Nationalelf: Toni Kroos:Deutschlands edelster Hilfsarbeiter

Für Nationalspieler Toni Kroos ist es Segen und Fluch zugleich, dass er flexibel einsetzbar ist. Er wird überall gebraucht, aber noch nirgendwo so richtig.

Boris Herrmann

Neuerdings ist es bei der Nationalmannschaft guter Brauch, dass Posten und Pöstchen, die einmal aushilfsweise besetzt sind, nicht mehr hergegeben werden. Zumindest nicht freiwillig. Nehmen wir nur Angela Merkel. Sie hat spätestens bei der WM in Südafrika den formschwachen Vogel Paule als offizielles DFB-Maskottchen abgelöst. Inzwischen begleitet Merkel - im Nebenberuf Kanzlerin - das Team vom Präsidenten-Schloss bis hin zur Mannschaftskabine mit einer Selbstverständlichkeit, die erahnen lässt, wie ernst sie es mit dieser Aufgabe meint. Unmittelbar daran ist auch schon die nächste wichtige Personalie geknüpft.

Toni Kroos

Auch beim Bedanken bei den Fans flexibel: Toni Kroos nach dem Spiel gegen Türkei.

(Foto: dpa)

Eine Nationalelf, die eine Kanzlerin im Team hat, braucht natürlich auch einen fest installierten Kanzlerinnen-Ansprecher. Da Christoph Metzelder nicht mehr da ist, hat sich der Bremer Ersatzkeeper Tim Wiese still und heimlich das Amt des Fraktionssprechers in der Kabine gesichert. Er wird einen Teufel tun, es wieder ohne Gegenwehr heraus zu rücken. Er ist jetzt unersetzlich.

Solcherlei Karrierepolitik dürfte ganz im Sinne des festgewachsenen Interimskapitäns Philipp Lahm sein, der in Südafrika schließlich das Manifest zum neuen Postenbesetzertum geliefert hatte: "Die Rolle macht mir sehr viel Spaß. Wieso sollte ich das Amt dann wieder freiwillig abgeben?" Die Frage könnte sich bald auch Toni Kroos stellen. Am Dienstagabend in Kasachstan wird er erneut für den verletzten Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld einspringen.

Und wenn er seine Aufgabe wieder so anstandslos erledigt wie am Freitag in Berlin gegen die Türkei, dann wäre es mit Blick auf Merkel, Wiese und Lahm nur recht und billig, wenn er daraus ebenfalls ein paar Ansprüche ableiten würde. Kroos allerdings ist viel zu gut erzogen, um voreilig in die Offensive zu gehen. Er sagt: "Klar macht mir die Rolle auch Spaß. Aber wenn der Schweini wieder fit ist, natürlich gebe ich sie her."

Wenn man jetzt kleinlich wäre, dann könnte man selbst in diesem Nachsatz noch eine rhetorische Finte entdecken. Kroos hat gegen die Türken ja gar nicht den Schweinsteiger, sondern den Khedira gemimt. In der Nationalmannschaft von Joachim Löw ist das defensive Mittelfeld zweigeteilt. Es gibt eine offensive Doppelsechshälfte und eine defensive Doppelsechshälfte. Bei der WM glänzte Sami Khedira im vorderen und Bastian Schweinsteiger im hinteren Teil. Diesmal, sagt Kroos, sei es so abgestimmt, "dass ich häufiger mit in die Tiefe gehe und der Sami eher den Schweini macht."

Was auch immer in Kasachstan passiert, vermutlich wird es Kroos auch mit Khedira nicht auf einen öffentlichen Arbeitskampf ankommen lassen. "Wenn alle fit sind, ist die Doppelsechs im Moment absolut gesetzt", sagt er brav. Er hofft darauf, dass sich dann an anderer Stelle wieder Lücken auftun: "Grundsätzlich sehe ich mich schon als offensiven Mittelfeldspieler." Und so lange bis das Grundsätzliche geklärt ist, spielt er eben fröhlich "Reise nach Jerusalem".

Es ist bislang Fluch und Segen in der noch jungen Laufbahn des Toni Kroos, dass er so flexibel eingesetzt werden kann. Er ist das, was man einen kompletten Mittelfeldspieler nennt. Seine Orientierung ist hellseherisch, sein Ballgefühl bereits weltbekannt, seine Schusstechnik ist oberlehrerhaft und seine Eckbälle scheinen die Lösung für ein chronisches deutsches Standard-Problem zu sein. Alles sieht so leicht aus, dass es manchmal fast flapsig wirkt.

Wunsch nach fester Position

Ein Mann mit diesen Fähigkeiten kann man nahezu überall aufstellen. Und genau das tun seine Trainer auch. Bayerns Louis van Gaal bringt Kroos mal im linken offensiven Mittelfeld, mal hinter der Spitze und bisweilen auch auf der rechten Seite. Löw braucht ihn eher für defensivere Aufgaben. Auf diese Weise hat sich Kroos zu Deutschlands edelstem Aushilfsarbeiter entwickelt. Sein Problem ist, dass er in beiden Teams weiterhin einen festen Stammplatz sucht. Sein Glück ist, dass selten alle fit sind.

Borussia Dortmund v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Beim FC Bayern auf jeder Position im Mittelfeld einsetzbar: Toni Kroos beim Spiel gegen Borussia Dortmund.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

"Natürlich ist es für jeden Spieler ideal, wenn er eine Position hat und die immer spielt", räumt Kroos ein. Andererseits muss er nach den Erfahrungen der letzten Jahre froh sein, dass er überhaupt schon mitspielen darf. Im zarten Alter von 16 Jahren war er mit der Aussicht auf die Rückennummer Zehn von Hansa Rostock zum FC Bayern gelockt worden. Kurz darauf ist er aber in eine Art Kulturkampf über den korrekten Umgang mit Hochbegabten geraten.

Das größte Talent, das der deutsche Fußball in zwanzig Jahren hervorgebracht habe, müsse man immer spielen lassen, forderte nicht nur das ewige Talent Mehmet Scholl. Manager Uli Hoeneß sah die Sache angesichts der schlechten Erfahrungen mit Sebastian Deisler anders. Er schottete Kroos so lückenlos gegen etwaigen Größenwahn ab, dass der schließlich ein Aufbau-Jahr in Leverkusen brauchte, um sich wieder an seine Begabung zu erinnern.

Kroos ist wild entschlossen, sich in seiner zweiten Bayern-Phase nicht mehr so leicht abdrängen zu lassen. "Ich bin zwei Jahre älter. Man muss mich jetzt nicht mehr vor irgendwelchen Dingen schützen." Wenn man seiner ausgeruhten Bassstimme eine Weile zuhört, dann muss man sich aber hin und wieder vergegenwärtigen, dass Kroos immer noch 20 Jahre jung ist.

Neulich im Bundespräsidialamt wurde er dafür gelobt, der einzige aktuelle Nationalspieler aus dem Osten zu sein. Der gebürtige Greifswalder kann da nur lachen. "Haben sie mal auf mein Geburtsdatum geschaut? Ich war beim Mauerfall noch gar nicht geboren." Tim Wiese sollte sich als Experte für weltpolitische Angelegenheiten besser keine Schwächephase leisten.

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