Nationalmannschaft:Folter mit dem Wattebausch

Nach zwei Testspiel-Niederlagen zieht Bundestrainer Löw mit einem Fitnesstest die Zügel wieder an. Gummibänder, Medizinbälle oder Treppenläufe fehlten allerdings.

Claudio Catuogno

Mario Gomez führte die erste Testgruppe an, er trug den roten Trainingsanzug aus der DFB-Kollektion und sah sich, die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben, in der Halle des Leipziger Sportforums um. Ein paar Lichtschranken standen herum, sonst war nichts Furchterregendes zu erkennen, keine Streckbank, kein Spanischer Bock, alles unspektakulär wie beim letzten Mal, im September 2007.

Nationalmannschaft: Prüfung ohne Probleme: Mönchengladbachs flinker Dribbler Marko Marin beim Leipziger Test.

Prüfung ohne Probleme: Mönchengladbachs flinker Dribbler Marko Marin beim Leipziger Test.

(Foto: Foto: Getty)

So hatte der Stuttgarter Stürmer die Versuchsanordnung erwartet. Bei Marcel Schäfer und Serdar Tasci, die sich neugierig neben Gomez drängten, durfte man da nicht so sicher sein. Die beiden sind Neulinge in der Nationalmannschaft, rechneten sie mit Folterinstrumenten? Bestimmt! Schließlich fand hier am Dienstag nicht irgendeine Trainingseinheit statt. Sondern Joachim Löws "Fitnesstest".

Am Samstag muss die DFB-Auswahl in der WM-Qualifikation gegen Liechtenstein bestehen, am Mittwoch darauf in Cardiff gegen Wales, und schon am Montagabend, fünf Tage vor dem ersten Anpfiff, hatte Löw seine Spieler nach Leipzig gerufen. Das wäre kaum aufgefallen, hätte der Bundestrainer bloß wieder die üblichen Einheiten (Abwehrreihen verschieben, in Schnittstellen stoßen) auf den Lehrplan gesetzt. Es wäre womöglich sogar für bitter nötig erachtet worden nach zuletzt zwei Testspiel-Niederlagen gegen England (1:2) und Norwegen (0:1).

Doch wenn Löw einen Fitnesstest anberaumt, wird das im Geschwätzigkeits-Betrieb namens Bundesliga stets als Politikum verstanden und wenn nicht als Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Klubs, dann mindestens als fragwürdiger Kontroll-Fetischismus interpretiert. Einer findet sich immer, der die Frage aufwirft, was ein Nationalspieler alles aushalten muss.

Diesmal übernahm der Bremer Coach Thomas Schaaf die Rolle des Eingeschnappten, indem er im kicker auf die Frage nach der Belastung durch so einen DFB-Termin antwortete: "Fragen Sie die, die in der Nationalmannschaft etwas zu sagen haben. Die äußern sich ja auch zu Dingen, die die Bundesliga betreffen."

Schaaf sollte sich nur insofern Sorgen machen, dass der einzige Feldspieler aus Bremen, der Verteidiger Per Mertesacker, Löws dienstägliche Standortbestimmung wegen einer Fußprellung verpasste. Piotr Trochowski (Knie) und Torhüter René Adler (Ellbogen) mussten ebenfalls passen. Der Rest des Kaders absolvierte die Prüfung ohne Probleme. Doch um dem Eindruck entgegenzuwirken, hier würden Zahlen auf Kosten der Gesundheit gewonnen, war der Mannschaftsarzt Tim Meyer schon eine Stunde vor der Ankunft der Spieler zum Presse-Briefing erschienen.

Sein Auftrag: die Profis verbal in Watte zu packen. "Überhaupt nicht dramatisch" sei so ein Kontrollparcours, versicherte er, die Belastung liege sogar "unterhalb einer normalen Trainingseinheit". Zum Ablauf erfuhr man, dass zunächst "15 Sprünge" vermessen, dann "fünf Sprints über 30 Meter" gestoppt und schließlich "ein stufenweise schneller werdender Lauf über 3500 Meter" ausgewertet werde - "davon aber nur die letzten 1500 Meter in relevantem Tempo". Das war's?

Keine Gummibänder, Medizinbälle, Treppenläufe das Völkerschlachtdenkmal hinauf - bei all der Aufregung? Noch nicht mal jene Klimmzüge und Richtungsläufe, die bisher zum Standard zählten? Nichts dergleichen, versicherte Meyer. Am Vorabend habe man den Spielern "im Hotel etwas Blut abgenommen". Und dann war da noch dieser functional movement screen, eine Art Stabilitätstest. Aber: "Der ist gar nicht beanspruchend."

Den Leipziger Termin hatte Löw schon vor Monaten festgelegt, da ahnte er noch nichts von den Niederlagen - und noch weniger von den Besserwisser-Vorwürfen mehrerer Liga-Vertreter gegen seine Person, die erst an diesem Montag bei einem Treffen in Düsseldorf ausgeräumt wurden. Der Bundestrainer plädierte nun für weniger Schaum vor dem Mund: Ihm gehe es doch bloß "um eine Bestandsaufnahme ein Jahr vor der Weltmeisterschaft in Südafrika: Wir wollen sehen, woran der eine oder andere Spieler im körperlichen Bereich arbeiten muss".

Löws letzte Daten sind anderthalb Jahre alt, im EM-Jahr 2008 hatte er "aus zeitlichen Gründen" auf Erhebungen verzichtet. Dennoch wurde die Fitness der Spieler zum Thema: Bernhard Peters hatte Löws EM-Kader körperliche Defizite unterstellt - und wurde prompt als DFB-Berater abgesetzt. Der Vorwurf wurde dementiert, doch bis heute hat die sportliche Leitung keine abschließende Erklärung für die schwankenden Leistungen bei der EM in Österreich und in der Schweiz gefunden.

Anders als für seinen Vorgänger Jürgen Klinsmann ist für den Taktik-Liebhaber Löw die Fitness nicht das Dauerthema schlechthin. Insofern ist die neuerliche Datenerhebung auch als Zeichen zu verstehen - als Zeichen an die Spieler, dass von ihnen nach den zuletzt fahrigen Auftritten nun eine Rückkehr zur Ernsthaftigkeit gefordert wird. Er werde jetzt die "Zügel anziehen", verkündete Löw. Doch deshalb muss niemand um seine körperliche Unversehrtheit fürchten: Echte Zügel hat nicht mal Mario Gomez in Leipzig gesehen.

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