DFB-Debütant Sané:Grünschnabel soll die Nationalelf beflügeln

VfB Stuttgart v FC Schalke 04 - Bundesliga

Leroy Sané hat in der Bundesliga einen steilen Aufstieg hingelegt.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)
  • Das Schalke-Talent Leroy Sané überzeugt auch beim Derby gegen Borussia Dortmund mit gewitztem Spiel.
  • Seine Spielweise bringt ihm eine Nominierung für die deutsche Nationalmannschaft ein.
  • Der 19-Jährige könnte das Flügelspiel der Nationalelf beleben.

Von Philipp Selldorf

Júnior Caiçara ist 26 Jahre alt, verheiratet und als Fußballer schon ziemlich durch die Welt gekommen. Er spielte bei drei Vereinen in seiner brasilianischen Heimat, bei Gil Vicente in Portugal, drei Jahre bei Ludogorez Rasgrad in Bulgarien, und seit dem Sommer bearbeitet er mehr oder weniger fachgerecht Schalkes rechte Außenbahn.

Die Zwischenbilanz besagt, dass er bisher eher durch sein herzliches Naturell und seinen leidenschaftlichen Stil aufgefallen ist als durch besonders wertvolle Flankenläufe. Auch beim Derby in Dortmund trat Caicara nicht als Hauptdarsteller in Erscheinung, aber zumindest danach machte er sich ums Schalker Gefühlsleben verdient: Er brach nach dem Schlusspfiff in Tränen aus, und er weinte auch dann noch, als er Minuten später in die Kabine ging.

Der 19-Jährige soll sogar schon das Flügelspiel der Nationalelf bereichern

Untröstlich zu sein ist wahrlich keine Schande nach diesem Spiel, das eben nicht nur den Eingeborenen und Eingemeindeten ans Gemüt geht. Am Tag vor dem Derby hatten die Schalker Profis beim Training Besuch bekommen von 3500 Anhängern, die mit Gesängen und Leuchtfackeln ein Riesenspektakel inszenierten. Linksverteidiger Dennis Aogo, 28, fand das zwar sehr bewegend ("Ich habe noch nie beim Training Gänsehaut gehabt - und jetzt gleich mehrmals"), aber auch bedenklich: "Ich war mir nicht sicher, wie die jungen Spieler in unserem Team mit den Emotionen umgehen."

Es lag dann aber nicht am nervlichen Zustand der jungen Spieler - Kolašinac, Meyer, Goretzka, Sané, Højbjerg -, dass Schalke dieses Derby verloren hat, und um den Jüngsten der Jungen hätte sich Aogo schon gar keine Sorgen machen müssen. Leroy Sané war weit entfernt davon, Tränen zu vergießen nach dem großen Match, und er hat auch nie den Eindruck gemacht, als ob das Erlebnis und die Aufgabe zu groß für ihn sein könnten.

Die 80 000 in Dortmund sahen denselben Sané wie ihn zuvor die Zuschauer bei den Spielen gegen Mainz 05 und Asteras Tripolis und den übrigen 16 Schalke-Spielen dieser Saison gesehen hatten. Eine schlaue Torvorlage für Sturm- partner Huntelaar, raumgreifende Sololäufe, intuitive Momente im Strafraum - Sané zeigte die üblichen Spezialitäten, komplett war das Bild aber erst, als er dem furchterregenden Sokratis ganz cool einen Beinschuss gesetzt hatte.

Frivole Beinschüsse für die Nationalelf

Dass der Bundestrainer nun den Wuschelkopf Sané nach kaum einem Jahr Profi-Erfahrung für das Testspiel der Nationalelf in Frankreich eingeladen hat, das könnte man auf den ersten Blick für etwas übereilt halten. Aber der 19-Jährige ist nicht wegen seiner Frisur und auch nicht wegen der frivolen Beinschüsse ein Unikum, sondern wegen der Summe seiner besonderen Fähigkeiten. Kaum ein junger Spieler in der Bundesliga vereint Tempo und technische Kapazitäten wie Sané es tut; eine Alternative wäre vielleicht der Münchner Coman, den Joachim Löw aber dem französischen Kollegen Deschamps überlassen muss.

Die Berufung des Gelsenkirchener Grünschnabels weist außerdem darauf hin, dass der Bundestrainer entschlossen ist, offensiv den Defiziten entgegenzutreten, die seine Weltmeister zuletzt offenbart hatten: Das deutsche Flügelspiel braucht Beschleunigung und kreative Bereicherung. Sané ist zwar einerseits noch ein jugendliches Leichtgewicht, das im Zweikampf manchmal aus vergleichsweise geringem Anlass auf dem Boden landet, andererseits scheint er mit seiner Leichtfüßigkeit dem Gegner manchmal davonzuschweben, als ob er Flügel hätte.

Erster Kontakt erfolgt über den Vater

Mit Löw hatte Sané bis zum Sonntag noch nicht gesprochen. Die Nachricht der Berufung hatte ihm einer seiner Berater überbracht - namentlich sein Vater Samy, der praktischerweise in der Spieleragentur beschäftigt ist, die mit Manager Horst Heldt die Vertragsverlängerung bis 2019 ausgehandelt hat. Die Schalker Verantwortlichen sehen keinen Grund, Sanés vorübergehende Beförderung ins A-Team (der nach dem Frankreich-Spiel die Rückversetzung in die U21-Nationalelf folgen wird) zu fürchten.

Anzeichen für seelische oder körperliche Überbelastung gibt der 19-Jährige nicht zu erkennen. "Das wird Leroy nochmal einen Schub geben", glaubt Trainer André Breitenreiter, bei dem sich Löw eingehend über den Kandidaten erkundigt hatte. Sané hat am Sonntag nach dem Derby gesagt, er wolle "sich zeigen und ein bisschen Erfahrung sammeln", und dass er "ein paar Minuten Spielpraxis" schön fände. Die Aussichten stehen ziemlich gut, dass sein Wunsch in Erfüllung geht.

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