Nationalelf:Klinsmanns Sammelsurium

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Zufrieden registriert der Bundestrainer die Fitnesswerte der Profis und kündigt das Ende der Experimente an.

Jörg Marwedel

Das Literaturhauscafé an der Alster bietet allerlei interessante Termine in diesem Monat. Einen Abend mit Ben Schott etwa, dem berühmt gewordenen Sammler kurioser Listen ("Schotts Sammelsurium"). Ingo Schulze liest aus seinem frischen Roman "Neue Leben". Und wer's gern nachdenklich mag, der wird womöglich bei einer Veranstaltung namens "Philosophisches Café" richtig sein. Nicht auf dem Plan des ehrwürdigen Hauses stand indes die Gesprächsrunde mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann und seinem Fitnessstab. Dabei dürfte dieser Termin, was die Resonanz angeht, die Konkurrenz locker aus dem Feld geschlagen haben, was sich mit einem mächtigen Journalisten-Gedrängel in der ersten Etage belegen lässt.

Jürgen Klinsmann (Foto: Foto: dpa)

Wer möchte nicht wissen, wie es zum Start der heißen Vorbereitungsphase auf die Fußball-WM 2006 und vor den Länderspielen gegen die Türkei am Samstag in Istanbul (20 Uhr/live im ZDF) und gegen China am kommenden Mittwoch in Hamburg um Form und Gesundheit der deutschen Nationalspieler steht?

Oder welche Abwechslung den dank Klinsmann von Bewohnern abgelegener Landherbergen zu smarten Stadthotel-Gästen, also Yuppies (Young Urban Professionals) gewandelten Kickern neben den Fitness-Tests am Montag und Dienstag geboten wurde? Zum Beispiel der Vortrag des Extremkletterers Stefan Glowacz ("Wie plane ich eine schwierige Expedition?"). Oder ein Besuch des Rocksängers Marius Müller-Westerhagen, der mit Klinsmann befreundet ist.

Ballack wird "beim Türkei-Spiel weg bleiben"

Mitgebracht zu der ungewöhnlichen Begegnungsstätte an der Alster hatte Klinsmann außer der Zusage, er werde ab sofort versuchen, mit einer "Startformation und dem Kern der Mannschaft einen bestimmten Rhythmus aufzunehmen" - also das Ausmaß an Experimenten stark herunterzufahren - ein paar weitere aus seiner Sicht gute Nachrichten. Der von muskulären Problemen und einem Infekt geplagte Kapitän Michael Ballack werde zwar "beim Türkei-Spiel weg bleiben", dafür aber womöglich vor dem Duell mit China zum Team stoßen.

Für Miroslav Klose, wie Ballack von der Grippe heimgesucht, sehe es sogar so gut aus, dass der Bremer Stürmer es noch bis zum Abflug nach Istanbul am Donnerstag schaffen könne. Mit Christian Wörns, dessen Ärger über seine Nicht-Nominierung für die beiden Länderspiele ihm offenbar auf Magen und Galle geschlagen ist, habe er ein gutes Gespräch geführt, seine Verstimmung sei "für uns kein Problem".

Und Oliver Kahn, der zuletzt wegen Knieschmerzen aussetzende Torhüter? "Alles im grünen Bereich, Oliver fühlt sich wohl", vermeldete Klinsmann. Rivale Jens Lehmann wird also ins Flugzeug heim nach London steigen und nicht in den Flieger nach Istanbul, Kahn dafür wegen Ballacks Ausfall sogar als Kapitän zurückkehren.

"Sehr gute Ergebnisse"

Hoffnungsvolles wusste der Bundestrainer schließlich von den bereits absolvierten Tests zu berichten, deren Sinn Bundesliga-Trainerkollegen wie etwa Ralf Rangnick zuletzt anzweifelten, weil derzeit zu viele Profis malade seien oder - wie die Schalker Fabian Ernst und Kevin Kuranyi - in einem körperlichen Tief steckten.

"Sehr gute Ergebnisse" seien bei den schon am Montag begonnenen Übungen "rübergekommen", sagte Klinsmann, die Spieler hätten "ihre Hausaufgaben gemacht". Das bedeutet: Sie haben ihre vom US-Fitnesscoach Mark Versteegen verfassten individuellen Handbücher offenbar nicht in der Ecke ihrer Vereinskabinen verstauben lassen, sondern weitgehend ihre täglich zehnminütigen Extra-Lektionen absolviert.

Die Fortschritte beziehen sich nach Auskunft der Experten auf Beweglichkeit, Stabilität und die sehr komplexe fußballspezifische Schnelligkeit, die vor allem schnelles Abstoppen und schnelle Drehungen verlangt. Dort sei "das größte Steigerungspotenzial drin", glaubt Oliver Schmidtlein, einziger Deutscher im Vierer-Team der Fitnesstrainer. Messen lassen sich die Resultate, die Klinsmann als "Info-Stütze" sieht, um den Spielern noch konkreter Hilfestellung zur weiteren Verbesserung geben zu können, natürlich nicht in Toren, sondern in Zentimetern, Sekunden und den Laktat-Werten im Blut. Dabei sollen schwächere Daten im Kontext gesehen und körperliche Tiefs nicht überbewertet werden.

"Ich weiß, dass Kevin Kuranyi Vater geworden ist und zuletzt nicht so viel Schlaf hatte", sagt Mannschaftsinter-nist Dr. Tim Meyer. Dass die Spieler, die im Juni am Confed-Cup teilnahmen, länger brauchen würden, um wieder in Schwung zu kommen, "ist uns ebenfalls bewusst", sagt Klinsmann. Insgesamt aber gebe die Testreihe, die im September 2004 begann und im März 2006 mit dem vierten Lauf abgeschlossen werden soll, einen optimalen Überblick über die Entwicklung der Spieler.

Oliver Schmidtlein weiß, dass ihm und seinen amerikanischen Trainern noch immer Skepsis in der Bundesliga entgegenschlägt. Er kontert dies mit einigen vergleichenden internationalen Daten. "Bei denen", sagt Schmidtlein, "ragt die Bundesliga nicht gerade heraus." Der portugiesische Nationalspieler Rui Costa etwa sei "mit Ball schneller als die meisten Bundesligaprofis ohne" und könne dabei "mit einem Schritt stoppen oder die Richtung wechseln". An solchen und ähnlichen Ergebnissen werde sichtbar, dass andere Länder sich seit vielen Jahren Gedanken um die Verbesserung der Trainingsmethoden machten. "Sie sind", sagt Schmidtlein, "etwas neugieriger gewesen."

© SZ vom 05.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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