Nationalmannschaft:Die Mannheimer Schule hat ausgedient

Die Debatte um die Abwehr zeigt, dass die Nationalelf dort Schwächen hat, wo sie einst am stärksten war.

Christof Kneer

Vielleicht ist das ja nur ein Zufall gewesen, aber man kann das inzwischen nicht mehr wissen. Allzu viele Zufälle gibt es nicht mehr in Jürgen Klinsmanns durchkomponierter Welt, es hatte also möglicherweise eine tiefere Bedeutung, dass sie Per Mertesacker ziemlich mittig platzierten beim DFB-Medientag in Düsseldorf, kurz vor dem Länderspiel gegen Russland am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF).

Nationalmannschaft: Peer Mertesacker ist einer der jungen Wilden in der deutschen Abwehr.

Peer Mertesacker ist einer der jungen Wilden in der deutschen Abwehr.

(Foto: Foto: dpa)

Sie hatten ihm einen prominenten Tisch gleich hinter Michael Ballack gegeben, der fürs Land inzwischen so wichtig geworden ist, dass eine Umbenennung in Bundesrepublik Ballack unmittelbar bevorsteht.

Ganz so weit hat es Per Mertesacker noch nicht gebracht, aber wenn nicht alles täuscht, ist der junge Mann aus Hannover fürs Befinden der Nation inzwischen wichtiger, als ihm das lieb sein kann. "Abwehrchef? Ich? Ach, so weit würde ich nicht gehen", sagt er.

Wer ausbaufähig ist, der spielt

Nein, Per Mertesacker ist keiner von jener Sorte koketter Jungprofis, die Komplimente nur deshalb abwehren, damit man sie noch zehnmal wiederholt. Er ist ein realistischer junger Bursche, in dessen Weltbild das noch nicht passt. Mensch, er, der Per, noch nicht mal 21 Jahre alt, ein Innenverteidiger von Hannover 96, er soll jetzt der Abwehrchef beim dreimaligen Weltmeister sein? Es wird ihm wohl nichts Anderes bleiben.

Die Zeiten sind nicht mehr so, dass man Talente als Belohnung für ausbaufähige Leistungen zur Nationalelf einlädt, und hinterher fahren sie dann wieder nach Hause und erzählen stolz, sie hätten mit Michael Ballack gesprochen. Wer ausbaufähig ist, der muss spielen, so ist das heute, erst recht, wenn man Abwehrspieler ist. "Wir haben die besten Abwehrspieler fast alle hier, in der Liga gibt es nun mal keine Besseren", sagt Michael Ballack und meint das gar nicht böse.

Pünktlich zum Beginn des Confed-Cups hat Deutschland eine Abwehrdebatte ereilt, und niemand mochte sich ausmalen, wie das Hilfsgebilde Owomoyela/Mertesacker/Hitzlsperger gegen einen Gegner ausgesehen hätte, der nicht zufällig Nordirland heißt und den Deutschen am Ende noch einen komfortablen 4:1-Erfolg ermöglichte. "Jürgen Klinsmann ist eben ein Typ, der gerne ins Risiko geht", kommentiert Ballack schmunzelnd die Tatsache, dass Deutschlands Deckung nach dem frühen Platzverweis von Robert Huth zu zwei Dritteln aus offensive Außenverteidigern bestand, die eher offensiv als Verteidiger sind.

"In der zweiten Hälfte haben wir es doch schon besser gemacht, und nur wegen der nicht so guten ersten Halbzeit werden wir jetzt nicht auseinander brechen", sagt Patrick Owomoyela, der Offensivverteidiger von rechts. "Ich bin gebeten worden, hinten zu spielen, und ich mache das auch gerne", sagt Thomas Hitzlsperger, der Offensivverteidiger von links.

Das Kuriose an dieser Debatte ist, dass die Kritisierten eigentlich gar nicht so viel dafür können. Niemand kann von Owomoyela stramme Manndeckung verlangen, niemand kann es Hitzlsperger anrechnen, dass er vor dem eigenen Tor so schief im Raum steht, dass ihm die Nordiren entwischen.

Das Problem sind nicht die Spieler, die da sind, es sind die Spieler, die nicht da sind. Welch titanische Aufgabe Jürgen Klinsmann übernommen hat, zeigt sich nirgendwo besser als gerade dort, wo Deutschland immer am stärksten war. Hinten war das ja immer einfach, man bestellte die Abwehrspieler in der Mannheimer Vorstopperschule, und von da aus kamen dann die Försters, Kohlers und Wörns' übers Land und verbreiteten Angst und Schrecken. Und hundert Meter hinter sich hatten sie einen Libero stehen, der all das wegräumte, was die Mannheimer noch übrig ließen.

Klinsmann will modernen Fußball

Die Deutschen waren immer so stolz auf die Arbeitsteilung zwischen manndeckendem Holzmichel und Spiel eröffnendem Künstler, dass sie selbst dann noch am Erfolgsmodell festhielten, als es längst aus der Mode gekommen war und andernorts längst schicke Ketten gebaut wurden. Genauso wie Rudi Völler leidet Jürgen Klinsmann noch heute darunter, dass die Vorgänger Berti Vogts und Erich Ribbeck den alternden Lothar Matthäus bis kurz vor die Pensionsgrenze als treudeutschen Libero besetzten.

Auf diese Weise ist dem Land eine halbe Generation an modernen Verteidigern verloren gegangen. "Die Generation des gestandenen Abwehrspielers gibt es heute in Deutschland gar nicht so richtig", sagt Michael Ballack. Es gibt höchstens den Berliner Arne Friedrich, 26, der aber lieber rechts spielt, es gibt den Dortmunder Christian Wörns, Vertreter der alten Schule und Erfinder des verdeckten Ellenbogenschecks; und es gibt dessen Vereinskollegen Christoph Metzelder, dem man nach überstandener Verletzungspause immerhin wieder zutraut, dass er halten könnte, was er einst versprach.

Jürgen Klinsmann will modernen Fußball spielen lassen, und so wird ihm nichts übrig bleiben, als auf jene Jahrgänge zu vertrauen, die mit dem modernen Fußball vertraut sind. Er muss wohl die jungen Abwehrspieler bringen, als Außen- wie als Innenverteidiger, außer ihnen kann das keiner. "Für mich war die Erfindung der Viererkette ein Glücksfall", sagt Per Mertesacker, "die passt ideal zu meinem Spiel.

Wenn wir in der B-Jugend nicht umgestellt hätten, wäre wahrscheinlich ein Libero aus mir Ob aber die Zeit bis Juni 2006 ausreicht, um aus all den Jünglingen eine taugliche Kette zu bauen? "Das werden wir sehen", sagt Thomas Hitzlsperger, "wir können uns keine Zeit dazukaufen." Respekt: Das war schon eine verdammt routinierte Antwort.

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