Nationalmannschaft:Max Kruse, der fleischgewordene Trotz

Max Kruse

Will mit zur EM, trotz allem: Stürmer Max Kruse.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Trotz Eskapaden und der Ausbootung durch den Bundestrainer will er zur EM fahren. Wird der Stürmer überhaupt gebraucht?

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Es gibt ganze Bibliotheken über ein Phänomen namens Körpersprache. Doch man hätte nicht mal einen Buchklappentext zu diesem Komplex gelesen haben müssen, um zu interpretieren, wie sehr es Max Kruse, 28, an diesem Mittwoch behagte, im Presseraum der Wolfsburger Arena Journalisten zu begegnen. Sein Arbeitgeber hatte zu einem so genannten Media Day geladen; alle Angestellten des VfL, denen Chancen eingeräumt werden, von ihren jeweiligen Heimatländern im Juni zur Europameisterschaft nach Frankreich geschickt zu werden, wurden den Medienvertretern zugeführt. Darunter auch Kruse. Kruse? War da nicht was?

Aber ja: Vor den Länderspielen gegen England und Italien Ende März war Kruse von Bundestrainer Joachim Löw aus disziplinarischen Gründen aus dem Kader gestrichen worden. Überraschend war Kruses Präsenz unter den EM-Kandidaten der Wolfsburger aber auch deshalb, weil er sich in den vergangenen Wochen nicht durch Leistung aufgedrängt hatte.

Ist Platz für Kruse im EM-Team?

Überhaupt gilt Löws Bedarf auf Kruses Positionen als gestillt; Mario Gómez trifft, Mario Götze ist (als WM-Finalheld) ebenso gesetzt wie Thomas Müller. Und für einen jungen Spieler wie Leroy Sané wäre eine EM-Teilnahme perspektivisch wohl wichtiger als für Kruse. Dessen Selbstwertgefühl mindert das nicht. "Solange ich als Nationalspieler geführt werde, ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, hier zu sitzen", sagte er beim ersten Medien-Auftritt seit der Suspendierung durch Löw. Kruses Gesicht war steinern, die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben; die Schulterblätter in die Stuhllehne gepresst, saß er auf dem äußersten Rand der Sitzfläche. Als wäre er der fleischgewordene Trotz.

Andererseits: Löw war noch vor jedem Turnier für eine Überraschung gut. Warum also nicht eine namens Kruse? An guten Tagen ist er auf dem Platz so, wie er neben dem Platz ist: unkonventionell, charakterstark, kühn. Nur liegen die guten Tage schon eine Weile zurück.

An schlechten Tagen aber ist er auf dem Rasen so lakonisch wie am Mittwoch, als zehn Smartphones mit eingeschalteter Diktierfunktion vor ihm auf dem Tisch lagen: "Wenn ich nicht aufgeregt wäre, würde ich den falschen Job machen", sagte er zur EM-Nominierungs-Zeremonie, die Löw am Dienstag in der Botschaft Frankreichs vollzieht. Also: in Berlin, in der Stadt, die Kruse im März mutmaßlich zum Verhängnis wurde.

Kruses Vergangenheit verfolgt ihn

Kruse war seinerzeit nach einem Bundesligaspiel in die Hauptstadt gereist, um seinen Geburtstag zu feiern. Eine Paparazza der Bild knipste ihn auf der Tanzfläche, er schnappte sich ihr Handy, löschte die Fotos, der Eklat war perfekt und balkenbreit zu lesen. In den vorangegangenen Wochen hatte Kruse die Medien bereits beschäftigt, mit geraunten und handfesten Affären, mit hohen, fünfstelligen Euro-Geldbeträgen, die er im Taxi vergessen hatte, kurzum: mit Geschichten, die dem durchschnittlichen Freizeitverhalten des Bürgertums der Republik widersprechen.

Dass Löw, der Kruse schon vor der WM 2014 mal ausgebootet hatte, das Maß für zumindest vorübergehend voll erklärte, ließ Kruse weitgehend unkommentiert. Es sei einerlei, was er denke oder zu sagen hätte, sagte Kruse, "die Entscheidung muss man akzeptieren. Der Bundestrainer hat sich so entschieden. Beziehungsweise der DFB hat sich so entschieden". Ob er Fehler begangen habe, wurde Kruse noch gefragt. Er sagte daraufhin Sätze, die sich platt anhörten und doch von Aufrichtigkeit getragen zu sein schienen. "Ich glaube, dass jeder Mensch Fehler macht. Deswegen sind wir Menschen", sagte also Kruse. Doch er sagte auch: "Ich werde meine Art nicht ändern."

"Der Bundestrainer kennt meine Stärken"

Um diesen Trotz Kruses, den man auch leicht als Unbeirrbarkeit lesen kann, weiß Löw. Er hatte ja auch deshalb Konsequenzen gezogen, weil der Affäre um Kruses Geburtstags-Sause ein Telefonat vorangegangen war. Löw hatte Kruse aufgezeigt, was er erwarte. "Ich hab' Gas gegeben und versucht, das umzusetzen", so stellt sich das in der Erinnerung von Kruse dar. Allein: In der für Wolfsburg desaströsen letzten Saisonphase sei das nicht gelungen. Zuletzt saß er häufig nur auf der Bank.

"Ich habe sicherlich nicht meine allerbeste Saison gespielt", gab Kruse zu. Doch als "völlig verkorkst" will er die Spielzeit nicht katalogisieren. "Ich habe in 39 Spielen 20 Scorer-Punkte gesammelt. Das ist kein schlechter Schnitt." Auch in der Nationalelf habe er stets eine Rolle gespielt. "Ich war in den letzten Jahren nicht umsonst durchgehend dabei und habe der Mannschaft auch geholfen, zur EM zu fahren. Der Bundestrainer kennt meine Stärken." Allerdings kennt er auch Kruses Schwächen. Kontakte habe es "in den letzten Wochen nicht" gegeben, sagt Kruse. Kein besonders gutes Signal.

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