Nationalmannschaft:Warten auf die beste Welle

Löws Qual der Wahl: Der Bundestrainer will seinen jungen WM-Stammkader durch verstärkten Konkurrenzkampf reifen lassen - zu diesem Plan gehört auch der umstrittene Kapitän Michael Ballack.

Christof Kneer

Jörg Butt ist nicht zurückgetreten aus der deutschen Nationalelf, es hat ihn auch niemand hinausgedrängt. Niemand hat gesagt: Du, Jörg, danke, aber Deine DFB-Karriere ist vorbei. Butt ist einfach nicht mehr berufen worden nach der WM in Südafrika, er ist still verschwunden, das war keine große Sache. Butt zählt zur Sorte der uneitlen Realisten, er hat nicht erwartet, dass seine sehr löbliche Leistung im kleinen WM-Finale den Bundestrainer inspiriert, den Torwartkampf neu zu eröffnen.

Joachim Löw

Bundestrainer Joachim Löw gab am Freitag seine Mannschaft für die kommenden EM-Qualifikationsspiele bekannt.

(Foto: dpa)

Es ist nicht sehr lange her, da galt in Deutschland noch die alte Branchenweisheit, dass nach Turnieren zwingend ein Umbruch zu erfolgen habe. Die alten Routiniers hörten dann auf, aus der Fraktion der kampferprobten 28-Jährigen wurden die neuen Routiniers, und von hinten rückten ein paar 24-Jährige nach, die gute Aussichten hatten, irgendwann einmal zu kampferprobten 28-Jährigen zu werden. Diesmal ist es so, dass Philipp Lahm, der derzeitige Kapitän, 26 Jahre alt ist. Bastian Schweinsteiger, der andere Chef, ist auch 26. Und Manuel Neuer, der Torwart, ist 24.

Der Luxus des Beobachters

"Die 2010er-WM-Mannschaft ist im Schnitt sehr, sehr jung und mit ihrer Entwicklung lange nicht am Ende", sagt Joachim Löw, "welchen Grund sollte ich haben, diese Entwicklung zu unterbrechen?" Gute Frage, einfache Antwort: Es gibt gar keinen Grund, wie Löws Aufgebot für die EM-Qualifikationsspiele gegen die Türkei (8. Oktober) und in Kasachstan (12. Oktober) dokumentiert. So kommt es, dass der Umbruch einstweilen aus Jörg Butt besteht. Und dass die einzige Überraschung am Ende auch keine Überraschung mehr war: Den WM-Fahrer Piotr Trochowski, 26, hat Löw aus dem Kader komplimentiert und dafür den Dortmunder Kevin Großkreutz, 22, hinzugebeten.

Eine Tagesentscheidung, wie Löw betont, keine, die für die Ewigkeit berechnet ist. Trochowski, zuletzt instabil, habe weiter "hohe Qualität", aber Großkreutz sei derzeit eben "sehr, sehr selbstbewusst". Was auch der entscheidende Wettbewerbsvorteil war gegenüber Marco Reus, 21, der auch hohe Qualität hat, auch selbstbewusst ist, aber bei Borussia Mönchengladbach spielt.

Joachim Löw hat's gut. Er könnte die Welle reiten, er könnte die derzeit kaum zu bremsenden André Schürrle, 19, Lewis Holtby, 20, (beide Mainz) und Mario Götze, 18, (Dortmund) direkt in seinen A-Kader durchrauschen lassen, aber er gönnt sich den Luxus, die Wellen erstmal zu beobachten. "Es ist besser, in der U21 durchzuspielen, als bei uns nur einen Kurzeinsatz zu haben", sagt Löw. Das ist die eine, die pragmatische Seite. Die andere ist die, dass Löw es sich inzwischen leisten kann, seine Ansprüche zu kultivieren. Er teilt ja keineswegs die gängige Meinung, wonach er sich gar nicht mehr wehren kann gegen all jene herausragenden Begabungen, die ihm einfach so zufliegen.

Der Plan Ballack

"Diese Fülle an Talenten sehe ich so nicht", sagt er. Dann macht er eine kleine Pause, lauscht seinem Satz hinterher und präzisiert ihn ein bisschen. Er will nicht missverstanden werden, niemand soll meinen, er würde den verbandseigenen Nachwuchs kleinreden. "Ich gebe zu, ich habe sehr, sehr hohe Ansprüche", sagt Löw dann, "aber bei den jungen Spielern ist es meine Aufgabe, zu prüfen, ob sie auch auf höchstem Niveau eine entscheidende Rolle spielen können". Gute Bundesligaspiele seien "da eben nicht die einzige Meßlatte". Löw nimmt sich die Freiheit, abzuwarten, welche der Großbegabungen stagnieren und welche sich nicht aufhalten lassen.

Kevin Großkreutz

Mit dem 22-jährigen Dortmunder Kevin Großkreutz stößt ein weiterer junger Spieler in den Kader der A-Nationalmannschaft vor.

(Foto: dpa)

Angriff der Bender-Zwillinge

Es gibt einige, denen Löw es zutraut, auch mal gegen Argentinien oder Spanien eine Hilfe zu sein, neben Großkreutz, Götze und den Mainzern nennt er Marco Reus, den BVB-Verteidiger Mats Hummels, Leverkusens Defensivspieler Stefan Reinartz und die Bender-Zwillinge. Dies ist die Aufgabe, die sich Löw bis zur EM 2012 gestellt hat: Er will seine WM-Elf unter Wettbewerbsbedingungen reifen lassen, und zum Reifeprozess zählt auch, dass er seine jungen Stammspieler mit den Angriffen der nächstjüngeren Generation konfrontiert.

Am liebsten wäre ihm eine ständige Konkurrenzlage wie auf der Doppel-Sechs, wo Ballack/Frings einst von Hitzlsperger/Rolfes attackiert wurden, die dann vom noch jüngeren Khedira überholt wurden, der seinen Platz nun gegen die noch, noch jüngeren Benders verteidigen muss. "Das muss das Ziel eines Landes wie Deutschland sein", sagt Löw, "dass aus jedem Jahrgang Spieler nachkommen, die die Platzhalter bedrängen".

So weit ist es noch lange nicht, weshalb Löw nichts dagegen hat, wenn sich ausnahmsweise auch ältere Spieler in den Verdrängungswettbewerb einmischen. "Ich will Konkurrenzkampf!", sagt Löw. Vehement widerspricht er den Vorwürfen, er habe Michael Ballack schon abgeschrieben. Es ist nicht sein Plan, diese Personalie so lange auszusitzen, bis sie sich von selbst erledigt. Löws Plan ist: Abzuwarten, ob Ballack sich wieder jenem Spieler annähert, der er einmal war. "Das nächste Turnier ist 2012, da kann niemand verlangen, dass ich jetzt schon endgültige Entscheidungen treffe", sagt Löw, "wenn ich der Meinung wäre, Michael könnte uns nicht mehr helfen, hätte ich ihm das längst gesagt. Das ist aber nicht so."

Keine endgültige Entscheidung

So war es einst bei Torsten Frings, dem er - als er sicher war, ihn nicht mehr zu brauchen - in Bremen persönlich die unfrohe Botschaft überbrachte. "Sobald ich eine endgültige Entscheidung getroffen habe, informiere ich den Spieler", sagt Löw.

Vorerst aber wird Löw sich alle Optionen offen halten, "alles andere wäre fahrlässig", sagt er. Der älteren Option traut er dabei durchaus noch etwas zu. "Michael hat die Erfahrung und Klasse", sagt Joachim Löw, "er wird um seinen Platz kämpfen".

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