Nationalmannschaft:Am letzten Schultag

Vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen die Slowakei hat Bundestrainer Joachim Löw eine tadellose Bilanz.

Philipp Selldorf

Schon in den späten Jahren als Profi beim SC Freiburg, beim FC Schaffhausen und beim FC Winterthur hat sich Joachim Löw intensiv mit seinem späteren Beruf auseinandergesetzt. Trainer wollte er nach der Fußballerkarriere werden, das stand für ihn bereits fest, als er noch ein solider Zweitligakicker und im Sturm fürs Toreschießen zuständig war. Seine sportlichen Vorgesetzten hat er wie ein Wissenschaftler bei der Arbeit observiert, es klingt nach angewandter Verhaltensforschung, wenn er davon erzählt. "Wie reagiert der Trainer? Was plant er? Wie würde ich das selbst machen", schilderte er jetzt dem Hamburger Abendblatt die Gedanken, die ihn damals beschäftigten, und auch den Ehrgeiz, der dahinter steckte: "Mein Ziel war es, dass ich als Trainer Schritt für Schritt nach oben kommen wollte."

Jetzt ist Löw 47 Jahre alt, und im Moment kann man nur beeindruckt festhalten, dass er bei seinem Aufstieg schon ziemlich weit gelangt ist - unabhängig von der Tatsache, dass ihm die wichtigste deutsche Fußballmannschaft anvertraut worden ist. Dies allein ist ja - siehe Erich Ribbeck - noch kein Auszeichnungskriterium.

Mangels Gelegenheit hat Löw mit der Nationalelf zwar noch keinen Titel gewinnen können, aber nach seinem ersten Amtsjahr als Bundestrainer eine gewaltige Menge Anerkennung. Vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen die Slowakei, das den Schlusspunkt hinter seine Premierensaison setzt und zwangsläufig den Zeitpunkt einer Zwischenbilanz markiert, sieht es so aus, als ob er sich vor Komplimenten kaum retten könne.

Selbstverständlich zählt zu den Lobrednern auch der oberste Bürger im deutschen Fußballstaat: Franz Beckenbauer, der im typischen Überschwang behauptete, ein besserer Trainer als Löw sei gar nicht vorstellbar, und der dem DFB dringend die Vertragsverlängerung bis mindestens zur nächsten Weltmeisterschaft empfahl, "ganz gleich, was bei der EM 2008 passiert".

Jenseits solcher Hymnen aus der Kulisse gibt es aber auch durchaus intime Anmerkungen aus der Mannschaft, etwa den Kommentar des Kapitäns Michael Ballack, der ohne Zwang konstatierte: "Er ist wirklich ein perfekter Trainer. Das kann ich sagen, weil ich schon einige in meiner Karriere hatte." Bekannte Exemplare der Gattung sind darunter zu finden: Rehhagel, Daum, Hitzfeld, derzeit Mourinho. In diese Reihe gehört nach Ansicht Ballacks auch Joachim Löw, und er würde das nicht aussprechen, wenn er es nicht genauso meinen würde.

Ein nennenswerter Fehler ist Löw nicht unterlaufen

Ebenso verhält es sich mit Torsten Frings, einem anderen Meinungsführer im Nationalteam, der Ballacks Auffassung ohne Vorbehalte folgt: Löw habe "seine eigenen Sachen im Kopf, die er nach und nach umsetzt. Man sieht, dass er damit recht hat", fasste Frings gestern zusammen, und als er nach Löws Beitrag am Erfolg der Post-WM-Saison gefragt wurde, da antwortete der Bremer in einer Weise, als er ob er am Verstand des Fragestellers zweifeln würde. "Natürlich einen Riesenanteil!", meinte Frings. "Yogi hat uns ja vorher schon begleitet", fügte er dann noch hinzu und gab damit zu erkennen, dass der Wechsel vom Assistenten des Hauptdarstellers Jürgen Klinsmann zum Chef des Trainerstabs in den Augen der Spieler fließend vonstatten ging. Seit Löw im August in Gelsenkirchen mit dem Freundschaftsspiel gegen Schweden ins Amt eingeführt wurde, hat sich nie die Autoritätsfrage gestellt. Nie hat jemand die vormalige Rolle des zweiten Mannes gegen ihn gewendet. Wozu auch? Ein nennenswerter Fehler ist Löw in seinem ersten Jahr nicht unterlaufen.

Typisch für Löws Stil ist, dass er selbst wenig spricht über seine erstaunliche Erfolgsbilanz und wenn, dann bloß in mittelbarer Form, so dass es fast umständlich klingt. Seine Leistung als Trainer sei "parallel zur Leistung der Mannschaft" zu sehen, binär und doch als Teil des Ganzen. "Wir haben eine intelligente Mannschaft, die Dinge annimmt und Lösungen umzusetzen versucht", betonte er gestern, als ob er nur der Lehrer einer Musterklasse sei.

Typisch ist auch, dass in seiner Zeit der Verantwortung eine geradezu tibetanische Friedfertigkeit um die Nationalmannschaft eingekehrt ist. Während der streitbare Klinsmann im ständigen Kampf mit den Beharrungskräften in der Liga und im Verband einen Wechseltanz aus Fort- und Rückschritten praktizierte, hat Löw in seiner unaufdringlichen, ruhigen Art widerstandsfrei seiner Linie folgen können. Seine Höflichkeit und sein Charme haben ihm dabei geholfen - und natürlich die Tatsache, dass der Projektarbeiter Klinsmann seinem Mitstreiter und Nachfolger eine gute Arbeitsgrundlage hinterlassen hat. Löw hat dazu mit Selbstsicherheit und Gelassenheit die passende Atmosphäre geschaffen.

Er darf daher auch die finale Begegnung seines ersten Jahres in Ruhe erwarten. Am Tag vor dem Spiel hat er sogar die komplette Mannschaftsaufstellung vorgelesen. Wozu Geheimnisse machen? Seine Musterklasse steht vor dem letzten Schultag, aber Löw ist sich sicher, dass sie noch nicht in Gedanken in Ferien ist: "Ich habe das Gefühl und das Gespür dafür, dass die Mannschaft das Spiel gegen die Slowakei erfolgreich angehen will", versicherte er am Dienstag. Er meint das ernst. Und man darf ihm sogar glauben.

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