Nationalelf:Auf der Suche nach Super-Deutschland

Germany v Hungary - International Friendly

Ratlos: Jerome Boateng (rechts) und Benedikt Höwedes.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Der maue Test gegen Ungarn liefert wenige Erkentnisse - außer, dass Bastian Schweinsteiger 20 Minuten durchhält. Joachim Löw weiß, dass er bei der EM bessere Leistungen braucht.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Vieles war so, wie es all die vergangenen Jahre immer war in der Arena auf Schalke. In der Ecke der Empfangshalle saß, gut gelaunt und braun gebrannt vom Kurzurlaub in Florida, Horst Heldt, derweil in großen Schritten der Hausherr Clemens Tönnies die Treppe herabeilte (vermutlich, um noch schnell ein paar russische Sponsoren zu begrüßen). Drinnen war dann aber doch alles anders als sonst an diesem Ort. Zwar standen typische Schalker wie Manuel Neuer, Julian Draxler und Benedikt Höwedes auf dem Platz, aber weder der Torwart Neuer noch der Linksaußen Draxler wurden wegen Abtrünnigkeit vom Publikum beschimpft.

Und anders als sonst war dieses Publikum auch nicht genervt von den offensichtlichen Mängeln im System der Heimmannschaft und von den vielen langwierigen Passagen, in denen die Spieler im Angesicht eines konzertiert defensiven Gegners den Ball hin- und herschoben wie Sachbearbeiter eine lästige Akte. Stattdessen klatschten sie sich unbeschwert in Stimmung, ließen die Welle durchs Stadion gleiten und sangen das Lied von "Super-Deutschland, olé, olé".

Ein Super-Deutschland war das allerdings nicht, das drei Tage vor der Abreise zur Europameisterschaft in Frankreich den finalen Test gegen den EM-Teilnehmer Ungarn bestritt. Eher war es ein Deutschland, das furios startete, dann zügig stark nachließ und am Ende in vielerlei Hinsicht ein bestenfalls durchschnittliches Bild abgab. Gleichwohl hob Joachim Löw gnädig hervor, der 2:0-Sieg gebe "ein Stück Stabilität und ein gutes Gefühl für die nächste Woche". Aber er hat im gleichen Atemzug auch nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass es noch ein ganzes Stück besser werden muss. "Wir glauben schon an unsere Stärke, wenn wir das ausspielen und die Mentalität entwickeln, die es braucht, dann haben wir auch gute Chancen", resümierte der Bundestrainer, während dessen Kollege Bernd Storck kühn behauptete: "Die deutsche Mannschaft hat uns alles abverlangt."

Höwedes statt Kimmich, eine konservative Variante

Auffälligstes Merkmal des deutschen Spiels war dessen enorme Linkslastigkeit. Diese war selbstredend nicht als politisches Statement zu verstehen, sondern eine Folge der Startaufstellung und der Besetzung des rechten Flügels. Manche Interpreten des Bundestrainers hatten aus gewissen Äußerungen und Gesten von Jogi Löw geschlussfolgert, dass er den Münchner Neuling Joshua Kimmich als rechten Außenposten der Viererkette ausprobieren würde. Sie hatten sich jedoch geirrt, der Bundestrainer betrachtet dieses traditionelle Abschieds-Spiel vor der Abreise erfahrungsgemäß eher als Generalprobe für das Turnier denn als letzte Gelegenheit für Experimente.

So zog Löw die konservative Variante vor und beorderte den erfahrenen Höwedes an die Seitenlinie, "eine mögliche Lösung" für das Turnier, wie der Coach sagte. Am rechten Rand des Spiels hat der 27 Jahre alte Verteidiger zwar schon öfter Position bezogen, heimisch ist er dort aber nie geworden, und speziell an diesem Samstagabend hat er auf den Weiten des rechten Flügels kein Zuhause gefunden. Gegen die konsequent defensiv orientierten Ungarn wurden seine Qualitäten als Zweikämpfer und Abwehrstratege nicht gebraucht, stattdessen hätte er sich durch offensive Läufe verdient machen können. Diese gehören jedoch nicht zu Höwedes´ Grundausstattung.

Khedira ging zur Pause angeschlagen raus

So lief vieles, was die Deutschen im Angriff zu inszenieren suchten, entweder über den linken Flügel, auf dem Draxler und Jonas Hector ein durchaus virtuoses Duett bildeten, oder durch die von vielen Menschen und ihren noch zahlreicheren Beinen zugestellte Mitte, wo vor allem Mario Götze durch Aktivität und Lebhaftigkeit auffiel. Ihm war es daher zu gönnen, dass er als Schütze des recht plötzlich vom Himmel gefallenen 1:0 in der 39. Minute gefeiert wurde, zu Unrecht allerdings. Den Ball ins Tor befördert nach der Hereingabe von Hector (Vorarbeit Draxler) hatte Verteidiger Adam Lang.

Während Götze nicht nur durch Fleiß, sondern auch durch rege Beteiligung auffiel, ließ Mesut Özil zunächst sowohl das eine wie das andere vermissen. Der Faktor Routine bestimmte auch das Mitwirken von Toni Kroos und Thomas Müller. Den entscheidenden Schuss EM-Motivation müssen beide erst noch aufnehmen, was ihnen aber ohne Weiteres zuzutrauen ist. Özil hingegen meldete sich bereits in der zweiten Halbzeit wieder, als er aus dem offensiven Mittelfeld ein paar Meter zurück anstelle von Sami Khedira an Kroos´ Seite wechselte. Dort machte er sich deutlich bemerkbarer als in der Offensive. Und auch Müller hatte noch seinen Müller-Moment, als er nach einem abgewehrten Mario-Gomez-Kopfball für das 2:0 zur Stelle war. Das Publikum nahm es dankbar zur Kenntnis, denn auch die zweite Hälfte bot nicht viele unterhaltsame Höhepunkte.

Schweinsteigers Einwechslung folgt der 712. Kurzeinsatz von Lukas Podolski

Eine Viertelstunde vor Schluss folgte der gefühlt 712. Kurzeinsatz von Lukas Podolski, vom Stadionsprecher angekündigt wie die Offenbarung des Paradieses. Noch mehr Aufsehen erregte zehn Minuten zuvor aber die Rückkehr des Kapitäns Bastian Schweinsteiger, der nach gewohnter Art am Mittelkreis Posten bezog und in gemessenem Tempo ein wenig Spielpraxis sammelte nach mehr als zwei Monaten Absenz vom Fußballplatz. Tendenz des Auftritts? Der Auftritt an sich war die Botschaft, nicht die Art des Auftritts. Es gibt jetzt ein paar Zweifel weniger an Schweinsteigers Einsatzfähigkeit, immerhin.

Keiner hat sich verletzt, das ist auch noch eine gute Nachricht. Dass Sami Khedira zur Pause ein wenig angeschlagen das Feld räumte, das war, so Löw, "eine reine Vorsichtsmaßnahme". Am Dienstag kann die Nationalmannschaft vollzählig ins EM-Domizil nach Evian starten. Beim Turnier wird sie bessere Leistungen benötigen, um Europameister zu werden. Aber damit erzählt man dem Bundestrainer garantiert nichts Neues.

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