Nationalelf:Löws Spiel

Es kann sein, dass Joachim Löw Michael Ballack braucht. Es kann sein, dass es besser ist, ihn zu verabschieden. Auf dem ganzen Erdball ist keiner, der ihm die Antwort abnehmen kann.

Philipp Selldorf

Die Diskussion darüber, wer künftig Kapitän der Nationalelf sein soll, ist eine Stellvertreter-Debatte. Sie steht symbolisch für den sozusagen existentiellen Kern des Themas. Natürlich geht es nicht darum, wer die Ehre hat, vorneweg auf das Feld zu laufen, den Wimpel zu tauschen und womöglich eines Tages als Erster den Pokal zu stemmen. Es geht auch nicht um den Faktor der Macht im Team, der ohnehin überschätzt wird. Diese Prestigeprivilegien und Eitelkeiten haben zwar ihre Bedeutung, aber sie bleiben nebensächlich.

Germany's national soccer team coach Loew watches his team's warm-up before their international friendly soccer match against Denmark in Copenhagen

Joachim Löw beim Spiel gegen Dänemark: Nun muss er bald einen Kapitän bestimmen.

(Foto: REUTERS)

Für den Bundestrainer geht es vielmehr um Grundsätzliches bei der Gestaltung seiner Mannschaft in Richtung EM 2012: Ist es richtig, Michael Ballack wieder einzureihen, oder ist die Zeit des alten Helden vorbei? Kann Ballack als Kapitän - oder als amtsenthobener Mittelfeldspieler - noch Zukunft verkörpern, oder repräsentiert er nur noch die Vergangenheit?

Diesen Fragen liegen diverse Aspekte zugrunde. Joachim Löw muss klären und entscheiden, ob Ballack noch in das soziale Gefüge der Mannschaft passt, nachdem sie sich während der WM von ihm und seiner jahrelangen Übermacht emanzipiert hat. Er muss wissen, ob Ballack dem Team sportlich nutzt. Und er muss die moralische Dimension bedenken, denn Michael Ballack ist keine beliebig austauschbare Größe: Er hat 98 Länderspiele bestritten und war viele Jahre die Galionsfigur schlechthin im deutschen Fußball. Das macht ihn nicht unantastbar. Aber mehr als anderen Nationalspielern steht ihm das Recht zu, in die Planungen eingeweiht zu werden.

Bisher verweigert Löw verbindliche Auskünfte, all seine Aussagen zu Ballack sind vieldeutig. Nicht mal das einfachste Bekenntnis gibt er ab, und es ist klar, dass er damit eine Taktik verfolgt. In Leverkusen, wo Ballack eine letzte Bastion von Verteidigern hinter sich hat, schimpft man auf Löws "unerträgliches" Verhalten.

Tatsächlich könnte man den Eindruck haben, Löw lasse der Sache ihren Lauf, bis sich die Entscheidung von selbst ergibt, bis vielleicht Ballacks Verdruss ihn zum Aufgeben verleitet. Aber mit dieser verkürzten Deutung wird man ihm nicht gerecht: Aus Löws Sicht sind tendenzielle Äußerungen gefährlich, sie wecken Erwartungen und nehmen Spielraum, autonom zu entscheiden.

Er muss eine Lösung in einer extrem schwierigen Sache finden. Es kann sein, dass er Ballack braucht, es kann sein, dass es besser ist, Ballack aus dem Nationalteam zu verabschieden. Und auf dem ganzen Erdball ist keiner, der ihm die Antwort abnehmen kann.

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