Nationalmannschaft:Frische Fleischwunde

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Timo Hildebrand ist der einzige Härtefall bei der EM-Nominierung. Ist es gerecht, dass der Torwart vom FC Valencia nicht dabei ist? Es ist gnadenlos konsequent.

Ronald Reng, Valencia

Freitagmorgens um zehn am Trainingsplatz des FC Valencia im Vorort Paterna sorgt die Nachricht für eine hitzige Debatte unter den wenigen Fans: Miguel Angulo, der Rechtsaußen, ist am Tag zuvor einem Fan über den Fuß gerollt, als er aus seinem Auto heraus Autogramme schrieb. Wichtigere Themen scheint dieser Trainingstag zunächst nicht herzugeben, die Saison ist für den Zwölften der spanischen Liga gelaufen, das abschließende Spiel am Sonntag gegen Atlético Madrid dient der Statistik.

"Es muss brutal für ihn sein", sagt Kontrahent Robert Enke über den sehr enttäuschten Timo Hildebrand. (Foto: Foto: Getty)

Verabredet war ein Interview mit Timo Hildebrand, dem Deutschen, der sich Nationaltorwart nennen durfte. Bis zum Freitagmorgen. Denn plötzlich ruft Hildebrands Medienberater an, er müsse etwas ausrichten, sagt er. Das deutsche EM-Aufgebot wird zwar erst Stunden später bekanntgegeben, doch die Nachricht ist auf dem Markt: Nachdem Hildebrand fünf Jahre lang konstant zur Nationalelf gehörte, wird er nicht nominiert. Ohne Vorwarnung.

Er ist der einzige echte Härtefall der großen Nominierungszeremonie.

Als Hildebrand in der Sportstadt des FC Valencia erscheint, schickt ihn der Trainer umgehend nach Hause. Er kann nicht trainieren, er will keine Interviews geben. Der Schmerz lähmt "wie eine frische Fleischwunde", lässt Hildebrand später über seinen Sprecher ausrichten: Er könne "die Entscheidung nicht verstehen", so Hildebrand, "das ist ein Schlag. Aber er wird mich nicht daran hindern, weiter für meine Ziele zu kämpfen".

Doch die versteckte Botschaft der Entscheidung ist offensichtlich: Die Zukunft nach dem mutmaßlichen Abtritt von Deutschlands Nummer eins, Jens Lehmann, soll ab Sommer anderen gehören, Robert Enke (Hannover 96) oder René Adler (Bayer Leverkusen), die statt Hildebrand als Nummer zwei und drei in die EM-Vorbereitung starten. Vielleicht auch dem jungen Schalker Manuel Neuer, der noch nicht berücksichtigt wurde.

Es gab diese kleinen Momente

Ist es gerecht? Es ist gnadenlos konsequent. Während Adler und Enke Meister der hohen Konstanz waren, weckte Hildebrand in Valencia im Detail Zweifel. Dabei war er selten so gut und selten so schlecht wie ihn viele deutsche Medien abwechselnd machten, die ihn hier nie spielen sahen - die Mehrzahl seiner Auftritte war schlichtweg niveauvoll. Auch die zwei, drei groben Schnitzer müssen nicht überhöht werden; sie passieren einem Torwart, der neu in einem Land, in einem Chaosverein, hinter einer aufgescheuchten Abwehr gelandet ist.

Doch es gab immer wieder diese kleinen Momente: Hildebrand hielt einen Schuss, aber er musste nachgreifen, seine Fangtechnik korrigieren, um den Ball sicher in den Händen zu halten. Oder er rannte bei einer Flanke raus, an die er gerade so herankam, weshalb er den Ball nur unkontrolliert fausten konnte. Nach solchen Momenten ging das Spiel weiter, nichts war passiert, wenig hatte das Publikum bemerkt, doch es müssen solche Momente gewesen sein, in denen der Torwarttrainer der Nationalelf, Andreas Köpke, zur Meinung gelangte, Robert Enke und René Adler seien grundsätzlich besser. "Nach seiner überragenden Saison war klar, dass Adler mit muss", sagte Köpke am Freitag, "die Frage war dann, ob es Timo oder Robert treffen würde."

Eine SMS kommt an, am Freitagmorgen in Valencia. "Weiß es Timo schon?" Der Absender ist Robert Enke. "Es muss brutal für ihn sein", sagt Enke später am Telefon mit echtem Mitgefühl. In Valencia läuft das Training nun - ohne Hildebrand. Er wird auch Sonntag gegen Atlético nicht spielen, er hatte das schon vor Löws Absage entschieden, wegen einer gestauchten Hüfte. Er wollte sich schonen. Für die EM.

© SZ vom 17.05.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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