NBA-Basketball:Herz über Kopf

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Meister des verrückten Wurfs: Oklahomas Russell Westbrook (rechts) leitete mit 27 Punkten das Comeback gegen Meister Golden State Warriors ein. (Foto: Christian Petersen/AFP)

Mit seiner ebenso genialen wie verrückten Art ärgert Russell Westbrook den Meister Golden State.

Von Jürgen Schmieder, Oakland/Los Angeles

Da war sie mal wieder, eine jener Aktionen, wegen der sie Russell Westbrook gleichermaßen verehren und verteufeln in der nordamerikanischen Basketballliga NBA: Der Spiel- macher von Oklahoma City Thunder hatte sich kurz nach der Halbzeitpause geistesgegenwärtig den Ball vom Gegner stibitzt, er stürmte in Höchstgeschwindigkeit auf den gegnerischen Korb zu, an der Drei-Punkte-Linie stoppte er jedoch und setzte zu einem wilden Wurf an. In der Luft erkannte er die Unsinnigkeit seines Tuns, er passte zum völlig verblüfften Mitspieler Steven Adams. Der warf dann daneben, doch Westbrook war längst nach vorne geflitzt. Er pflückte das Spielgerät aus der Luft und legte es gefühlvoll in den Korb.

Im ersten Duell zwingt er Stephen Curry zu sieben Ballverlusten

Derart verrückte und keinesfalls geplante Spielzüge gab es zuhauf in dieser Partie bei den Golden State Warriors, die Oklahoma City nach beeindruckender Aufholjagd 108:102 gewann. Die Thunder-Spieler zeigten bereits im ersten Spiel der Best of 7-Serie um einen Platz im NBA-Finale, dass sie nach dem überraschenden Erfolg gegen die San Antonio Spurs nun auch jenen Klub ärgern wollen, der gerade die beste Bilanz in der Geschichte der Liga geschafft hat. "Wir mussten einfach nur ruhig und gelassen bleiben", sagte Westbrook danach, der 27 Punkte und zwölf Zuspiele produziert und seinen Gegenspieler Stephen Curry - immerhin gerade ohne Gegenstimme zum wertvollsten Spieler der Hauptrunde erklärt - zu sieben Ballverlusten gezwungen hatte.

Ruhig und gelassen, das sind zwei Worte, die wohl außer Russell Westbrook noch niemand verwendet hat, um Russell Westbrook zu beschreiben. Gewöhnlich bewegt er sich über das Parkett wie eine Kreuzung aus Duracell-Hase und tasmanischem Teufel, es hat den Anschein, als hätten die Hummeln in seinem Hintern noch einmal Hummeln in ihren Hintern, um diesen verrückten Kerl noch ein bisschen verrückter erscheinen zu lassen. Das sorgt für genialische Aktionen wie eben jener im dritten Viertel gegen die Warriors, mit der er das Comeback seiner Mannschaft initiierte. Es führt aber auch zu schlimmen Fehlpässen und grotesken Fehlwürfen, weil er zu spät oder gar nicht abspielt.

Wer Westbrook aufgrund seiner Spielweise kindliche Egomanie unterstellt, der macht es sich allerdings zu einfach und sollte dringend vor einer Partie die Thunder-Umkleidekabine besuchen. Er ist meist in Sachen gehüllt, die an Bonbonpapier und Christbaumschmuck erinnern; am Montag war es neonorangener Pullover mit viel zu langen Ärmeln. Aus seinen Kopfhörern dröhnt derart laut Musik - von Hip-Hip über Rock bis hin zu Katy Perry -, dass auch die Mitspieler dazu tanzen können. Westbrook plaudert mit Journalisten und flachst mit Kollege Cameron Payne. Dann zieht er sich um. Aus dem fröhlichen Lachen wird ein wütendes Schnauben, aus lockerem Tänzeln ein entschlossenes Marschieren, aus einem ruhigen Zeitgenossen ein verbissener Kämpfer, der in jeder Partie um sein Leben zu spielen scheint.

"Das ist ein fremder Typ für mich", hat Westbrook einmal über den Menschen gesagt, den er in Videos sieht und der ihm verblüffend ähnelt: "Ein Verrückter, der nicht immer weiß, was er tut", sagt er, "aber es hilft mir, diese Emotionen rauszulassen. Ich will gewinnen. So sehr, dass ich manchmal durchdrehe." Das muss man eben wissen, um Westbrook zu verstehen: Er ist kein selbstgefälliger Statistikschöner, er glaubt, dass seine Mannschaft eine höhere Chance auf den Sieg hat, wenn er mit dem Ball in der Hand darüber bestimmt, was als nächstes auf dem Feld passiert. Er ist einer, der als Kind so lange an seiner Sprungkraft arbeitete, bis er endlich einen Dunking schaffte - und der nun bei jedem einzelnen Spielzug beweisen will, dass er tatsächlich in diese Liga gehört.

Manchmal agiert er wie ein Teenager auf dem Hinterhof-Platz

Mit dieser Spielweise kann Westbrook seine Kollegen inspirieren wie am Montag, als er im dritten Viertel 19 Punkte erzielte und das 13-Punkte-Defizit der Halbzeit beinahe alleine egalisierte. Er kann sie auch in den Wahnsinn treiben, weil er zwar seit acht Jahren in der NBA wirkt, aber manchmal noch immer agiert wie ein Teenager auf einem Hinterhof-Platz. Sein Mitspieler Kevin Durant, dessen Vertrag nach dieser Saison endet, kokettiert auch deshalb mit einem Klubwechsel - über einen Verbleib dürfte auch entscheiden, was in dieser Serie gegen Golden State noch passiert.

Durant (26 Punkte und zehn Rebounds am Montag) ist das Gehirn dieser Mannschaft, Westbrook das Herz. Am Montag schlug das Herz kräftig, es verhalf einem leblosen Team zu einem Comeback in fremder Halle. Die zweite Partie findet am Mittwoch erneut auswärts statt. "Es wird hart, aber wird werden rausgehen und kämpfen. Wir werden nicht aufhören anzugreifen, wir werden niemals aufgeben", sagte Westbrook. Es wirkte entschlossen, als er das sagte; vor allem wirkte er nicht: ruhig und gelassen.

© SZ vom 18.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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