Nationalelf:Plan B gegen den Weltuntergang

Der bewusste Verzicht auf Michael Ballack zeigt, dass auch andere deutsche Spieler Verantwortung übernehmen können.

Christian Zaschke

So viel war von diesem Mann die Rede, und so gut spielte er auch zuletzt, dass mit einiger Berechtigung zu fragen war: Die Nationalmannschaft ohne Michael Ballack - geht das überhaupt?

Ballack hatte im Mittelfeld abgeräumt, er hatte das Spiel nach vorne angekurbelt, er leitete die wichtigen Spielzüge ein, und dann und wann erzielte er ein entscheidendes Tor.

Gewürdigt wurde zwar auch die Entwicklung der jungen Spieler, doch zunehmend reduzierte sich in der Wahrnehmung die Qualität der Nationalelf auf die Qualität von Ballack.

Seit Dienstagabend wissen Jürgen Klinsmann und vor allen Dingen die übrigen Nationalspieler: Man kann durchaus ohne Ballack Fußball spielen, und das gar nicht mal so schlecht.

Klinsmann und sein Assistent Joachim Löw haben im Spiel gegen Argentinien eine großartige Gelegenheit erkannt. Zum einen war das Spiel nicht von entscheidender Bedeutung, da beide Teams bereits vor dem Anpfiff fürs Halbfinale qualifiziert waren, zum anderen war es jedoch ein Spiel gegen einen großen Gegner mit einem großen Namen - beste Voraussetzungen also für ein Experiment.

Klinsmann sagte: "Wir haben Michael bewusst draußen gelassen. Auch um ihn zu schonen, aber vor allen Dingen, um die Verantwortung zu verteilen." Bernd Schneider und Torsten Frings haben jeweils eine Halbzeit lang die Aufgaben des Chefs auf dem Platz übernehmen sollen. Sie lösten das beide solide; Schneider löste die Aufgabe eher spielerisch, Frings eher kämpferisch. Am ehesten aber ersetzte Michael Ballack einer, der dafür gar nicht vorgesehen war: Sebastian Deisler nutzte zunehmend selbstbewusst den Platz, der durch das Fehlen von Ballack entstanden war.

Je länger das Spiel dauerte, desto mehr Spaß schien Deisler daran zu finden. Seine Flanken von rechts waren eine Freude, wenn man nicht gerade argentinischer Verteidiger war, und ganz allmählich schob sich Deisler auch in die Mitte des Feldes, um das Spiel an sich zu ziehen.

Als der gegnerische Druck am Ende wuchs, suchten die Mitspieler Deisler. "Kein schlechtes Spiel", sagte der über die eigene Leistung, "aber auch kein richtig gutes." Vielleicht wollte er sich nicht allzu sehr loben, weil er von der Leistung Juan Riquelmes so angetan war: "Der hat alle im Blick, obwohl er sie nicht ansieht", schwärmte Deisler.

Die hohe Meinung von Riquelme teilt er mit Joachim Löw, der schlicht sagte: "Riquelme, also bitte schön - das war ja Wahnsinn." Der Argentinier spielte im Mittelfeld die dominante Rolle, die sonst Ballack bei den Deutschen einnimmt.

So illustrierte er einerseits, was ein Mittelfeldspieler dieser Qualität in einem Team bewirken kann; die Deutschen lernten jedoch auch, dass sie gegen eine derart prägnante Figur bestehen können, wenn sie selbst ohne ihren Chef antreten. "Wir wollten in diesem Spiel Plan B aus der Schublade ziehen", erläuterte Löw, "es kann ja immer mal sein, dass Ballack verletzt, angeschlagen oder gesperrt ist, und dann müssen andere in die Bresche springen."

Zudem wollten die Trainer der Reduzierung auf Ballack auch teamintern entgegenwirken: "Es wäre despektierlich gegenüber den anderen, wenn wir sagten: Wir können nur mit Ballack", sagte Löw, "die anderen sind schließlich auch gute Fußballer, und das müssen sie auch ohne Ballack beweisen können."

Keine Ansprüche von Deisler

Ein besonders guter Fußballer im Team ist zweifelsohne Sebastian Deisler, von dem man das zwar immer wusste, der aber jetzt erst allmählich wieder zeigt, was er zu spielen imstande ist. Ob ihm das gefallen habe, immer wieder mal in die Mitte zu rücken? "

Ach", sagte er, "man weiß ja, dass ich gern in der Mitte spiele, aber es wäre blöd, jetzt Ansprüche zu stellen." Damit hat Deisler sicherlich Recht, denn solange Michael Ballack fit ist, hat er das Vorrecht auf die zentrale Position. Die Trainer haben allerdings gesehen, dass ein Ausfall Ballacks zwar nicht schön wäre, aber keinesfalls ein fußballerischer Weltuntergang. Schneider oder Frings mit einem Deisler in guter Form bilden einen durchaus brauchbaren Ersatz.

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