Nationalmannschaft:Mit Doc und Truthahn nach Sotschi

Germany - Training & Press Conference

Joachim Löw bei der Ankunft in Sotschi.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist in Sotschi gelandet und absolviert die erste Trainingseinheit in Russland vor dem Confed Cup.
  • Bundestrainer Joachim Löw entdeckt bei den vielen jungen Spielern seinen alten, pädagogischen Eifer wieder.
  • Stürmer Sandro Wagner versucht derweil, Stimmungskanone Lukas Podolski zu ersetzen.

Von Philipp Selldorf, Sotschi

Auf dem Sonderflug der Nationalelf von Frankfurt nach Sotschi am Schwarzen Meer war vieles so, wie es immer war: Dem rasend sich wandelnden Weltfußball steht die unerschütterliche Loyalität des Bundestrainers entgegen, und so gab es an Bord von LH 0342 das Wiedersehen mit den üblichen Angehörigen von Jogi Löws Tafelrunde; nur Lukas Podolski wurde vermisst. Dafür befand sich unter den Passagieren ein Stabsgenosse, dessen Emeritierung angeblich längst beschlossen war, doch der Schweizer Scout und Vordenker Urs Siegenthaler, mit 69 immer noch erstaunlich blond, gehört halt ebenso zum menschlichen Inventar des DFB-Teams wie die beiden Leibwächter, die schon Jürgen Klinsmann beschützten - oder auch der Chefarzt Müller-Wohlfahrt, der demnächst seinen 75. Geburtstag feiert.

Der unentbehrliche Doktor bestritt die Reise in medizinischen Spezialschuhen, von Mitfahrern als "Astronautenschuhe" bezeichnet. Er kann aber für sich in Anspruch nehmen, dass kein anderer DFB-Mann so viel Erfahrung mit diesem komischen Confederations Cup besitzt wie er: Schon 1999 gehörte Müller-Wohlfahrt der Delegation fürs Turnier in Mexiko an, die der damalige Bundestrainer Ribbeck wegen der sportlichen Aussichtslosigkeit heute als "Todeskommando" bezeichnet.

So pessimistisch würde sich unter den aktuellen Expeditionsteilnehmern niemand über den Confed Cup äußern, obwohl das Nationalteam von 2017 wie jenes 1999 eine große Improvisation darstellt. Anders als der bedauernswerte Ribbeck musste Löw aber nicht nehmen, wen ihm die Liga übrig ließ. Er hat selbst die Wahl getroffen, Toni Kroos, Mesut Özil und allen anderen Vertretern des Establishments die Reise zu ersparen. Den Vorsatz, die Tickets stattdessen an Neulinge und Nachwuchsleute zu vergeben, hat Löw mit solcher Konsequenz verwirklicht, dass selbst altgediente Fernsehfachleute auf dem Weg nach Sotschi überfordert waren, alle Spieler präzise zu identifizieren.

In den wenigen Tagen des bisherigen Beisammenseins haben sich aber schon einige wichtige Erkenntnisse ergeben. So soll Mittelstürmer Sandro Wagner mit seiner geradlinigen Art und extrovertierten Natur in die integrative Entertainer-Rolle des eigentlich unnachahmlichen Podolski eingetreten sein. "Wie ein Truthahn" bewegt er sich angeblich durch die Teamhotels, so stolz, wie er auf seine späte Beförderung ist. Wagner, 29, genießt in diesen Tagen den Höhepunkt seiner Karriere, wofür er Löw sehr, sehr dankbar ist. Vor ein paar Monaten hatte er dem Trainer noch kritische Worte gewidmet, der Hoffenheimer Angreifer fühlte sich da noch missachtet. Jetzt schwärmt er von Löws besonderer Ausstrahlung, die schon auf Anwesende wirke, "wenn er einen Raum betritt".

Auch Löw zeigte vor dem Aufbruch in den russischen Kurort Anzeichen der Verzauberung. Die ersten Trainingslektionen mit dem neuen Team haben, so wird erzählt, seinen pädagogischen Eifer geweckt. Den Khediras, Müllers und Özils kann Löw nicht mehr viel beibringen, "da ist es eher ein Verwalten, Justieren und ein Dafür-Sorgen, dass sich alle wohlfühlen", erklärte Manager Oliver Bierhoff dem Kicker. Aber im Umgang mit Spielern wie Amin Younes, Niklas Süle oder Timo Werner wird Löw wieder zum Lehrer der grundlegenden Dinge, wie vor der WM 2010, als er auf Sizilien ein junges Team anleitete - eben jene Khediras, Müllers und Özils, die heute seiner Fürsorge entwachsen sind.

In Sotschi schien die Sonne, als das Flugzeug um 13.30 Uhr Ortszeit landete. Nicht alle der Männer, die anschließend in blauen Ausgehanzügen in den Bus stiegen, werden nächstes Jahr zur WM wiederkommen dürfen. Aber Löw fühlt sich zunehmend bestätigt in der Annahme, dass dieses Turnier kein lästiges Übel ist, sondern eine nützliche Pflicht.

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