Nationalelf: Michael Ballack:Spielen und gehen

Wie geht Joachim Löw mit Michael Ballack um? Ein verdienter Spieler darf einen ehrenhaften Abschied erwarten - und ein offenes Wort zur rechten Zeit.

Christof Kneer

Als Michael Ballack zum deutschen Helden wurde, war Joachim Löw gerade arbeitslos. Es war der 25. Juni 2002, als Ballack der Nation dieses inzwischen legendäre Opfer brachte: Im Halbfinale der WM 2002 hinderte er einen Südkoreaner mittels Foulspiel an einem Angriff und nahm sehenden Auges eine Sperre fürs Endspiel in Kauf. Den Weg in dieses Finale machte er aber noch schnell selbst frei, vier Minuten später schoss er das entscheidende 1:0.

German national soccer team players Trochowski, coach Loew,  Ballack and Hildebrand pose during the making of an advertising video for Mercedes-Benz in the town of Gross Gerau

Gemeinsam zum Gipfel: Joachim Löw und Michael Ballack posierten vor der EM 2008 für eine Werbeanzeige.

(Foto: Reuters)

In den folgenden Tagen wurden ihm mehrere Milliarden hymnische Zeitungszeilen gewidmet, ein paar davon dürfte auch Joachim Löw damals gelesen haben. Er hatte ja Zeit. Sein Verein, der FC Tirol, hatte gerade Insolvenz angemeldet. Es folgte eine einjährige Arbeitslosigkeit, aus der ihn erst Austria Wien befreite.

Inhaltlich hat Joachim Löw also bestimmt nichts einzuwenden gegen die Erkenntnis, dass Ballack "ein verdienter Spieler" ist. Was Löw stört, ist, was manche aus dieser Erkenntnis folgern: dass man mit einem verdienten Spieler "so" nicht umgehen könne - wobei das "so" immer mit moralischem Unterton vorgetragen, aber nie genau definiert wird.

Michael Ballack entstammt einer Generation, für die "verdienter Spieler" nur ein anderer Ausdruck für "Stammplatzgarantie" ist. Löw hat keine Verwendung für Profis dieser Gattung, er lehrt Fußball mit flacher Hierarchie, hohem Tempo und eigenen Fachbegriffen wie "Spielauslösung" und "spielen und gehen". Man kann sagen, dass der ehemalige Arbeitslose aus Tirol ein verdienter Trainer geworden ist, der außer Fachkenntnis zwei weitere praktische Qualitäten besitzt: List und Fortune.

Löw ist ein Freund der Harmonie, er findet Kämpfe unästhetisch. Der Fall Ballack zeigt nun erneut, dass Löw eine beachtliche Technik entwickelt hat, Kämpfen aus dem Weg zu gehen. Die Technik geht so, dass Löw sich das Problem anschaut, ein paar oberflächliche Worte dazu spricht und dann so lange wartet, bis jemand oder etwas das Problem für ihn erledigt.

Kevin Kuranyi hat er so lange ausgesessen, bis der von der Tribüne floh; Torsten Frings hat er so lange gezeigt, wie wenig er ihn schätzt, bis der selbst einsah, dass es keinen Zweck mehr hat. Und im Fall Ballack hat das Schicksal erst mit einigen Verletzungen eingegriffen und dann in Form des Kollegen Jupp Heynckes, der die Arbeit für Löw erledigt und Ballack schmoren lässt.

Es wäre aber falsch, Löw eine arglistige Täuschung seiner Kandidaten vorzuwerfen. Er hat niemandem etwas versprochen, und als Bundestrainer ist es sein Recht und auch seine Pflicht, sich die Optionen so lange wie möglich offen zu halten. Eines aber darf man als verdienter Spieler in der Tat erwarten: einen ehrenhaften Abschied (zum Beispiel gegen Brasilien) - und ein offenes Wort zur rechten Zeit. Zum Beispiel jetzt.

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