verlängerung mit einem Treffer aus knapp elf Metern Entfernung. Kurz danach schaffte er beim 121:106-Sieg im Rückspiel gegen die Thunder trotz einer Sprunggelenksverletzung 33 Punkte. Einmal warf Curry aus dem Vollsprint-Dribbling heraus, mit einer Hand des Gegenspielers fast im Gesicht - und traf dennoch.

Was einem bei einer Begegnung mit Curry in der Umkleidekabine der Warriors noch auffällt: Wie groß und kräftig er ist. 88 Kilo verteilen sich auf 1,90 Meter, Schultern und Oberarme sind mit Muskeln beladen, er sieht weniger wie ein Hampelmann aus als vielmehr wie ein Boxer im Cruisergewicht. Auf dem Spielfeld wirkt er unter all den monströsen Wühlbüffeln oft viel schmächtiger.

77 Dreier hintereinander

Genau das war sein Problem zu Beginn seiner Profikarriere 2009. Er war schnell, ballgewandt und treffsicher, doch er war häufig verletzt und wurde bald als zu weich für die körperbetonte Liga abgestempelt. Vater Dell, ja, das war ein großartiger NBA-Profi. Der jüngere Bruder Seth, ja, aus dem könnte einer werden, er spielt mittlerweile beim Ligarivalen Sacramento Kings. Stephen? Talentiert, aber zu weich.

Curry reagierte auf diese Kritik mit gelangweiltem Gesichtsausdruck, er konnte ja nicht mehr wachsen. Er wurde ein bisschen kräftiger, vor allem aber wurde er noch schneller, noch ballgewandter, noch treffsicherer. In der vorigen Saison verwandelte er während einer Trainingseinheit 77 Drei-Punkte-Würfe nacheinander.

Weil die Warriors mit Klay Thompson noch so einen Scharfschützen im Kader haben, kann Trainer Steve Kerr das Spielfeld derart entzerren, dass er bisweilen noch nicht einmal einen Center aufs Spielfeld schickt. Unter dem Korb ist in der Offensive kaum noch was los bei den Warriors - außer wenn Curry darauf zustürmt, weil er seinem Gegner entwischt ist.

Die Monster in der Mitte, wie etwa Shaquille O'Neal eines war, gelten nun als aussterbende Spezies, wie auch Post-Up-Spezialisten wie Dirk Nowitzki, die mit dem Rücken zum Korb auf Zuspiele warten. Der Erfolg der so genannten Small Ball-Strategie ist statistisch belegbar: Warum einen Spielzug für zwei Punkte kreieren, wenn einer für drei Punkte ähnlich aussichtsreich ist? Zahlreiche Teams ändern gerade Taktik und Kaderplanung (die Houston Rockets fanden kürzlich keinen Abnehmer für ihren Center Dwight Howard), in dieser Spielzeit dürfte es mehr als 58 000 erfolgreiche Dreier geben. Der Liga-Rekord bislang liegt bei 55 137.

Die Gurus melden sich zu Wort

Freilich behaupten die Gurus nun, dass sie Curry locker hätten ausschalten können, in der NBA würde einfach nicht mehr anständig verteidigt. Das stimmt durchaus, doch Kerr - als Spieler ein Mitglied der Rekord-Bulls und Kollege von Michael Jordan - sagt dazu: "Kein Spieler aus irgendeiner Ära wäre in der Lage, Stephen auszuschalten. Er ist zu schnell, zu talentiert, zu gut." Es ist nun Currys Spiel, alle anderen dürfen nur mitmachen.

Curry scheint allenfalls eine weitere Regeländerung stoppen zu können. Mark Cuban, der Besitzer der Dallas Mavericks, fordert bereits, die Drei-Punkte-Linie weiter nach hinten zu verlegen. Allerdings würde Curry wohl auch darauf nur gelangweilt-genervt gucken, schließlich ist seine Trefferquote von weiter hinten sogar noch besser - 50 Prozent. Man müsste diese Linie schon auf Currys vermeintlichen Heimatplaneten verlegen. Wahrscheinlich würde er auch dann noch treffen und dabei lässig aussehen.

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