Nationalmannschaft:Genussvolles Schweigen

Jens Lehmann zum VfB Stuttgart? Der Nationaltorwart macht vor der Europameisterschaft Werbung in eigener Sache.

Christof Kneer, Palma

Jens Lehmann hatte schon so viele Fragen beantwortet, jetzt wollte er auch mal eine stellen. "Keinen Verein haben und trotzdem in der Nationalelf spielen: Geht das eigentlich?" fragte er selbstironisch. Lehmann ist ab 1. Juli offiziell vereinslos und erhielt erwartungsgemäß keine Antwort auf seine Frage.

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(Foto: Foto: Reuters)

Natürlich hätte man jetzt sagen können: Jawohl, Herr Lehmann, klar geht das, Ihr eigenes Beispiel zeigt das doch, aber das wäre ein bisschen unfair gewesen. Es ist ja nicht so, dass Lehmann keinen Verein gehabt hätte im letzten halben Jahr, er hatte schon einen, einen ziemlich guten sogar, nur: Er hat halt fast nie spielen dürfen beim FC Arsenal.

Nationaltorwart ist er dennoch geblieben, und obwohl die Rivalen Rene Adler und Robert Enke in ihren allerdings nicht ganz so guten Vereinen (Leverkusen, Hannover) ständig gespielt haben, hat Lehmann keine Lust, an sich zu zweifeln. "Natürlich werde ich spielen bei der EM, deshalb bin ich ja hier", sagt er trocken, und weil er außer trocken auch ziemlich clever sein kann, gelingt es ihm fast ohne logische Brüche, sein Reservistendasein im Verein in einen Standortvorteil umzudeuten.

"Vor der WM 2006 hatte ich eines meiner besten Jahre hinter mir, und ich wusste, dass das ein richtig gutes Turnier werden kann", sagt er und steuert nach kleiner Kunstpause auf die finale Pointe zu: "In dieser Saison dagegen hatte ich nicht so viele Möglichkeiten zu spielen, das ärgert mich, und deshalb ..." - Achtung! - "... ist das jetzt eine ganz andere Motivation als damals!"

Tarnen&Täuschen

Wenn man Jens Lehmann richtig verstanden hat, dann ist er jetzt also noch besser als damals, beim Sommermärchen, als er im Elfmeterschießen gegen Argentinien heldenhaft einen Zettel unterm Schienbeinschoner hervorfischte.

Für sich werben kann Lehmann ziemlich gut, und noch besser kann er zurzeit nur eines: ablenken. "Wer sagt denn, dass die nächste WM überhaupt in Südafrika stattfindet?", fragt er, als jemand wissen will, ob er, Lehmann, sich denn vorstellen könne, bei der WM 2010 in Südafrika noch das deutsche Tor zu bewachen.

Jens Lehmann muss zurzeit oft Tarnen&Täuschen spielen, und wenn ihm mal keine Gegenfrage einfällt, dann verlegt er sich auf ein grammatikalisch korrektes Schweigen. "Es liegt am Verein, ein Statement abzugeben, wenn er es für nötig hält", sagt Lehmann. Beim Verein handelt es sich um den VfB Stuttgart, dessen Manager Horst Heldt die Kunst des beredten Schweigens ebenfalls meisterhaft beherrscht.

"Natürlich sind beide Parteien interessiert", sagt Heldt, und dass Lehmann bekanntermaßen ein Torwart sei, "der etwas darstellt, die Mitspieler leiten und anspornen kann".

Genussvolles Schweigen

Es gehört fast schon zur Folklore, dass der DFB-Kader mit ein paar offenen Personalien in ein Turnier geht. Eine Zeitlang hatte es sich zum Beispiel Torsten Frings angewöhnt, im Turnierrhythmus seine Vereine zu wechseln, aber so spannend wie die Geschichte mit Lehmann und Stuttgart war wohl kaum eine der bisherigen Transferdebatten.

Es sind die Extreme, aus denen diese Geschichte ihren Reiz bezieht: Scheitert Lehmanns Wechsel, könnte er in fünf Wochen Ex-Profi sein; jedoch ist nicht auszuschließen, dass Lehmann im Falle eines Wechsels plötzlich einfällt, dass er auch mit 38 noch Lust aufs Nationalteam hat.

Fürs Erste genießt es Lehmann, dass er sich in diesem Transfergerangel die beste Ausgangsposition gesichert hat. Er kokettiert damit, keinerlei Druck zu haben, weil er ja auch einfach aufhören könne - nach SZ-Informationen treiben beide Parteien einen Transfer aber eifrig voran. Im Trainingslager auf Mallorca wurde der Kontakt intensiviert, und auch aus dem Umfeld des Spielers ist zu hören, dass sich die Parteien sehr nahe gekommen seien.

Pendler vom Starnberger See?

Zwei Hürden gilt es wohl noch zu nehmen; zum einen müssen die Stuttgarter die Finanzierung stemmen, und zum anderen muss Lehmann, der seinen Lebensmittelpunkt an den Starnberger See verlegen wird, einen Wechsel mit seiner privaten Situation abstimmen. Aber wenn die Stuttgarter einen Trainer haben, der an freien Tagen in die Nähe von Augsburg heimfährt, warum sollten sie dann keinen Keeper beschäftigen, der zum Starnberger See pendelt?

Der VfB habe eine "gute Mannschaft", sagte Lehmann am Donnerstag, "seriös geführt" sei der Verein, dessen Präsiden-ten Erwin Staudt er "ganz gut" kenne, und den Horst Heldt, den kenne er sowieso "seit zwanzig Jahren". All das seien "Argumente, die dafür sprechen", und so wird es nun Heldts Aufgabe sein, seine Vereinsgremien von der Dringlichkeit der Personalie zu überzeugen.

Zwar dürfte der ablösefreie Lehmann günstiger zu haben sein als die Kandidaten Enke, Hildebrand oder Weidenfeller, die über gültige Verträge verfügen; aber Lehmanns Gehaltsvorstellungen sind nicht nur vom englischen Fußball geprägt, sondern auch von Borussia Dortmund, wo sie Lehmann im Winter angeblich mit einer schicken Nettomillion von einem halbjährigen Engagement überzeugen wollten.

"Eine Entscheidung kann schnell gehen, kann aber auch dauern", rätselte Lehmann am Donnerstag genüsslich. Wenn es bis zum letzten Vorbereitungsspiel gegen Serbien (31. Mai) keine Einigung gebe, werde er sich wohl erst nach der EM entscheiden, sagt er - aber es darf als sehr wahrscheinlich gelten, dass Lehmann als neuer VfB-Torwart ins Turnier starten wird. Zwar wird er im Trainingslager nicht mehr persönlich verhandeln können, aber das Handynetz über Mallorca gilt als stabil.

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